Geldpolitik:Zins ohne Wende

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Die USA haben Geld schon teurer gemacht, und auch die Europäische Zentralbank wird ihre geldpolitische Linie über kurz oder lang ändern. Aber so hohe Zinsen wie früher wird es nicht geben, und das hat Konsequenzen.

Kommentar von Harald Freiberger

Seit einiger Zeit ist in Europa viel von einer "Zinswende" die Rede. Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), sprach vor drei Wochen bei einer Tagung in Portugal von einer "graduellen Anpassung" seiner Politik des billigen Geldes und des niedrigen Zinses, die seit mittlerweile acht Jahren die Wirtschaftswelt bestimmt und verzerrt. Die Investoren an den Kapitalmärkten reagierten stark auf diese Andeutung. Die zehnjährige Bundesanleihe hat die Zinswende schon vollzogen, ihre Rendite stieg seitdem von 0,25 auf 0,6 Prozent.

In den USA liegen die Leitzinsen bereits bei 1,25 Prozent, weitere Schritte werden folgen. Und so scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch Draghi entsprechende Signale aussendet. Die Beobachter erwarten dies zwar noch nicht von der Sitzung des EZB-Rats an diesem Donnerstag. Aber sie rechnen mit der Ankündigung, dass die EZB die Anleihenkäufe zumindest nicht weiter erhöht. Im Herbst dann könnten die Signale schon deutlicher werden.

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Im Wort "Zinswende" steckt die Hoffnung, dass sich die Zeiten normalisieren und die negativen Begleiterscheinungen der Politik des billigen Geldes nach und nach verschwinden: die Tatsache, dass Sparer auf der Bank für ihr Geld nichts mehr bekommen und sogar etwas davon verlieren, wenn man die Inflation berücksichtigt; dass die Vorsorge für das Alter schwieriger geworden ist, weil gängige Produkte wie Lebensversicherungen weniger einbringen; dass Immobilien boomen und besonders in den Ballungsgebieten für viele unerschwinglich geworden sind; dass Banken nichts mehr an den Zinsen verdienen, was sie zunehmend unter Druck bringt.

All diese Probleme würden entschärft, wenn die EZB nach und nach zu einem "normalen" Zins zurückkehren würde. Ein solcher normaler Leitzins lag in früheren Zeiten bei drei bis vier Prozent. Das war die richtige Größenordnung, um die Wirtschaft im Gleichgewicht zu halten. Sparer und Investoren erhielten damit einen angemessenen Ertrag auf sichere Bankprodukte und Anleihen, zugleich blieb noch Kapital für Aktien übrig; die Preise stiegen, aber nicht zu sehr.

Die Aussicht auf solche gut ausbalancierten Zeiten schwingt auch im Wort "Zinswende" mit. Doch Verbraucher und Unternehmer sollten sich davon nicht zu viel erhoffen. Denn zunächst einmal bedeutet eine Wende nur, dass es mit den Leitzinsen nicht mehr weiter nach unten geht und dass sie wieder steigen - irgendwann. Zum einen ist längst nicht ausgemacht, dass dies bald der Fall sein wird. Die meisten Experten rechnen in Europa nicht vor Anfang 2019 damit; das ist in eineinhalb Jahren. Und zum anderen ist es sehr wahrscheinlich, dass es dann nicht mehr so nach oben geht wie in früheren, "normalen" Zeiten. In den USA ist bereits absehbar, dass es wohl nur zwei Prozent oder etwas mehr werden, aber nicht mehr drei oder vier Prozent.

Häuslebauer haben alle Zeit der Welt

Der Grund dafür ist, dass sich die Notenbanken mit der Politik des billigen Geldes in die Sackgasse manövriert haben. Um in und nach der Finanzkrise einen Absturz der Konjunktur zu verhindern, haben sie Geld in die Wirtschaft gepumpt. Zudem hat die EZB mit den Anleihenkäufen die hoch verschuldeten Staaten vor der Pleite bewahrt und den Euro vor dem Untergang. Auch acht Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise ist der Zustand der Konjunktur nicht robust genug und die Verschuldung der Staaten zu hoch, um zu einem früher normalen Zins zurückzukehren - dies würde noch lange zu einem Beben auf den Märkten führen.

Verbraucher und Unternehmer müssen sich also für längere Zeit darauf einstellen, dass der normale Zins deutlich niedriger liegt als früher. Das hat Konsequenzen: Sparer werden auch künftig mit sicheren Anlagen keine Renditen erzielen, mit denen sich eine gute Altersvorsorge bestreiten lässt; sie sollten zusätzlich in riskantere, aber langfristig höher rentierliche Produkte wie Aktien investieren. Denn für die Aktienmärkte sind niedrige Zinsen tendenziell positiv, weil die Alternativen für Investoren fehlen.

Von Häuslebauern nimmt die Erkenntnis etwas Druck: Sie brauchen nicht in Torschlusspanik zu verfallen; der Zins für Baukredite dürfte nicht zu schnell und zu hoch steigen. Auf der anderen Seite aber werden Immobilien attraktiv bleiben, was gerade in Ballungsgebieten zu noch höheren Preisen führt.

Obwohl derzeit viel von der bevorstehenden "Zinswende" die Rede ist, wird sich also auf längere Zeit nicht allzu viel ändern. Die Wirtschaftswelt, wie die Europäer sie in den vergangenen Jahren kennengelernt haben, wird ihnen in der Tendenz erhalten bleiben.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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