Lebensversicherung:Sechs Millionen Lebensversicherungen könnten den Besitzer wechseln

Ergo-Konzernzentrale in Düsseldorf

Ergo-Konzernzentrale in Düsseldorf.

(Foto: Martin Gerten/dpa)
  • Der Versicherer Ergo sucht einen Käufer für die Ergo Leben und die Victoria Leben.
  • Sechs Millionen Lebensversicherungen könnten bei einem Verkauf den Besitzer wechseln.

Von Herbert Fromme, Köln

Es geht um rund sechs Millionen Lebensversicherungsverträge, fast ebenso viele Kunden und 56 Milliarden Euro an Kapitalanlagen. Die Betroffenen hatten einst bei der Hamburg-Mannheimer - heute Ergo Leben - oder der Victoria eine Lebensversicherung abgeschlossen, um für das Alter vorzusorgen. Ein wichtiges Verkaufsargument der schnell redenden Vertreter war damals die finanzielle Stärke des Ergo-Konzerns und vor allem seiner Muttergesellschaft, dem weltweit größten Rückversicherer Munich Re.

Aber demnächst werden Ergo und Munich Re wohl nicht mehr geradestehen müssen für Milliarden an Privatrenten oder Einmalzahlungen, die den Kunden zustehen. Ergo sucht nach SZ-Informationen einen Käufer für die beiden Gesellschaften. Rund 1000 Mitarbeiter wären betroffen. Der Makler- und Beratungskonzern Willis Towers Watson hat das Mandat, einen Käufer zu suchen. Zu den Interessenten gehören chinesische Investoren, US-Hedgefonds und britische Anleger. Sie bereitet sich darauf vor, die detaillierten Verkaufsunterlagen im so genannten Datenraum zu prüfen. Experten schätzen den möglichen Kaufpreis auf deutlich über eine Milliarde Euro.

Die Victoria Leben war in den Neunzigerjahren die vornehmste deutsche Lebensversicherung, noch vornehmer als die Allianz. Aber Anfang des Jahrhunderts verhob sich der Konzern am Aktienmarkt. Seitdem war die Victoria Leben wegen ihrer niedrigen Zinsen kaum noch konkurrenzfähig, musste mit schrumpfenden Marktanteilen leben und schließlich aufgeben: 2010 legte Ergo die Tochtergesellschaft still. Sie akzeptiert seitdem keine neuen Verträge mehr und wickelt die bestehenden ab. Im Jargon heißt das "Run-off".

Fortan verkauften Ergo-Vertreter und Makler nur noch Verträge für Ergo Leben, die einst als Hamburg-Mannheimer Erfolge feierte. Nicht ganz so vornehm wie die Victoria - es waren Hamburg-Mannheimer-Verkäufer, die 2007 zur Sex-Party nach Budapest eingeladen hatten - und etwas aggressiver, aber insgesamt gewinnträchtig. Die fiktive Figur "Herr Kaiser" warb von 1972 bis 2009 für die Hamburg-Mannheimer und wurde Deutschlands bekanntester Versicherungsvertreter. "Hallo Herr Kaiser", ertönte es allabendlich im Werbefernsehen, wenn der ach so nette Anzugträger mit Aktenkoffer seinen Kunden und Nachbarn half.

2009 stellte Ergo die Marke Hamburg-Mannheimer ein und benannte die Gesellschaft um in Ergo Lebensversicherung. Damit war Herr Kaiser tot. Auch der Gesellschaft selbst war kein langes Leben mehr beschieden: 2016 beschloss der neue Ergo-Chef Markus Rieß die Stilllegung. Rieß, einst Chef der Allianz Deutschland, sitzt auch im Vorstand der Obergesellschaft Munich Re.

2016 sagte Rieß noch, der Verkauf sei nur eine von mehreren Möglichkeiten. Ergo könne doch auch für andere Versicherer die Abwicklung organisieren. Doch jetzt drängt er auf den Verkauf - möglicherweise auch, weil seit April 2017 mit Joachim Wenning ein neuer Chef an der Spitze der Munich Re steht. Der will schnelle Ergebnisse sehen, keine Hängepartien.

Also wird Herr Kaiser demnächst weitergereicht. Ein Sprecher bestätigte Verkaufsgespräche. "Falls wir ein gutes Angebot bekommen, schauen wir uns das an." Allerdings werde Ergo die Gesellschaften nicht zu jedem Preis abgeben.

Müssen die Kunden fürchten, nun schäbig behandelt zu werden?

Der Konzern hat gute Gründe für die Trennung: Angesichts der Niedrigzinsen und verschärfter Aufsichtsregeln kosten die Altverträge mit hohen Zinsgarantien von 3,5 Prozent oder vier Prozent sehr viel Kapital, das Ergo vorhalten muss. Dazu kommt die teure Verwaltung. Deshalb der Plan, das Geschäftsfeld an einen Spezialisten abzugeben, der sich auf die Abwicklung konzentriert und das - so die Theorie - deshalb effizienter und billiger machen kann. Ergo will künftig nur noch Verträge ohne Zinsgarantie verkaufen und dafür eine kleine bestehende Gesellschaft nutzen.

Ergo ist nicht allein mit solchen Plänen. Der italienische Generali-Konzern sucht ebenfalls einen Käufer für die Stilllegung der Generali Lebensversicherung. Es geht um rund vier Millionen Verträge. Britische Zeitungen nennen stillgelegte Gesellschaften gerne "Zombie Insurers", die untoten Versicherer. Diese wandelnden Leichen in Großbritannien haben dem Run-off weltweit einen schlechten Ruf eingebracht: Die Kunden wurden schäbig behandelt, sie wurden gedrängt, ihre Verträge zu miesen Konditionen aufzulösen, und sie mussten teuer für Fehler zahlen.

In Deutschland soll das ganz anders laufen, sagt jedenfalls die Finanzaufsicht Bafin. Sie muss jeden Deal genehmigen und will dabei dafür sorgen, dass die Interessen der Kunden gewahrt bleiben. Betroffene sollten unbedingt ihre Ansprüche kennen und genau wissen, was ihnen an Auszahlungen oder Privatrenten zusteht.

Inzwischen haben sich eine Reihe von Firmen auf das Lahmlegen von Geschäftsbereichen der Versicherer spezialisiert: Die Frankfurter Leben gehört dem chinesischen Fosun-Konzern und hat gerade die Arag Leben mit 320 000 Verträgen und 120 Mitarbeitern übernommen. Zuvor wanderte schon ein Altbestand von der Basler Leben zu den Chinesen. Viridium in Heidelberg gehört mehrheitlich dem britischen Investor Cinven, die Hannover Rück ist beteiligt. Viridium wickelt seit 2014 Verträge der Skandia Leben ab. Vor wenigen Wochen hat sie auch die Verträge der Protektor übernommen. Athene in Wiesbaden wurde von Finanzinvestoren vor allem aus Nordamerika gegründet und übernahm 2015 die deutsche Delta Lloyd. Ob aber einer von ihnen bei Ergo zum Zug kommt, ist nicht sicher: Es könnte auch einer der zahlreichen ausländischen Run-off-Spezialisten sein.

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