Großbritannien:Großbritannien, das gespaltene Königreich

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Viele Briten sind unzufrieden mit der Politik. Kein Wunder, denn die Kluft zwischen Arm und Reich ist weiterhin groß. (Foto: REUTERS)
  • Großbritannien ist - was den Wohlstand angeht - ein gespaltenes Land. Das zeigt eine Studie, welche die britische Kommission für soziale Mobilität vorgelegt hat.
  • Das hat auch für Europa gravierende Folgen: Schließlich war es Experten zufolge auch die Unzufriedenheit über die Ungleichheit, die zum Brexit-Votum geführt hat.

Von Björn Finke, London

Es ist einer der Lieblingsslogans der Premierministerin: Sie wolle Großbritannien zu einem Land machen, "das für jeden funktioniert", sagt Theresa May. Das Königreich soll allen die Möglichkeit bieten, sich zu entfalten und Chancen zu nutzen, will die Konservative damit ausdrücken.

Ein Expertengremium der Regierung stellt dem Staat nun allerdings ein schlechtes Zeugnis aus: Das Land sei gespalten zwischen Arm und Reich, und die Aufstiegschancen von Kindern aus einfachen Verhältnissen hätten sich kaum verbessert, heißt es in einer Studie, welche die Kommission für soziale Mobilität am Mittwoch vorgelegt hat.

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Der Report untersucht die Entwicklung seit 1997 und prüft, was die diversen Reformen und Initiativen gebracht haben, mit denen die verschiedenen Regierungen das Land gerechter machen wollten. Das ernüchternde Ergebnis lautet: nicht viel. Die Spaltung der Nation habe "frappierend" zugenommen, sagte Kommissionschef Alan Milburn, ein früherer Labour-Abgeordneter und -Minister. "Ganze Teile Großbritanniens fühlen sich abgehängt."

Diese Entwicklung hat Folgen für ganz Europa: Den überraschenden Sieg des Brexit-Lagers im Referendum führen Fachleute schließlich auch darauf zurück, dass viele Briten unzufrieden sind und gegen eine vermeintlich abgehobene Elite aus London und Brüssel stimmen wollten. May sagt ebenfalls immer wieder, bei der Volksabstimmung sei es nicht nur um die EU gegangen, sondern genauso um das Gefühl, das Wirtschaftssystem nutze einigen wenigen Privilegierten, aber nicht der Masse.

Rentnern geht es besser als früher, doch viele junge Briten verdienen nun weniger

Wie tief das Königreich gespalten ist, zeigt zudem der Ausgang der vorgezogenen Neuwahlen vor drei Wochen. Die Konservativen und die größte Oppositionspartei Labour konnten ihren Stimmanteil kräftig ausbauen - eine Polarisierung zu Lasten kleinerer Parteien. Und das, obwohl Labour ein ausgesprochen radikales Programm vorgelegt hatte: Branchen sollten verstaatlicht werden, die Steuern für Reiche sowie Sozialausgaben steigen.

Diese Versprechen kamen überraschend gut an, weswegen May ihre absolute Mehrheit verlor. Im British Social Attitudes Survey, einer langfristig angelegten Umfrage, spricht sich inzwischen fast die Hälfte der Briten für Steuererhöhungen aus, damit der Staat mehr Geld für Schulen, Gesundheit und Soziales hat - so groß war die Unterstützung für eine klassisch linke Politik zuletzt im Jahr 2004. Die neue Studie zur sozialen Mobilität liefert Gründe dafür, wieso viele Bürger frustriert sind und radikalen Wandel wollen.

Denn trotz aller Initiativen verschiedener Regierungen, eine fairere Gesellschaft zu schaffen, sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich seit 1997 gewachsen. Das gilt für die Unterschiede zwischen den Regionen, zwischen dem boomenden London und dem abgehängten industriell geprägten Norden Englands. Es gilt auch für die Unterschiede bei den Einkommen. Der Abstand zwischen Spitzen- und Geringverdienern nahm kräftig zu. Und es gilt für die Unterschiede zwischen den Generationen. Rentner sind die Gewinner der vergangenen Jahrzehnte, sie sind heute im Durchschnitt wohlhabender als Beschäftigte. Zugleich fielen die Gehälter der jungen Briten. Weil die Hauspreise zugelegt haben, können sich darum immer weniger junge Leute den Kauf einer Immobilie leisten - bitter für ein Land, in dem das Motto gilt: My home is my castle.

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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