Milchpreise:Was die Verbraucher mit den Mini-Milchpreisen zu tun haben

Milchpreise: Der Milchpreis fällt, das Angebot ist größer als die Nachfrage.

Der Milchpreis fällt, das Angebot ist größer als die Nachfrage.

(Foto: Rolf Stöger/dpa)
  • Milchbauern produzieren viel zu viel Milch - und leiden unter dramatisch niedrigen Preisen.
  • Drei Viertel der Deutschen greifen im Discounter regelmäßig zu den billigsten Milch-Angeboten.
  • Auf einem Milch-Gipfel in Berlin wollen Bauern, Molkereien und die Politik über Auswege diskutieren.

Von Michael Bauchmüller und Benedikt Müller

Bei Kaufland in Berlin etwa heißt das Verderben der Bauern "Kaufland Classic", der Liter Vollmilch zu 46 Cent. So billig werden knapp drei Viertel der Milch in Deutschland verkauft. Experten sprechen ein wenig beschönigend vom Einstiegspreis. Man könnte aber auch sagen: Dumpingpreis. Klar, Biomilch gibt es bei Kaufland auch, gleich daneben. Sie kostet knapp das dreifache und steht sorgsam eingeräumt im Regal. Kaufland Classic dagegen gibt es palettenweise, in Kartons à zwölf Liter. Der Handel nennt so etwas einen "Schnelldreher".

46 Cent - davon kommen bei Landwirten wie Benjamin Meise aus dem brandenburgischen Fürstenwalde viel zu wenig an. Meise hat deshalb kürzlich bei Fairtrade angerufen. Der Kölner Verein vergibt ein Siegel für Produkte, "bei deren Herstellung bestimmte soziale, ökologische und ökonomische Kriterien eingehalten wurden". Im Supermarkt lassen die sich dann gleich teurer verkaufen. Meise wollte wissen, ob es Fairness auch für seine Milch gibt. "Und wissen Sie, was die gesagt haben? Das Siegel kommt nur auf Produkte von südlich des Äquators." Meises Milch hat da keine Chance. "Ich bin quasi der Depp hier", sagt er. Während sich also Verbraucher gezielt für Kaffee aus Tansania oder Bananen aus der Dominikanischen Republik entscheiden können, landet Meises Milch in Handelsmarken. Die Herkunft verrät nur ein winziger, ovaler Aufdruck mit Kürzeln und Codes, die keiner versteht; Fairness-Siegel gibt es nicht.

Willkommen in der Welt der deutschen Billig-Milch. Ein Überangebot lässt die Preise purzeln, von den Molkereien bekommen die Landwirte im Durchschnitt noch gut die Hälfte jener 40 Cent, zu denen sie halbwegs rentabel arbeiten könnten; oft aber ist es noch weniger. Denn im Handel unterbieten sich Discounter und Supermärkte gegenseitig mit dem Schnelldreher Milch, und die Kundschaft greift zu. Was das für die Bauern bedeutet? Wen schert das, wenn er Geld sparen kann.

Was bei Kaufland "Classic" heißt, nennt sich bei Dieter Hieber "Gut und günstig". Er betreibt zwölf Edeka-Märkte in Südbaden und gibt für seine Kunden eine eigene Illustrierte heraus, Slogan: "Genuss, Vielfalt, Erleben". Und seit Mitte Mai will er seine Kunden von billiger Milch entwöhnen. "Wir überlegen aktuell, die 'Gut und günstig'-Milch aus dem Sortiment zu nehmen", hat der Kaufmann bei Facebook angekündigt. "Es ist Ihre Entscheidung", schreibt Hieber in dem sozialen Netzwerk. "Sie als Verbraucher haben die Macht und die Wahlmöglichkeit am Regal."

Gut und günstig, das ist die Eigenmarke von Edeka. Auch Hieber verkauft den Liter für 46 Cent, jenem Kampfpreis, den zuerst Aldi auf den Markt brachte. Kurz danach haben alle deutschen Handelsketten nachgezogen. In den ersten Monaten dieses Jahres hat Hieber 147 000 Liter "Gut-und-günstig"-Milch verkauft. Vom nächst teureren Produkt, der Schwarzwaldmilch für 1,19 Euro, gingen nur 95 000 Liter über den Scanner. Bei Facebook aber findet Hiebers Idee auf Anhieb viele Freunde. Nur einige wenige merken an, sie seien auf "Gut und günstig"-Ware angewiesen. Deren Regal soll nun kleiner werden, auch Infotafeln schweben dem Edeka-Filialisten vor.

Bio-Milch bietet keinen Ausweg aus der derzeitigen Krise

Doch abgesehen von solchen Fällen steckt der Handel in einer Spirale. Schließlich soll der Schnelldreher Milch die Menschen in den Supermarkt locken, auf dass sie ihren Einkaufswagen noch mit anderen Waren vollmachen. Senkt ein Discounter die Preise, ziehen die anderen deshalb nach. Solange sich daran nichts ändert, stehen bei Bauer Meise und seinen 740 Kühen in diesem Jahr 300 000 Euro Verlust an. Für das nächste rechnet er sogar mit einer halben Million Euro Miesen. "Dann war es das", sagt er. "Wenn man morgens aufsteht und weiß, man hat schon x Euro in den Sand gesetzt - das ist kein Leben."

Das hat auch damit zu tun, dass abgesehen von den Bauern noch allerhand andere Leute an der Milch verdienen wollen. In den 46 Cent, den der günstigste Liter Vollmilch in Supermärkten kostet, stecken auch der Transport, die Molkerei, die Verpackung und die Lagerung. Am Ende kassiert der Händler noch eine Marge und der Staat die Mehrwertsteuer (siehe Grafik).

Die meisten Deutschen greifen zur Billig-Milch

Dem Milchbauern bleiben im Schnitt 15,3 Cent, rechnet das Institut für Ernährungswirtschaft (ife) Kiel vor. "Zu diesem Preis kann kein Landwirt in Deutschland wirtschaftlich Milch produzieren", sagt Holger Thiele, ife-Direktor und Professor an der Fachhochschule Kiel. Einfach aufhören können sie aber auch nicht. Wer in Ställe und Tanks investiert hat, kann nicht eben mal auf Ackerbau umstellen oder zum Biobauern werden. Die nämlich leiden weit weniger unter der Milchkrise. Wer Bio kauft, der zahlt gerne etwas mehr - und die Landwirte bekommen auch deutlich mehr von der Molkerei. Nur dauert die Umstellung und ist teuer. Aus der derzeitigen Krise bietet sie keinen Ausweg; gerade 2,3 Prozent der verkauften Milch ist Bio.

Klar, auch konventionelle Milch lässt sich anders vermarkten. Viele Molkereien füllen ihre Milch in Tetrapaks, die mit der lokalen Herkunft der Milch werben. Prompt lässt sich ein höherer Preis dafür verlangen. Dummerweise ist ein hoher Preis aber noch kein Garant dafür, dass alle etwas davon haben, die für die Milch geschuftet haben. Denn was der Landwirt für seine Milch von der Molkerei bekommt, bleibt im Dunkeln, die Packung verrät es nicht, der ovale Stempel auch nicht. "Selbst wer Marken-Milchprodukte kauft, kann sich nicht automatisch sicher sein, dass auch der Landwirt einen höheren Erzeugerpreis für diese Milch bekommt", warnt Thiele. In erster Linie zahle der Kunde für die Marke. Warum dann nicht gleich zur Billigmilch greifen?

Drei Viertel der Deutschen sehen das so. Nach Zahlen des Marktforschungsunternehmens Nielsen, das die Absätze der Supermärkte auswertet, kaufen die Kunden Frischmilch zu 73,4 Prozent von Handelsmarken wie "Gut und günstig" von Edeka, "Ja!" von Rewe, "Milfina" von Aldi Süd oder eben "Classic" von Kaufland. Alle anderen Markenprodukte teilen sich die restlichen 26,6 Prozent. Bei Butter, Sahne und Schnittkäse sind die Verhältnisse ganz ähnlich - und auch hier sind die Preise teils massiv gefallen. Das Problem setzt sich hier fort, nur noch besser verkappt: Denn ein Großteil der Milch kommt nicht in Tetrapaks in die Welt, sondern weiterverarbeitet. Je billiger der Käse, desto weniger hat die Milch gekostet. "Die Verbraucher sind hierzulande sehr von den Discountern und Niedrigpreisen geprägt", sagt ife-Chef Holger Thiele. Entsprechend lasse sich kaum ein Preisaufschlag für "faire Milchprodukte" durchsetzen.

Lidl wirbt für eine Milchsteuer - aber die Landwirte sind skeptisch

Dass es auch anders geht, will Bernhard Pointner im oberbayrischen Piding beweisen. Seine Molkerei Berchtesgadener Land setzt seit Jahrzehnten auf hohe Preise: Der Verbraucher zahlt mehr als einen Euro für den Liter Milch, davon bekommen die Landwirte knapp 40 Cent. Das liege auch am Genossenschaftsmodell: Die Molkerei gehört den 1800 teilnehmenden Milchbauern. Weder Aktionäre noch Banken müssen bedient werden, sagt Pointner, der Gewinn bleibt in der Genossenschaft.

Seit Jahren zahlt Berchtesgadener Land seinen Milchbauern den höchsten Erzeugerpreis in ganz Deutschland. Das lockt so viele Landwirte an, dass die Genossenschaft zurzeit nur noch Bio- und Bergbauern aus der Region als neue Mitglieder aufnimmt. "Nach meinem Verständnis ist ein Preis fair, wenn alle Beteiligten davon leben können - und sich nicht nur einer freut." Das wiederum würden auch die Verbraucher honorieren.

Am kommenden Montag nun sollen alle Beteiligten in Berlin zusammenkommen, zu einem Milch-Krisengipfel. Den Bauern schwebt eine Art Pakt aller Beteiligten vor, in dem sich Molkereien zu einem höheren Milchpreis verpflichten, den der Einzelhandel dann durchsetzt. Im Vorfeld des Gipfels lässt die Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl auch Kaufland gehört, durchblicken, sie sei zu höheren Preisen bereit, gern auch über eine Milchsteuer, die dann den Bauern zugute kommt. Die Botschaft dahinter ist klar: Wenn die Preise steigen, dann bitte für alle gleichmäßig! "Der einzige Weg ist der über die Marktpartner", sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Bauernverbands. Es reiche nicht, wenn der Handel immer nur über Nachhaltigkeit und Regionalität rede, "aber dann die Milch für 46 Cent ins Regal stellt".

Benjamin Meise will sich auf einen solchen Pakt allein lieber nicht verlassen, ein paar Auswege gäbe es noch. Zum Beispiel ließe sich Milchpulver nach Saudi-Arabien liefern, wo es nur wenige Kühe und noch weniger Weiden gibt. Außerdem hat er ein halbes Dutzend Milchtankstellen beschafft, er will sie im nahen Berlin aufstellen und dort seine eigene Milch verkaufen. In einer Kreuzberger Markthalle etwa, wo die Kundschaft Wert auf frische, regionale Produkte legt. Der Liter soll zwei Euro kosten. "Ich weiß, das ist ein sportlicher Preis",, sagt er. "Aber es ist ein gutes Produkt. Direkt vom Landwirt."

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