Montagsinterview:"Die Karre aus dem Dreck ziehen"

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"Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen", sagt VW-Managerin Christine Hohmann-Dennhardt. (Foto: Stephan Rumpf)

VW-Vorständin Christine Hohmann-Dennhardt über die Folgen des Abgasskandals, enttäuschte Kunden und die gefährdete Zukunft des Unternehmens.

Sie hat einen der härtesten Posten, die die deutsche Wirtschaft derzeit zu vergeben hat: Vorstand bei VW für eine saubere Unternehmensführung. Seit dem 1. Januar 2016 ist die frühere Justizministerin und Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt, 66, im Amt. Erst arbeiten, dann reden, das ist ihre Devise. Nun sitzt sie auf dem SZ-Podium - und redet.

SZ: Frau Hohmann-Dennhardt, wenn Männer die Karre in den Dreck fahren, holen sie einen Bauern mit Traktor. Wenn Männer in der Autoindustrie die Karre in den Dreck fahren, holen sie Christine Hohmann-Dennhardt - so haben es die Kollegen von der "FAS" so schön geschrieben. Sie sehen ganz gewiss nicht aus wie eine Traktorfahrerin, aber fühlen Sie sich so?

Christine Hohmann-Dennhardt: Ich fühle mich jedenfalls wie jemand, der anpackt.

Und Sie müssen anpacken!

Ja, wir sind auf dem Acker, um im Bild zu bleiben. Und der Traktor war ja durchaus in einer Grube. Wir sind jetzt dabei, mit allen Mitarbeitern und dem Management alles wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Sie führen ein Vorstandsressort, das einen tollen Titel hat: "Recht und Integrität". Es ist eigentlich ziemlich schlimm für ein Unternehmen, wenn es im Vorstand jemanden braucht, der diesen Titel hat, oder? Das sollte selbstverständlich sein.

Dem Letzten möchte ich gerne zustimmen. Auf der anderen Seite ist es bestimmt kein schlechtes Zeichen, wenn das Recht im Vorstand auch seinen Platz hat. Erst recht in einem Unternehmen, in dem es um Technik geht. Es steht einem Unternehmen doch gut, auch das Recht dominant in den Vordergrund zu rücken und damit ja auch ein Zeichen zu setzen.

Ist es nicht selbstverständlich, dass das Recht akzeptiert wird?

Ich kann nicht nur mit bestimmten Förmlichkeiten arbeiten, nicht nur mit Regelsätzen und formalen Aufbauten von Organisationen. Der Mensch muss auch abgeholt werden: Ich muss den Sinn hinter etwas begreifen, ich muss wissen, warum ich etwas mache. Ich muss etwas wollen, Emotion muss dabei sein. Und deshalb ist das, was ich mit Compliance "beackere", um den Bauern wieder aufzugreifen, etwas ganz Wesentliches: Es geht nicht nur darum, Regeln aufzustellen, sondern auch den Sinn und die Motivation anzusprechen. Wir wollen gemeinsam in einer ganz bestimmten Weise etwas voranbringen.

Sie waren zuvor ein knappes halbes Jahrzehnt bei Daimler, das durch einen Schmiergeldskandal gebeutelt war. Was haben Sie dort erreicht?

Es gab einen Punkt, der mir sehr wichtig war, als ich zu Daimler kam: Es gab dort eine große Verunsicherung. Es gab Ängste, auch wegen des Monitors,...

...also des von US-Behörden erzwungenen Aufpassers,...

...der das Unternehmen durchleuchtete. Die Leute fragten sich, was mit ihnen geschehen könnte. Da sah man, wenn man von außen kam, eine sehr große Unsicherheit in allen Varianten und damit auch eine gewisse Starre. Das ist etwas sehr Schlechtes für ein Unternehmen, denn man will ja etwas bewegen.

Was macht die Angst mit den Menschen?

Aus dieser Angst heraus beziehen sich viele Mitarbeiter dann auf Hierarchien und sagen: Nein, ich unternehme nichts, ich entscheide nichts, vielleicht mache ich da etwas falsch. Das ist keine gute Situation. Mit dazu beigetragen zu haben, dass die Mitarbeiter wieder selbstbewusster wurden und mitmachten, war mir wichtig. Man muss den Leuten den Rücken stärken, damit sie sich wieder wohler fühlen.

Sie haben bisher nicht viel über Ihre Arbeit geredet, jetzt reden Sie hier. Ist das ein Zeichen dafür, dass VW jetzt langsam aus der Krise, die der Abgas- Skandal verursacht hat, rauskommt?

VW ist von einer Größe, die die Mitarbeiter immer beflügelt und stolz gemacht hat, sehr stark herabgefallen. Das ist etwas, das man nicht von heute auf morgen abstellen kann. Da rede ich gar nicht nur von den vielen Verfahren weltweit, die sich gegen den Konzern richten. Das wird sich noch eine Weile hinziehen, auch wenn wir schon ein paar gute Zwischenetappen hinter uns gebracht haben. Da kann man den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch nicht versprechen: Im nächsten Jahr geht es dann schon wieder nur noch aufwärts.

Interessieren Sie sich als Juristin nur für die rechtlichen Themen?

Es ist auch wichtig, dass man schaut: Woran liegt das eigentlich? Das hat natürlich etwas mit Hierarchien zu tun, mit der Kommunikation im Unternehmen und mit bestimmten Defiziten in der Organisation. All das gilt es zu beleuchten und zu verändern. Zu den Fragen der Integrität kommen dann auch noch ganz konkrete Arbeitsplatzsorgen der Mitarbeiter.

Man hat nicht immer den Eindruck, dass im Konzern wirklich verstanden worden ist, wie ernst die Lage ist. Nachdem VW erst eingeräumt hat, dass in Amerika vieles schief gelaufen ist, sagt VW nun, dass dasselbe in Europa legal war.

Es ist äußerst schwierig, wenn man argumentativ mit dem Rücken an der Wand steht und sich verteidigen muss, auf die doch sehr komplexen Unterschiede zwischen amerikanischem und unserem Recht hinzuweisen. Die rechtlichen und die regulatorischen Umstände sind in Amerika allerdings komplett anders. Und auch die Motorvarianten unterscheiden sich. In Amerika werden wir auch nach dem Rückruf die dort sehr viel strengeren Emissionswerte nicht zu 100 Prozent erfüllen können. Dies trifft für unsere Kunden in Europa nicht zu. Sehr typisch für das amerikanische Recht ist zudem, dass Sie dort alles vorher zertifizieren und angeben müssen. Wenn Sie etwas nicht angemeldet haben, dann ist es schon etwas Illegales.

Und das ist in Europa anders?

Die Definition dessen, was technisch auf ein Abgaskontrollsystem einwirkt, ist im amerikanischen Recht im Verhältnis zum europäischen Recht unterschiedlich. Die Stickoxid-Grenzwerte in den USA sind ebenfalls wesentlich strenger als hier.

Erklären Sie das mal den deutschen Kunden...

Ich kann das emotional verstehen, dass unsere Kunden sagen: Wenn die eine Entschädigung bekommen, warum wir nicht? Aber man kann das eben nicht über einen Kamm scheren. Den Kunden in Europa entsteht ja kein Nachteil, weder beim Verbrauch noch bei den Fahreigenschaften. In Amerika ist die Lage eine andere, und die Kunden müssen länger auf eine technische Lösung warten. Deshalb muss man fragen: Wo liegt hier jeweils der Schaden? Es gibt durchaus Argumente zu sagen: Ich verstehe, warum die Menschen hier Gleichbehandlung wollen. Auf der anderen Seite bitte ich auch um Verständnis. Wir haben es in den USA nicht nur mit einem anderen Rechtssystem zu tun, sondern auch mit knapp 500 000 Automobilen. Im Rest der Welt, wo wir es mit anderen Rechtssystemen zu tun haben, geht es um mehr als zehn Millionen.

Das könnte sich VW nicht leisten?

Ich will Ihnen damit nur sagen: Die Zukunft des Konzerns ist durchaus in Gefahr geraten. Unser aller Bestreben muss sein, die Karre wieder aus dem Dreck zu ziehen. Dazu gehört auch zu sehen: Was können wir uns eigentlich noch leisten? Eine andere Arbeit, die wir ja auch tun müssen, ist, unsere Strategie weiter umzusetzen.

Was meinen Sie?

Wir brauchen Elektromobilität, neue Mobilitätskonzepte, und dafür muss investiert werden, sonst sind Arbeitsplätze gefährdet.

Noch mal: Werden Sie deutschen Kunden weiter entgegenkommen, als Sie bisher angekündigt haben?

Wir haben unseren Kunden versprochen, dass wir alle Fahrzeuge zum Software-Update zurückrufen, und es ist ganz wichtig, dass wir da auch unser Wort eingehalten haben. Sie wissen ja, dass wir alle Autos noch mal auf die Prüfstände haben stellen müssen, auch im Hinblick auf die Frage: Wenn hier eine Nachbesserung erfolgt ist, bleiben dann auch die Werte gleich? Und wir sind froh, dass wir bereits sehr viele Freigaben vom Kraftfahrzeugbundesamt erhalten haben, sodass wir diese Rückrufe durchführen können. Wir sind da gut in der Zeit, aber das braucht eben auch seine Zeit. Es ist wichtig, dass wir zeigen, dass uns sehr daran gelegen ist, diesen Schaden wiedergutzumachen.

Manchmal heißt es ja auch, dass es von den Amerikanern ein industriepolitisches Spiel war, sich ausgerechnet VW auszugucken und gegen den Konzern vorzugehen, obwohl auch andere Hersteller Probleme haben, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie VW. Ist das auch Ihre Position?

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Wir haben Fehler begangen, da ist etwas Rechtswidriges über viele Jahre gelaufen, insofern müssen wir uns dem stellen. Da werden wir auch zur Verantwortung gezogen. Man kann sicher darüber spekulieren: Warum in einer solchen Größenordnung? Die Amerikaner sehen hier eben auch eine gewisse Beharrlichkeit eines Rechtsverstoßes, weil es über viele Jahre gelaufen ist.

Sie haben über Ihre Daimler-Zeit gesagt, dass es wichtig war, den Mitarbeitern wieder das Gefühl zu geben: Ihr dürft auch etwas wagen. Aber steht bei VW im Moment nicht im Vordergrund, alle Mitarbeiter dazu zu bringen, sich gesetzeskonform zu verhalten? Wie machen Sie das?

Zuerst einmal möchte ich festhalten, dass nicht unser gesamtes Unternehmen, nicht alle Mitarbeiter gegen Regeln verstoßen haben. Man muss natürlich erst einmal die Regeln aufstellen. Aber ich glaube, die Regeln sind es nicht alleine. Das Zweite ist, darüber zu diskutieren, welche Werte uns eigentlich leiten. Darüber muss man mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen diskutieren, weil wir sie ja brauchen und sie auf dem neuen Weg mitnehmen wollen. Da geht es wieder um das Thema Rechtsakzeptanz. Wir müssen den Menschen aber auch Sicherheit geben und eine Diskussion über die Ziele eines Unternehmens führen. Natürlich ist es ein Ziel, wieder tolle Autos zu bauen und auch in der Elektromobilität an vorderster Front mitzuspielen. Es geht aber auch um die Frage, wie man so etwas macht. Und ob das Ziel "Erfolg, Erfolg, Erfolg" das einzige ist, oder ob wir sagen: Wir wollen einen Erfolg, auf den wir auch stolz sein können. Und stolz kann man nur auf Erfolg sein, wenn er auch anständig ist.

Protokoll: Thomas Fromm.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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