Steuergerechtigkeit:IW-Studie: Normalverdiener zahlen immer mehr Steuern

Steuererklärung

Die Löhne sind gestiegen, die Grenzen für höhere Steuersätze aber nicht. Deshalb zahlen schon viele Normalverdiener den Höchstsatz.

(Foto: Hans-Jürgen Wiedl/dpa)

Trotz aller politischen Versprechen kassiert das Finanzamt einen immer höheren Anteil. Schuld ist die seit vielen Jahren unveränderte Grenze für den Spitzensteuersatz.

Von Alexander Hagelüken

Im Vorfeld der Bundestagswahl im Herbst fordern Politiker und Forscher vermehrt, Steuern und Abgaben der Arbeitnehmer zu reduzieren. Während die großen Parteien gerade Konzepte für den Wahlkampf erarbeiten, heizen neue Berechnungen die Debatte an. Demnach nimmt der Staat inzwischen 80 Prozent mehr Einkommensteuer ein als Mitte des vorigen Jahrzehnts. Die Löhne stiegen viel langsamer: Pro Kopf nur um 20 Prozent.

In einer noch unveröffentlichten Studie vergleicht das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), wie sehr das Finanzamt bei typischen Arbeitnehmern zugreift. Ein Single, der mit heute 3000 Euro brutto im Monat durchschnittlich verdient, musste 2005 noch 16 Prozent seines Einkommens abführen. Heute sind es 18 Prozent. Wer mit 6000 Euro das Doppelte des Durchschnitts erwirtschaftet, zahlt 27 anstatt früher 24 Prozent. Auch bei Ehepaaren ist der Steueranteil höher geworden. "Die Belastung von Singles und Ehepaaren ist deutlich gestiegen, obwohl die Steuersätze unverändert geblieben sind", sagt IW-Forscher Tobias Hentze.

Das widerspricht dem seit der Jahrtausendwende propagierten Ziel, die Bürger zu entlasten. Ein zentraler Grund: Die Politik hat die Grenzen kaum angepasst, ab welchem Einkommen sie einen höheren Steuersatz verlangt. Die Arbeitnehmer verdienen mehr, ohne wegen der Inflation unterm Strich real mehr zu haben - zahlen aber auf das gleiche tatsächliche Gehalt mehr ans Finanzamt (kalte Progression). Reale Lohnsteigerungen haben einen ähnlichen Effekt. Dies hat die Senkung etwa des Eingangssteuersatzes konterkariert, mit dem die Bürger entlastet werden sollten.

Spitzensatz wird derzeit nicht seinem Zweck gerecht, für Spitzenverdiener zu gelten

Um die Gehälter vergleichen zu können, hat Hentze verzerrende Effekte wie die nachgelagerte Besteuerung von Renten und den geänderten Abzug von Sozialbeiträgen herausgerechnet. Fazit: "Die Steuer- und Abgabenbelastung von Durchschnittsverdienern ist in kaum einem anderen Industrieland so hoch wie in Deutschland." Plastisch wird die Entwicklung am Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Er trifft bereits Arbeitnehmer, die jenseits des Eingangssteuersatzes weniger als das Zweifache des Durchschnitts verdienen. 1965 musste jemand das 15-Fache bekommen, um den (damals höheren) Satz zu zahlen.

Hentze fordert, auf jeden Fall die Besteuerung an die gestiegenen Löhne und Preise anzupassen. "Bezieher geringer und mittlerer Einkommen hätten nicht nur mehr Netto im Portemonnaie, es würden mehr Anreize entstehen, zu arbeiten - weil auf den zusätzlich verdienten Euro weniger an Steuern gezahlt werden muss." Auch der Spitzensatz würde mehr seinem Zweck gerecht, für Spitzenverdiener zu gelten.

"Die Staatskasse profitiert von der gestiegenen Wirtschaftskraft dieses Landes mehr als die Bürgerinnen und Bürger", kritisiert Hubertus Pellengahr von der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, welche die Studie in Auftrag gab. Deshalb sei es höchste Zeit für eine spürbare steuerliche Entlastung. "Nach einer solchen Reform hätte der Staat noch immer genug in der Kasse, um seine Aufgaben zu erfüllen, aber die Bürger hätten mehr in ihren Portemonnaies."

Die CDU/CSU verspricht im Wahlkampf eine deutliche Steuerentlastung der Bürger. Im Gespräch ist, dafür 15 Milliarden Euro aufzuwenden. Das Konzept ist noch umstritten, es soll im Juni vorgestellt werden. Die SPD zögert bei ihrem ebenfalls für Juni geplanten Programm mit einer steuerlichen Entlastung. Sie erwägt, die Sozialabgaben zu reduzieren. Aber auch das ist unsicher, weil es viel Geld kostet und womöglich dem Plan widerspricht, beispielsweise mehr in Bildung zu investieren.

Manche Forscher favorisieren die Strategie, die Bürger stärker bei den Sozialabgaben zu entlasten. Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung rechnet vor, Durchschnittsverdiener müssten 20 Prozent ihres Bruttoeinkommens für Sozialabgaben abführen - ein höherer Anteil als die Steuerbelastung. "Wenn man die arbeitende Mittelschicht wirklich entlasten will, sollte man eher die Sozialbeiträge reduzieren als die Einkommensteuer", sagt Bach. Sozialbeiträge finanzieren allerdings Leistungen wie Rente und Krankheitskosten. Wer sie reduziert, braucht andere Einnahmen, will er die Leistungen nicht kürzen. Bach schlägt daher vor, wirtschaftlich Leistungsfähigere stärker zu besteuern.

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