Neue Studie:Emissionshandel - und er wirkt doch

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Die Schornsteine eines Blockheizkraftwerkes vom neuen Flughafen BER qualmen im brandenburgischen Schönefeld. Der Handel mit Treibhausgasen, das zeigen Ökonomen in einer aktuellen Studie, ist besser als sein Ruf. (Foto: dpa)

Der Ruf des Emissionshandels ist schlecht. Unternehmen kritisieren das Klima-Instrument als wettbewerbsschädigend, Klimaschützer halten den Handel durch die niedrigen Preise für wirkungslos. Jetzt zeigen Forscher: Das umstrittene System funktioniert - und die Industrie sagt nicht immer die Wahrheit.

Von Markus Balser, Berlin

Er gilt als der härteste Lobby-Kampf, den Brüssel je erlebt hat: Der Streit um die Verschärfung des europäischen Emissionshandels. Noch vor dem nächsten großen Klimagipfel in Paris 2015 müsse die EU der Welt demonstrieren, dass das kriselnde Klimaschutz-Instrument funktionieren kann, fordert Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und verlangt, das gerade verschärfte System mit strengeren Regeln auszustatten.

Für große Klimasünder wie Chemie-, Stahl- oder Energiekonzerne aus ganz Europa sind solche Pläne ein rotes Tuch. Seit Jahren laufen sie gegen mehr Klimaschutz Sturm. Wichtigstes Argument der Branchen-Lobbyisten in Berlin oder Brüssel: Die Kosten teurerer Zertifikate drohten vielen Industrien in Europa im globalen Wettbewerb zu schaden, warnen etwa Chemiekonzerne. Die Folge: Weniger Exporte und Stellenabbau. Schließlich müssten Konkurrenten aus China oder den USA keine vergleichbaren Lasten schultern. Ob Europas Wirtschaft tatsächlich an Wettbewerbsfähigkeit verliert oder gar vom technischen Fortschritt profitiert, darüber gab es bislang kaum valide Informationen.

Erstmals haben Forscher des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) nun die Effekte des Emissionshandels untersucht - am Beispiel der größten europäischen Volkswirtschaft Deutschland. In einer über mehrere Jahre angelegten Analyse kommen sie zu einem überraschenden Ergebnis: Der Emissionshandel ist besser als sein Ruf. Das System reduziert die Treibhausemissionen spürbar - und schadet nicht einmal der Industrie.

Nicht nur Umweltschützer zweifeln an den Argumenten der Industrie

In den ersten Jahren seines Bestehens habe der Emissionshandel zu einer deutlichen Senkung des CO₂-Ausstoßes beigetragen, urteilten die Forscher in dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. "Firmen, die Emissionszertifikate besitzen müssen, haben ihren CO₂-Ausstoß um ein Fünftel stärker gesenkt als Unternehmen, die der Pflicht nicht unterliegen." Entgegen häufig geäußerter Befürchtungen fanden die Forscher zudem "keine Anzeichen dafür, dass der Emissionshandel Umsatz, Wettbewerbsfähigkeit oder die Zahl der Arbeitsplätze in den teilnehmenden Unternehmen verringert". Im Klartext: Nicht nur Umweltschützer zweifeln an den Argumenten der Industrie. Selbst Wirtschaftsforscher halten die Kritik für überzogen.

Das 2005 ins Leben gerufene EU-Emissionshandelssystem gilt als zentrales Element der EU-Klimapolitik - und als das erste weltweit. Es folgt einer schlichten Idee: Fabriken und Kraftwerke sollen für den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase zahlen und Verschmutzungsrechte kaufen. Der Handel mit den Zertifikaten sorgt dann dafür, dass Emissionen dort eingespart werden, wo es am billigsten ist. Die EU legt dabei die erlaubten Emissionsmengen fest und reduziert sie ständig weiter. Dem System sind in Europa 11 000 Unternehmen aus der Energie-, Chemie und Schwerindustrie sowie der Zement- und der Papier-Branche unterworfen.

Derzeit steckt das System in einer schweren Krise. Der Handel ist beinahe zum Erliegen gekommen, denn die Preise für Emissionsrechte sind vor allem wegen der Wirtschaftskrise in Südeuropa im Keller. Sie pendeln um die fünf Euro je Tonne. Zum untersuchten Zeitraum kosteten die Zertifikate mit gut 15 Euro je Tonne noch deutlich mehr. Die Studie liefert damit auch den Befürwortern einer neuerlichen Verschärfung des Emissionshandels Argumente. Für die Studie haben die Wissenschaftler umfangreiche Daten des Statistischen Bundesamtes zu deutschen Industrieunternehmen aus den Jahren 2005 bis 2010 ausgewertet.

Der Kauf von Verschmutzungsrechten verbesserte die Energieeffizienz

Während sie in der Testphase bis 2007 kaum eine Wirkung feststellten, sanken in den ersten drei Jahren des regulären Betriebs bis 2010 die Emissionen spürbar. "In dieser Phase haben die Unternehmen ihre Energieeffizienz stark verbessert und die Nutzung von Öl und Gas reduziert", sagt IfW-Forscher Sebastian Petrick. Veränderungen in der Produktion - etwa die effizientere Nutzung von Prozesswärme - führten dazu, dass die Emissionen sanken, nicht jedoch der Umsatz. Industrieunternehmen, die dem Regime unterworfen waren, reduzierten ihre CO₂-Emissionen zwischen 2007 und 2010 um durchschnittlich 25 Prozentpunkte mehr als vergleichbare Unternehmen, die nicht teilnahmen.

"Die CO₂-Intensität im Verhältnis zum Umsatz fiel bei den einbezogenen Unternehmen um 18 Prozentpunkte schneller", sagt Autor Ulrich Wagner. Für die Produktion waren damit weniger Treibhausgase nötig. Das Geschäft litt unter den Sparmaßnahmen jedoch nicht.

Die Bundesregierung hatte erst Mitte April für mehr Engagement beim Klimaschutz geworben: "Damit sich Europa bei den internationalen Klimaverhandlungen der kommenden Jahre nicht blamiert, muss es dringend seinen Emissionshandel reformieren", forderte Wirtschaftsminister Gabriel. Der Handel mit Emissionszertifikaten habe sich angesichts niedriger Zertifikatepreise zu einem Desaster entwickelt. Besonders Deutschland müsse nun demonstrieren, dass sich anspruchsvolle Klimapolitik in einem Industrieland verwirklichen lasse, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Denn das glaubten zurzeit immer weniger Politiker anderer Länder.

© SZ vom 24.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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