Neuer Bahnchef Rüdiger Grube:Unsympathische Bahn

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Das Chaos in Berlin wird zur Bewährungsprobe für den neuen Vorstand. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie ernst Rüdiger Grube es mit seinen Versprechen gemeint hat.

Daniela Kuhr

Wenn in Berlin Chaos herrscht, mögen die Menschen außerhalb der Hauptstadt das als den Normalfall belächeln. Wenn in Berlin aber S-Bahn-Chaos herrscht, ist das ein Grund aufzuhorchen. Denn die Berliner S-Bahn ist eine Tochter der Deutschen Bahn. Sie steht daher exemplarisch dafür, wie der Staatskonzern nach dem Abgang des langjährigen Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn mit Krisen und aufgebrachten Kunden umgeht.

Zweieinhalb Wochen ist es her, dass die S-Bahn schwere Mängel an den Bremsen ihrer Züge entdeckte. Schon zuvor waren die wegen Radrissen nur eingeschränkt gefahren. Seit dem 8. September aber ist nur noch ein Viertel der gesamten Zugflotte im Einsatz. Einige Bahnhöfe sind komplett geschlossen. Von Montag an soll es zwar etwas besser werden, doch bis die S-Bahn wieder normal fährt, werden Monate vergehen.

Und was hört man von der Deutschen Bahn? Bedauern, Entschuldigen, Ver-trösten. Aber keine Antworten auf die drängenden Fragen. Natürlich wollen die Fahrgäste wissen, womit sie noch rechnen müssen. Wie lange dauern die Reparaturen? Wann fahren die Züge wieder regelmäßig? Wer ist verantwortlich? Und vor allem: Wie wird die S-Bahn ihre Kunden für die jüngsten Ausfälle entschädigen?

Alles offen

Alles offen. Und das 17 Tage, nachdem die defekten Bremszylinder entdeckt wurden. 17 Tage, in denen die Kunden lange Anfahrtszeiten zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen mussten, Umwege, Gedränge und ewiges Warten.

Das Beunruhigende daran ist: Es passt so wunderbar in das Bild, das viele sich in den vergangenen Jahren von der Bahn gemacht haben. Unter Mehdorn galt der Konzern als nicht gerade kundenfreundlich. Man hatte den Eindruck, dass nicht die Fahrgäste im Mittelpunkt standen, sondern der Börsengang. Diesem Ziel wurde alles untergeordnet. Jahr für Jahr erhöhte der Konzern die Preise, gleichzeitig wurde gespart, wo es nur ging, um die Bilanz gut aussehen zu lassen. Allein bei der S-Bahn Berlin wurden drei Werke geschlossen und 1000 Arbeitsplätze abgebaut.

Kritik an seinem Kurs duldete Mehdorn nicht, egal ob von Mitarbeitern oder von Kunden. Eine solche Haltung an der Konzernspitze kann ein Unternehmen nachhaltig prägen, nach innen wie nach außen. Wer in diesen Tagen in Berlin fernsieht oder Lokalzeitungen liest, könnte glauben, Mehdorn sei nach wie vor der Bahn-Chef. Kunden und Politiker schimpfen wie zu seinen Zeiten. Dabei ist er längst weg.

Seit Mai steht Rüdiger Grube an der Spitze des Konzerns. Der ehemalige Daimler-Manager hat bei seinem Amtsantritt viel versprochen: eine neue Unternehmenskultur, "höchste Qualität" und Pünktlichkeit. Waren das nur schöne Worte? Hat sich gar nichts geändert?

Nichts beschönigt

Doch. Aber vor lauter Empörung kann man das leicht übersehen. So räumte die Bahn von Beginn an offen ein, die Schuld für die defekten Bremsen liege allein bei ihr. Sie hat nichts beschönigt, sondern sofort den Verdacht geäußert, dass Vorgesetzte jahrelang angewiesen hatten, die Züge vorschriftswidrig zu warten. Der Vorstand schaltete externe Ermittler ein, um die Verantwortlichen ohne Ansehen der Person zur Rechenschaft zu ziehen.

Solche Untersuchungen brauchen ihre Zeit. Einen Grund, an dem ernsthaften Aufklärungswillen zu zweifeln, gibt es nicht. Im Konzernvorstand und in der Verwaltung der S-Bahn sitzen mittlerweile neue Manager. Sie haben ein ureigenes Interesse, alles aufzudecken. Was jetzt auffliegt, können sie ihren Vorgängern anlasten. Was aber erst in einem Jahr hochkommt, wird man ihnen zuschreiben.

Bei seinem Amtsantritt hatte Grube gesagt, die Bahn müsse "eine sympathische Bahn" werden. Dieses Ziel ist durch die Vorfälle in Berlin schwerer erreichbar geworden. Doch das ist nicht seine Schuld. Wenn der neue Konzernchef jetzt noch keine Antworten geben kann, dann liegt das nicht an mangelnder Kundenorientierung oder Arroganz, sondern daran, dass er sie noch nicht kennt. Grube sprach auch viel von Glaubwürdigkeit und Respekt, von Werten, die er hochhalte. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie ernst er es gemeint hat.

© SZ vom 25.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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