Monsanto:Zu Besuch in Monsantos Gen-Fabrik

Inside the Greenhouses of Monsanto

Das Forschungszentrum von Monsanto in St. Louis kann man schon von Weitem sehen: Die Gewächshäuser auf den Dächern der Labore leuchten in der Nacht.

(Foto: Brent Stirton/Getty Images)

Kaum ein Konzern ist so umstritten wie Monsanto. Seine Labore hat das Agrar-Unternehmen bislang abgeschottet. Doch jetzt öffnen sich die Türen.

Von Kathrin Werner, St. Louis

Die kleine Wanze hat hier eigentlich nichts zu suchen. Anil Gowda schüttelt die Baumwollpflanze, die in einer durchsichtigen Plastiktüte steckt. Je länger er schüttelt, desto mehr winzige grüne Insekten fallen aus den Blättern und krabbeln an der Innenseite der Tüte. "Da, noch eine", sagt Gowda und schüttelt wieder. "Und hier noch zwei. Am Ende finden wir bestimmt mehr als zehn allein an diesem Zweig." Dabei sollte hier gar keine Wanze an der Baumwoll-Blüte knabbern. Monsanto wollte die Pflanze genetisch so manipulieren, dass die Insekten sie nicht vertragen. "Das ist eine fast schon absurd schlechte Pflanze", sagt Gowda, der Chef von Monsantos Team für Insektenresistenz-Tests. "Experiment gescheitert."

Monsanto arbeitet an Tausenden solcher Experimente. Aus den Laboren, Zuchtkammern und Gewächshäusern hier am Hauptsitz in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri kommt das Saatgut für die Baumwolle, den Mais, die Sojabohnen und anderen Nutzpflanzen, die widerstandsfähiger sind als alle anderen. Sie sind resistent gegen manche Viren und Pilze, gegen Unkrautvernichter wie Glyphosat, gegen längere Dürrephasen oder gegen Attacken von kleinen grünen Weichwanzen, die vor ein paar Jahrzehnten ein Albtraum für Bauern gewesen wären. Heute ist Monsantos Saat ein Albtraum für Menschen, die Genmanipulation befürchten.

Monsanto ist seit den 90er-Jahren ein Synonym für genmanipuliertes Essen. Das hat dem Unternehmen Spitznamen wie "Monsatan" eingebracht und Jahr für Jahr einen der letzten Plätze in Reputations-Rankings. Monsanto zählt zu den meistgehassten Firmen Amerikas. Greenpeace nennt die 115-jährige Geschichte der Firma "eine Skandalchronik, atemberaubend und lang".

Bald soll Monsanto zu Bayer gehören. Am Dienstag entscheiden die Monsanto-Aktionäre über das 66 Milliarden Dollar schwere Angebot des deutschen Pharmakonzerns. "Es wird gut laufen", sagt Robert Fraley, der im Monsanto-Vorstand für die Forschung zuständig ist. "Ich glaube an den Deal, er wird Vorteile für unsere Aktionäre bringen und vor allem auch für die Bauern." Wenn die Aktionäre und später die Kartellbehörden die Pläne abnicken, werden Monsanto und die Labore ein Teil der deutschen Wirtschaft.

Was genau der Konzern tut, wer die Forscher sind, die an den Pflanzen-Genen arbeiten, und wie es aussieht hinter den Kulissen in St. Louis war lange ein Geheimnis. Seit Jahrzehnten hat sich Monsanto von der Öffentlichkeit abgeschottet und Fragen von Verbrauchern und Presse unbeantwortet gelassen. Nun lässt der Konzern zum ersten Mal seit Jahrzehnten Journalisten hinein in die geheimen Gewächshäuser. Die Manager hoffen, dass so mehr Menschen verstünden, dass man die Arbeit des Konzerns nicht fürchten müsse. Ganz im Gegenteil: Sie bringe Fortschritt.

Das Forschungszentrum erstreckt sich über 85 Hektar in den Hügeln oberhalb des Missouri Rivers. "Leben verbessern. Mehr produzieren. Mehr erhalten", steht an der Glastür am Haupteingang. Auf den Dächern der roten Backsteingebäude leuchten die Gewächshäuser in der Sonne. In ihnen wachsen die Zwiebeln der Marke Evermild, die weniger in den Augen brennen, Artwork Brokkoli, der kleinere Köpfe und weniger holzige Stämme hat, und der Mais, die Sojabohnen und die Baumwolle, die Monsanto perfekter hinkriegen will als die Natur. Überall stehen Warnschilder und Wägelchen für den Umzug, das Forschungszentrum ist gerade eine riesige Baustelle. Monsanto investiert mehr als 400 Millionen Dollar in 36 neue Gewächshäuser und 250 neue Labore. Bald sollen hier 675 weitere Wissenschaftler arbeiten. Dann sind es 2000.

Bei Monsanto ist alles gewaltig: Tests, Labore, Investitionen

In Gebäude GG schüttelt Gowda die Wanzen aus der Baumwolle. "Ich glaube, es war ein riesiger Fehler, dass wir in der Vergangenheit so viel geschwiegen haben", sagt der Forscher. "Ich finde es toll, dass ich jetzt von meiner Arbeit erzählen darf." Seine Arbeit sind die Tausenden und Abertausenden Tests, die Monsanto mit den Pflanzen macht, um die genau richtige Kreuzung zu schaffen und den genau richtigen Platz für den neuen insektenresistenten Erbfaktor in der Zelle des Baumwoll-Samens zu finden. Bei dem aktuellen Versuch haben Gowda und sein Team Hunderte Wanzen ausgebrütet und an sie verschiedene Baumwoll-Pflanzen-Häppchen verfüttert. Wenn die Häppchen unangeknabbert blieben, kamen die dazugehörigen Pflanzen in die nächste Testphase.

Die Zweige in den Tüten hat der Wissenschaftler zwei Monate lang wachsen lassen, bevor er zwei weibliche und zwei männliche Wanzen auf ihnen ausgesetzt hat. Genforschung ist viel "Trial and Error", Versuch und Irrtum und simples Ausprobieren, sagt Gowda. Aber es lohne sich. "Das Problem an Insektenschutzspray ist, dass es alle Insekten tötet." Die Genmanipulation dagegen soll nur die Weichwanzen davon abhalten, die Knospen schon abzufressen, bevor sie richtig aufgehen, Bienen und Schmetterlinge sollen überleben.

Monsanto hat ein jährliches Forschungsbudget von 1,5 Milliarden Euro

Bei Monsanto ist alles gewaltig: gewaltige Labors, gewaltige Test-Volumina, gewaltige Investitionen. Gowda und seine bald 2000 Kollegen betreiben Wissenschaft wie am Fließband, Monsantos Forschungszentrum ist eine Art Gen-Fabrik. Die Gewächshäuser auf den Dächern der Gebäude kann man sogar aus dem Flugzeug sehen, sie leuchten wie Leuchtfeuer im Dunkeln. Es dauert mindestens zehn Jahre und kostet 130 Millionen Dollar, um eine neue genetische Eigenschaft in eine Pflanze einzufügen. Was hier in St. Louis wächst, kommt unter Umständen erst in zehn Jahren auf den Markt. Und etliche Versuche scheitern komplett, trotz all der Investitionen.

Zu dem größten Forschungszentrum in St. Louis kommen etliche Standorte in anderen US-Städten und im Ausland. Monsanto hat ein jährliches Forschungsbudget von 1,5 Milliarden Dollar. Mit der Übernahme durch Bayer entsteht ein noch mächtigerer Agrarmulti, der noch mehr Geld in die Suche nach neuen Produkten stecken kann. Alles kommt dann aus einer Hand: Saatgut, Pflanzenschutzmittel und Beratung für die Bauern - schließlich ist ein wichtiger und wachsender Teil von Monsantos Geschäft, den Farmern per App und in den vielen Beratungs- und Verkaufsstellen Tipps zu geben, was sie wann auf welchen Felder aussähen sollen. Vielen Bauern macht das Angst. Sie befürchten, bald auf einen einzigen Großkonzern angewiesen zu sein.

Monsanto kann sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung leisten, weil der Konzern seit den 90er-Jahren einen schier unglaublichen Erfolg mit seiner Gentechnik hatte. Seit dem Jahr 2000 ist der Börsenwert der Firma von sieben auf 46 Milliarden Dollar gestiegen, der Gewinn lag 2015 bei 2,3 Milliarden Dollar. Heute wächst in den USA kaum noch eine Mais-, Soja- oder Baumwollpflanze, deren Erbgut nicht im Labor verändert wurde. Mindestens jedes dritte Maiskorn kommt von Monsanto, bei Sojabohnen sind es etwas weniger. Und andere Unternehmen zahlen eine Lizenzgebühr, um die von Monsanto erfundenen Gen-Eigenschaften in ihrem Saatgut verwenden zu dürfen.

Bevor die genmanipulierten Pflanzen zu Gowda und seinem Team zum Wanzen-Knabbertest kommen, arbeiten die Wissenschaftler im vierten Stock von Gebäude GG an ihrer Perfektionierung. In einer Klimakammer schlagen Maispflanzen gerade ihre ersten Wurzeln in einem Spezial-Gel in einer Plastikbox. Vor sechs Wochen hat jemand mit einer Pipette die Gene des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis in die Mais-Zelle übertragen. Man darf die Tür zur Kammer nicht öffnen, sondern nur durch ein Fenster auf die Plastikboxen schauen. Die Pflanzen wachsen bei ständigem künstlichem Sonnenlicht und exakt 28 Grad. Wenn sie groß sind und der Versuch gelingt, sollen sie Proteine produzieren, die Insektenlarven töten. Um die Ecke wuchern Sojabohnenpflanzen hinter der dicken Metalltür einer Wachstumskammer, drinnen sind genau 60 Prozent Luftfeuchtigkeit und 30 Grad Celsius - Idealbedingungen. Die Pflanzen tragen schon dicke grüne Soja-Schoten.

Hier bei Monsanto arbeiten Menschen, die daran glauben, dass die Menschheit diese Art des Fortschritts für die Landwirtschaft braucht. Die Weltbevölkerung wächst, die Flächen für Ackerbau und Viehzucht dagegen kaum. Und da die Erde wegen des Klimawandels wärmer wird, wird es an vielen Orten in Zukunft schwieriger werden, gute Ernten einzufahren. Es sei klar, dass die Landwirtschaft effizienter werden müsse, sagt Forschungschef Fraley - und dafür brauche es eben Gentechnik. Insektentester Gowda hofft, dass in einer der anderen Tüten eine Pflanze steckt, bei der die Gentechnik gewonnen hat - und die grünen Wanzen das Knabbern nicht überlebt haben.

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