Konsumverhalten:Superbillig ist der Renner

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Innerhalb eines Jahres von 19 auf 75 Läden: Restpostenanbieter Jawoll. (Foto: imago)

Selten war die Kaufkraft der Deutschen größer als heute. Das Land befindet sich im achten Jahr eines Wirtschaftsaufschwungs. Aber es boomen die Schnäppchenläden.

Von Michael Kläsgen, Mülheim an der Ruhr

Der ziemlich große Laden Black.de befindet sich im Einkaufszentrum von Mülheim an der Ruhr im ersten Stock ganz hinten in der Ecke, bezeichnenderweise direkt gegenüber von TK Maxx, noch so einem Billigladen, der allerdings Klamotten verkauft, genauer gesagt: Restposten davon. Black.de ist ein sogenannter Non-Food-Discounter. Das heißt, er verkauft alles außer frischem Essen. Wein steht im Regal, genauso wie Marken-Shampoos, Mülleimer, Lineale, Pfannen oder Geburtstagskerzen. Und das alles zu Mini-Preisen. Die Stoff-Schere beispielsweise kostet nur 39 Cent. Black.de wirbt denn auch kalauernd damit, der einzige legale Schwarzmarkt Deutschlands zu sein. Die Dekoration des Ladens ist entsprechend in Schwarz gehalten.

Ein paar hundert Meter weiter in Richtung Mülheim Hauptbahnhof, der keine Augenweide ist, hat ein weiterer dieser neuen Extrembillig-Läden aufgemacht: Action, der Sitz der Firma befindet sich in den Niederlanden. Das Angebot wirkt wie bei Black.de auf den ersten Blick widersprüchlich: Socken, Coca-Cola, Plastikblumen, Tassen, Koffer, Süßigkeiten, alles ebenfalls zu Mini-Preisen.

Die Stoffschere für 39 Cent? Schnell gekauft, auch wenn man sie gar nicht braucht

Willkommen im Billigparadies Deutschland. Das Land befindet sich zwar im achten Jahr eines Wirtschaftsaufschwungs; der private Konsum klettert in diesem Sommer nach Prognosen des Einzelhandelsverbandes HDE auf ein Rekordhoch; dank niedriger Arbeitslosigkeit verfügen die Bundesbürger zudem im Schnitt über so viel Geld wie lange nicht - und dennoch boomen die Läden, die das Billigste vom Billigen anbieten. Mülheim sticht insofern ein wenig hervor, als hier nicht nur Aldi Süd zu Hause ist, sondern auch Tengelmann, die Gruppe, zu der unter anderem der Textildiscounter Kik gehört. Und die zudem an den Discountern Tedi und Black.de beteiligt ist. Wenn Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, wie neulich, die Billig-Branche mit einem Lächeln als "schönes Geschäftsfeld" bezeichnet, darf man davon ausgehen, dass sich damit richtig Geld verdienen lässt. Wohl auch deswegen kündigte Haub eine ziemlich kräftige Expansion von Black.de an.

Der "Schwarzmarkt", der trotz seines Namens keinen Onlineshop betreibt, eröffnete erst im September 2016 in Dortmund den ersten Laden. Bis Ende August dieses Jahres sollen es bundesweit schon 40 sein, bis Ende des Jahres etwa 100 und in fünf Jahren 1000. In Kürze kommt noch das erste Logistikzentrum hinzu.

Solche Expansionspläne hat man selten gesehen. Aber die vom Konkurrenten Action wirken mindestens ebenso ehrgeizig wie die von Black.de. 2016 eröffnete Action in Deutschland 60 Läden, 2017 sollen es bundesweit insgesamt 200 meist völlig gleich aussehende Filialen sein. Ein Distributionszentrum hat Action im Gegensatz zu Black.de schon eröffnet.

Damit sind längst nicht alle Superbilligläden genannt, die sich in Deutschland derzeit rasant ausbreiten. Eine Kette heißt Jawoll, sie erweiterte ihr Filialnetz binnen zwölf Monaten um 19 auf 75 Läden. In den kommenden sechs Monaten will der Jawoll-Discounter, der zu einer britischen Gruppe gehört, 15 weitere Filialen eröffnen. Mäc-Geiz aus Ostdeutschland betreibt schon 260 Läden im Land und will weiter wachsen.

"Geiz ist geiler denn je", schreibt das Branchenmagazin Der Handel in seiner jüngsten Ausgabe. Deutschland sei die Discount-Republik schlechthin. Das gilt weiterhin auch für Lebensmittel. Aldi, Lidl, Penny und Netto verzeichnen nach Angaben der GfK-Marktforscher auch wieder steigende Umsätze, allerdings wohl auch, weil sie sich den Supermärkten etwas angeglichen haben. Auch Textil-Discounter wie Primark und TK Maxx haben in Deutschland Fuß gefasst und machen hier gute Geschäfte, ganz im Gegensatz zu vielen traditionellen Modehäusern. Wie sich die Kette Saks Off 5th entwickelt, die im Juni ihren ersten Laden in Deutschland eröffnete und die zur Kaufhof-Konzernmutter HBC gehört, muss sich noch zeigen. 40 Marken-Discounter sollen es insgesamt werden. Ein ehrgeiziges Ziel. In den Läden gibt es zwar nichts zu Cent-Preisen, aber das Prinzip ist das Gleiche: Die Schnäppchenpreise sollen den Menschen den Kopf verdrehen, ihre Ratio ausschalten und sie zu Käufen verleiten, die sie gar nicht geplant haben.

Die Verkaufsstrategie ist bei Action besonders stark ausgeprägt. Mehr als zwei Drittel des Sortiments wechseln in den Läden ununterbrochen. Jede Woche stellt Action 150 neue Produkte vor. Was der Kunde heute nicht kauft, kann schon morgen nicht mehr im Angebot sein. Die Angebote sind so günstig, dass die Kunden einfach zugreifen, weil ihnen der Preis unschlagbar günstig vorkommt, unabhängig davon, ob sie das Gekaufte auch brauchen.

So viele Menschen strömen in diese Geschäfte, dass die Betreiber inzwischen gegenüber den Herstellern richtig Macht bekommen haben. Sie können die Größe der Artikel, die abgenommene Menge und die Preise wesentlich bestimmen, nicht umgekehrt. Es ist die Macht der Masse, und die wächst - vor allem in Deutschland.

Kik ist inzwischen so groß, dass Deutschland der Kette nicht mehr groß genug ist und auch Europa kaum mehr zur Expansion ausreicht. Deswegen wagt der Textil-Discounter bald den Sprung in die USA. Dort kennt man das deutsche Discounter-Prinzip noch nicht, soll es aber kennenlernen. Und zwar mit richtigen Läden, nicht mit Onlineshops.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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