Handgepäck:Stapeln, stopfen, quetschen

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Gedrängel am Gepäckabteil: Szene aus einer Maschine auf dem Flughafen Wien (Foto: dpa)
  • Der Weltverband der Fluggesellschaften IATA regt an, dass die Größe von Handgepäck auf Flugreisen deutlich verkleinert werden soll.
  • Der IATA-Vorschlag ist eine Empfehlung und für die Mitglieder des Verbandes nicht bindend. Es ist nicht damit zu rechnen, dass viele Airlines dem Vorschlag schnell folgen werden.

Analyse von Jens Flottau, Miami, und Thomas Fromm

Koffer sind ein ziemlich mühsames Geschäft. Weil Koffer nicht so oft kaputtgehen wie Autos, Schuhe oder Fernseher. Weil Menschen, die höchstens zweimal im Jahr ihren Hartschalenkoffer aus dem Keller holen, nicht jedes Jahr einen neuen brauchen, muss die Industrie sehen, wo sie bleibt. Es gibt zwar Menschen, die haben hochmoderne Skydro Spinner. Es gibt aber auch viele, die haben Koffer, die so aussehen, als wären sie schon in den 70er Jahren unterwegs gewesen.

Als nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kaum noch jemand in ein Flugzeug steigen wollte, wurde erst recht kein Reisegepäck mehr verkauft. Der Marktführer Samsonite stand kurz vor der Insolvenz. Danach ging es zwar wieder aufwärts, aber die grundsätzliche Frage blieb: Warum sollen sich Menschen, die schon ein paar Koffer haben, noch mehr Koffer zulegen?

Je schwerer das Gepäck, desto mehr Kraftstoff wird auch verbrannt

Wie dynamisch kann eine Branche sein, die als letzte wirklich große und bahnbrechende Neuerung einen Trolley in die Geschäfte gerollt hat? Ein Hoffnungsschimmer, immerhin: Kofferhersteller könnten künftig enger mit Technologiekonzernen kooperieren und die Gepäckstücke so zu intelligenten Reisebegleitern aufsteigen. Koffer, die mit Touristen kommunizieren, ihnen folgen, sich melden, wenn sie verloren gegangen sind - das könnte irgendwann einen Boom auf dem Koffermarkt auslösen.

Nur: Noch ist es nicht so weit.

Vielleicht kommt dieser Vorschlag deshalb gerade zur richtigen Zeit: Der Weltverband der Fluggesellschaften, die International Air Transport Association (IATA), hat ihren Mitgliedern empfohlen, künftig nur noch kleinere Rollkoffer als bislang üblich zuzulassen. Damit will er sicherstellen, dass an Bord von Flugzeugen mit mehr als 120 Sitzen jeder Passagier einen solchen Koffer in den Gepäckfächern unterbringen kann. Natürlich geht es nicht nur allein darum: Jedes Kilo Gepäck kostet die Airlines Geld. Je schwerer das Gepäck, desto mehr Kraftstoff wird verbrannt - auf längeren Strecken kommt da was zusammen.

Ganz nebenbei aber könnte man der Kofferindustrie auch eine Sonderkonjunktur bescheren, wenn jeder Reisende erst einmal neues Bordgepäck kaufen muss, weil seine alten Koffer zu groß sind. Man ahnt sie schon, die Anrufe bei den Branchengroßen Samsonite oder Rimowa: Eine Frage, haben Sie schon die neuen Koffer für meinen nächsten Lufthansa-Flug?

Die Sache hat natürlich einen gewissen Charme, vor allem für Menschen, die es im Flugzeug gerne ruhiger mögen. In einigen Ländern wie den USA ist das Handgepäck immer wieder ein Problem, weil die Passagiere daran gewöhnt sind, auch sehr große Taschen nicht aufzugeben, sondern mit in die Kabine zu nehmen. Wer einmal mit einem Billiganbieter geflogen ist, der für das Einchecken größerer Koffer drei Mal so viel Geld verlangt wie für das Flugticket, der weiß, wie es in den Kabinen solcher Flieger aussieht. Da wird gestapelt, gestopft und gequetscht, wo es nur geht. Bei ausgebuchten Flügen reichen die Gepäckfächer oft nicht aus, die übrig gebliebenen Taschen müssen nachträglich im Frachtraum verstaut werden. Das ist kompliziert und zeitaufwendig. Nicht gut in einer Branche, in der Zeit eine große Rolle spielt.

Neue Initiative der Fluglinien
:Wie Handgepäck kleiner werden soll

Das Handgepäck in Flugzeugen soll schrumpfen, sagt der Weltluftfahrtverband IATA - auch zum Besten der Reisenden. Wie soll das gehen?

Die Lösung soll so aussehen: Laut Weltverband IATA sollen künftig Rollkoffer nicht größer als 55 mal 35 mal 20 Zentimeter sein. Zum Vergleich: Lufthansa und Air Berlin erlauben derzeit Trolleys mit den Maßen 55 mal 40 mal 23 Zentimeter. Bei Ryanair sind es 55 mal 40 mal 20 Zentimeter, allerdings darf jeder Passagier offiziell zwei Handgepäckstücke mitnehmen. Bei Air Berlin und Lufthansa ist es in der Economy Class nur eines, allerdings drücken die Bodenmitarbeiter am Gate oft ein Auge zu.

Werden jetzt alle Gesellschaften losziehen und größere Handkoffer verbieten? Kaum. Der IATA-Vorschlag ist eine Empfehlung und für die Mitglieder des Verbandes nicht bindend. Die Lufthansa etwa kündigte an, man werde den Vorschlag zumindest nicht sofort umsetzen. Auch andere werden ihm auch nicht folgen. Billigfluggesellschaften, die oft für eingechecktes Gepäck zusätzliche Gebühren verlangen, sind meist nicht Mitglied des Verbandes.

Überhaupt dürfte die strikte Umsetzung der neuen Richtlinie schwierig werden, selbst wenn sie flächendeckend übernommen wird. Denn natürlich kann niemand den Passagieren vorschreiben, künftig nur Gepäckstücke mit dem IATA-Zertifikat zu kaufen. Und im Alltag haben die Mitarbeiter am Check-in und dem Gate meist Besseres zu tun, als Rollkoffer zu vermessen. Und selbst wenn: Will man Passagiere wegen ein paar Zentimetern Überlänge etwa wieder nach Hause schicken?

Möglich ist auch, dass sich das Platzproblem, wo es denn eines gibt, bald von selbst erledigt. Für die gängigen Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge Boeing 737 und Airbus A320 entwickeln die Hersteller gerade neue Innenausstattungen, die auch größere Gepäckfächer beinhalten. So sollen künftig an Bord der A320 auch die großen Trolleys mit den Rollen zuerst hineingeschoben und so nebeneinandergelegt werden können, dass die Passagiere ihre Koffer nicht mehr unter den Vordersitz schieben müssen. Airbus bietet auch Fächer an, die sich beim Öffnen nach unten absenken, um den Zugang zu erleichtern.

Und falls nun doch alles enger wird im Flieger: Die meisten Menschen, die außer ihrem Handgepäck nichts dabei haben, sind Geschäftsleute. Die werden dann wohl die ersten sein, die sich neue Aktenkoffer besorgen.

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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