Steuern:Das Steuersystem schont die Reichen

Steuern: Eine gelungene Steuerreform könnte viele Menschen entlasten und dem Staat trotzdem ausreichend Geld einbringen.

Eine gelungene Steuerreform könnte viele Menschen entlasten und dem Staat trotzdem ausreichend Geld einbringen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Parteien trauen sich bisher nicht an eine große Steuerreform heran. Doch die ist überfällig. Mittelschicht und Geringverdiener müssen entlastet werden.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Es gab Zeiten, da galt der Spitzensteuersatz für jene an der Spitze. Nur für sie. In den 60er-Jahren musste ein Deutscher zehn Mal so viel verdienen wie der Durchschnitt, um den höchsten Satz zu zahlen. Heute trifft es einen ab 4500 Euro im Monat. Kein Gehalt, das eine Villa nebst Luxuslimousinen spendiert wie an der Spitze üblich. Diese Entwicklung zeigt, wie das deutsche System kaputt gegangen ist. Die Politik verlangt der Mehrheit zu viel Geld ab, während sie Firmen und Vermögende schont. Die Folge: Mittelschicht und Geringverdienern bleibt vom Einkommen zu wenig. Die Bundesrepublik bedarf einer großen Reform, die breiten Schichten Steuern und Abgaben erspart - und ihnen wieder das Gefühl gibt, es gehe fair zu.

Natürlich darf eine solche Reform nicht einfach nur Steuern senken, wie manche Liberale postulieren. Die Zahlungen an den Staat finanzieren zentrale Aufgaben von der Bildung bis zur Sicherheit. Deshalb zögern gerade Mitte-links-Politiker, die Bürger zu entlasten. Denn manche Liberale wollen mit den Steuern die Aufgaben drastisch mitschrumpfen. Vom US-Aktivisten Grover Norquist ist der Satz überliefert, er wolle den Staat so klein machen, "dass ich ihn in der Badewanne ertränken kann".

Solche Überzeugungen erklären, warum SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz mit einer Reform fremdelt. Er fürchtet um die Finanzierung politischer Ziele. Doch er liegt falsch. Eine große Reform kann breite Schichten entlasten, ohne die wichtigen Aufgaben des Staates zu gefährden - wenn sie richtig angegangen wird.

Dazu braucht es zweierlei: Zuerst eine ernsthafte Debatte darüber, welche Aufgaben wirklich nötig sind und welche Vergünstigungen inzwischen ihren Zweck verfehlen. Und dann eine stärkere Beanspruchung der Hochverdiener und Unternehmen, die es sich leisten können.

Die erste Übung erfordert, all die Ausgaben zu prüfen, die sich über Jahrzehnte ansammelten wie Moos. Muss der Staat die Landwirte noch so stark subventionieren, obwohl ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft so geschrumpft ist? Nein. Muss sie kinderlosen Paaren durch das Ehegattensplitting Tausende schenken, obwohl der Nachwuchs damit überhaupt nicht gefördert wird? Nein. Das sind nur zwei Beispiele, wie sich eine Entlastung der Mehrheit finanzieren lässt, indem überkommene Privilegien fallen.

Es geht zum Zweiten darum, die Balance wiederherzustellen. Längst ist die Theorie entzaubert, wonach die ganze Gesellschaft profitiert, wenn Wirtschaft und Gutverdiener möglichst wenig Steuern zahlen. Die Politik begünstigt jene mit den gut gefüllten Konten zu sehr. Während Millionäre von Kapitalerträgen nur 25 Prozent abgeben müssen, zahlen Mittelschichtler oft 42 Prozent Einkommensteuer - den Spitzensatz. Während Unternehmen zu viele Schlupflöcher offenstehen und riesige Firmen gratis vererbt werden dürfen, greift der Staat bei Wenigverdienern voll zu: Ein Single mit 2000 Euro brutto muss fast die Hälfte per Steuern und Abgaben abführen.

Eine echte Reform korrigiert daher, was 20 Jahre versäumt wurde. Sie belegt Kapitalerträge von Millionären mit dem Spitzensatz. Sie lässt Erben zahlen, denen die Firma in den Schoß fällt. Sie geht international gegen Verschiebungstricks der Wirtschaft vor. Sie erhöht stufenweise den Spitzensatz ab 120 000 Euro im Jahr.

Es besteht die Gefahr, dass niemand das System repariert

Wenn der Staat derart mehr Geld einnimmt, hat er es anderswo zur Verfügung. Große Teile der Mittelschicht müssten weniger ans Finanzamt überweisen. Geringverdiener, die wenig Steuern zahlen, wären auf andere Weise zu entlasten: Durch eine speziell für sie geltende Senkung der Sozialabgaben, die heute in der Regel ab dem ersten verdienten Euro voll abgehen - was gerade schlecht bezahlte Arbeitsplätze unattraktiv macht.

Eine solche Reform erfüllt mehrere Ziele auf einmal. Sie macht deutsche Arbeitsplätze für die Unternehmen günstiger und damit wettbewerbsfähiger. Sie lässt breiten Schichten mehr vom Lohn, sodass sie Eigentum bilden und für die Risiken des Lebens vorsorgen können. Sie macht die Gesellschaft wieder gerechter.

Die Monate zur Bundestagswahl wären die Gelegenheit für die Parteien, um eine solche Reform vorzuschlagen. Doch die SPD zögert wie gesagt, und das aus den falschen Gründen. Die Union erwägt immerhin eine Entlastung bei den Steuern, doch ohne klares Konzept. Sie hat schon vor anderen Wahlen viel versprochen und wenig gehalten. So besteht die Gefahr, dass niemand ein System repariert, das schon lange kaputt ist. Währenddessen fragen sich Millionen Deutsche mit stagnierenden Einkommen, wer sich eigentlich für sie einsetzt.

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