Möbelhaus im Hamburger Zentrum:Neue Mitte

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Angeblich ganz anders: Ikeas erstes Innenstadt-Kaufhaus in Hamburg. (Foto: REUTERS)

Altona statt Autobahn: In Hamburg eröffnet Ikea seine erste deutsche Innenstadt-Filiale. Der Möbelkonzern will junge Großstädter gewinnen, die sich seinem Sog bisher verweigern und setzt auf Dachschrägen, hohe Decken und Fahrräder.

Von Kristina Läsker, Hamburg

Es ist ein Rundgang, bei dem vieles so ausschaut wie immer bei Ikea: Überall stehen Expedit-Regale, es gibt massenweise Kerzen und Bilderrahmen, am Ende warten billige Hotdogs und Soft-Eis. Doch Stopp - in einem Zimmer steht auf dem Parkettboden ein Fernseher, darüber hängt ein schwarzes Herrenrad an der Wand. Ein Fahrrad bei Ikea? Nein, es gibt jetzt nicht auch noch Räder zu kaufen, sagt Hauschef Christian Mollerus, als er durch die neue Ikea-Filiale in Hamburg-Altona führt, die am nächsten Montag öffnen soll. Das Rad sei bloß Deko.

Bloß Deko? Das mag stimmen, und stimmt zugleich auch nicht. Denn das Fahrrad ist auch ein gutes Sinnbild dafür, wie Ikea künftig auf Kundenfang gehen will.

Das zeigt schon das Modellzimmer: Es soll eine typische Innenstadtwohnung in Hamburg sein. Wo eben Räder stehen, weil draußen viel geklaut wird. Gut 200 Haushalte der Hansestadt hätten sich die Ikea-Leute angeschaut, erzählt Mollerus. "Die Menschen wissen oft nicht, wohin mit den Sachen." Für Räder, Dachschrägen und hohe Decken hat Ikea dann Ideen entwickelt - doch es geht um mehr als gute Tipps. Es geht darum, wie sehr sich der Möbelgigant aus Schweden neuerdings um Menschen bemühen muss, die immer häufiger fernbleiben: um junge Großstädter ohne Auto. Leute, die sich mit Fahrrad, Bus und Bahn bewegen. Ikea will - so zeigt das Rad - eben zu diesen Kunden kommen, wenn die schon nicht mehr zu Ikea kommen.

Das neue Haus ist anders, sagt Ikea

Weltweit betreibt der Konzern 356 Häuser in 44 Ländern, doch kaum ein Markt ist so wichtig wie Deutschland. Keine andere Nation begeistert sich so sehr für Billy, Pax und Co. und lässt so viel Geld da. Im vergangenen Geschäftsjahr kletterte der Umsatz global um drei Prozent auf etwa 28 Milliarden Euro. Knapp vier Milliarden lieferten die deutschen Filialen. Und die Ziele sind ehrgeizig: 2020 will der Konzern die Marke von 50 Milliarden Euro Umsatz knacken - und dafür muss Deutschland mitziehen.

Bereits 47 Häuser gibt es hierzulande, Hamburg-Altona ist Nummer 48. "Es ist das erste Einrichtungshaus direkt in der Innenstadt, direkt an der Fußgängerzone", sagt Johannes Ferber, Expansionschef von Ikea Deutschland. Ferber, ein schlanker Mann mit grauen Schläfen, macht nichts anderes, als permanent neue Ikea-Filialen aus dem Boden zu stampfen. Heute Hamburg-Altona. Nächstes Jahr schon Bremerhaven und Kaiserslautern. Dann irgendwann Wuppertal. Doch Altona ist anders, sagt Ferber. Altona ist eine interne Revolution, der Bruch mit den eigenen Regeln.

Bisher geht das Konzept des Möbelriesen aus Älmhult in Schweden so: Ikea stellt einen blauen Klotz mit gelbem Logo auf eine Wiese neben eine Autobahn. Dorthin, wo jeder mit dem Auto schnell hinkommt. Auch in Hamburg gibt es zwei blaue Klötze: draußen in Moorfleet und in Schnelsen, an den Autobahnen. Doch inzwischen ist die Suche nach Standorten schwierig geworden - und es gibt eben diese urbanen Großstädter, die sich dem Sog zu Ikea verweigern. Das wissen Macher wie Ferber, denn sie fragen die Leute an der Kasse oft nach ihrer Postleitzahl. Die 22767 etwa wird selten genannt - das ist die Postleitzahl der Großen Bergstraße in Altona, hier steht das neue Haus. So hat Ikea sich dorthin aufgemacht, wo die Verweigerer wohnen: mitten ins einstige, in die Jahre gekommene Arbeiterviertel. Das hat sich das Möbelkaufhaus viel kosten lassen: Etwa 80 Millionen Euro hat Ikea in das Haus gesteckt - weit mehr als sonst. Vergleichbare Standorte kosteten 50 Millionen Euro, sagt Ferber. "Das ist ein teurer Pilot."

Und es ist ein Testfall, auf den sie intern schauen. Denn wenn Hamburg-Altona klappt, könnte Ikea bald häufiger vom Stadtrand in die City-Mitte vorrücken. Hinein nach New York, Rio oder Stockholm. Nichts wäre mehr unmöglich.

"Kill Billy!": Gegner wollten den Markt in der Innenstadtlage einst stoppen

Doch der Weg nach Altona war schwierig. "Kill Billy!" - mit diesem Aufruf wollten Gentrifizierungskritiker vor fünf Jahren den Markt in der Innenstadtlage stoppen. Ausgebremst wurden sie dann ausgerechnet von Anwohnern und deren Shopping-Lust. Per Bürgerentscheid stimmten gut 77 Prozent der Menschen für den Bau und Ikea erhielt die Baugenehmigung. "Mit weniger Zustimmung hätten wir eine andere Entscheidung getroffen", sagt Ferber. Inzwischen ist der jahrelange Protest erlahmt, der Widerstand gebrochen. Viele Einzelhändler sowie die meisten Politiker haben das Projekt unterstützt, weil sie sich eine Belebung ihres Viertels versprechen. Bis zu 6000 Besucher erwartet Ikea täglich, das soll auch Geld in die vielen kleinen Läden spülen, hoffen die Händler.

Wegen des City-Standorts musste Ikea vieles anders machen. Ein leer stehendes Einkaufszentrum wurde abgerissen. Entstanden ist seit dem Baustart vor zweieinhalb Jahren ein neuer Turm mit sieben Stockwerken und 18 000 Quadratmetern Verkaufsfläche, vier Parkdecks und 730 Stellplätzen. Das Gebäude ist kein Klotz mehr und es ist auch nicht mehr blau, sondern weiß. Es gibt breite Schaufenster zur Straße wie in einem Kaufhaus, am Eingang ist ein Café. Auch der typische Aufbau: oben Möbel, unten Krimskrams und Möbellager, ist verschwunden. Möbel und Accessoires sind jetzt nach Themen sortiert; Küche, Bad, Wohnzimmer.

Dann ist da noch die Sache mit den Fahrrädern: Gut jeder zweite Besucher, so hofft Ferber, soll künftig ohne Auto kommen. Zu Fuß, per Bahn und Bus oder eben per Fahrrad. Draußen stehen Fahrradständer und zwei öffentlich zugängliche Luftpumpen, drinnen gibt es Schließfächer, in die auch Fahrradhelme passen. Lastentaxen, Fahrradkuriere oder ein Lieferservice sollen die Ware nach Hause bringen.

Expansionsmanager Ferber jedenfalls ist aufgeregt und zufrieden, dass es am Montag endlich losgeht. Nur eine Sache ärgert ihn sehr. Das neue Haus muss um halb acht schließen, eine halbe Stunde früher als sonst üblich. Durchgesetzt hat das ein Anwohner mit einer Klage, das Verwaltungsgericht hat den frühen Ladenschluss per Eilentscheid verfügt. Ikea wolle jetzt alles daran setzen, das Hauptsacheverfahren zu gewinnen und länger offen zu bleiben, sagt Ferber. Es geht ja um viel.

© SZ vom 26.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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