Geldpolitik:Wer alles unter den Niedrigzinsen leidet

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  • Der negative Zinssatz, den die EZB für kurzfristige Einlagen erhebt, schlägt nun auch bei den Krankenkassen durch. Sie müssen regelmäßig große Summen anlegen und zahlen dafür nun Zinsen.
  • Auch bei der Pflegeversicherung, den Stromkonzernen und den Stiftungen bereiten die niedrigen Zinsen Probleme.

Von M. Bauchmüller, G. Bohsem, H. Freiberger und T. Öchsner, Berlin

Das deutsche Gesundheitssystem ist eine große Umverteilungsmaschine, in deren Mittelpunkt der Gesundheitsfonds steht.

Dessen Geschäftsmodell sieht so aus: Die Krankenkassen zahlen die Beiträge ihrer Versicherten ein, im Schnitt 18,3 Milliarden Euro monatlich. Und vom 16. bis zum Monatsende verteilt der Fonds das Geld dann wieder an die Kassen, nach einem festgelegten Schlüssel. Der Fonds sitzt also jeden Monat für etwa zwei Wochen auf ziemlich viel Geld - und für dieses Geld sucht er permanent nach Möglichkeiten, um es zu parken.

Doch genau das ist derzeit ziemlich schwierig. Wer für ein paar Tage so große Summen anlegen möchte wie der Gesundheitsfonds, stößt damit auf wenig Begeisterung in der Bankenwelt. Er muss damit rechnen, für seine Geldanlage zahlen zu müssen - eine für normale Sparer überraschende Folge der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Im Falle des Gesundheitsfonds waren es im vergangenen Jahr immerhin 1,8 Millionen Euro, bestätigt ein Sprecher des Bundesversicherungsamtes, das den Fonds verwaltet. Doch nicht nur der Fonds ist betroffen. Die Entwicklung beeinträchtigt auch andere Zweige der Sozialversicherung, die Pflegekasse, Stiftungen und sogar die Energiewirtschaft.

Das billige Geld kommt nicht im Wirtschaftskreislauf an

Schuld daran ist die Europäische Zentralbank (EZB), die seit Juni 2014 einen negativen Zinssatz für kurzfristige Einlagen erhebt. Seit Dezember sind es minus 0,3 Prozent. Mit dem Schritt will die Notenbank die Kreditinstitute dazu verleiten, Geld als Kredite in die Wirtschaft zu pumpen, statt es bei ihr zu bunkern. Denn das ist eines der Hauptprobleme für die Konjunktur in Europa: Das viele billige Geld, das die EZB geschaffen hat, kommt nicht im Wirtschaftskreislauf an. Weil die Banken die Negativzinsen nicht alleine tragen wollen, geben sie diese an Großanleger weiter. Unternehmen und Profi-Investoren wie Pensionskassen oder Investmentfonds, die viel Geld kurzfristig bei Banken liegen haben, müssen schon seit mehr als einem Jahr Strafzinsen zahlen.

Und das gilt eben auch für das Gesundheitssystem. Andreas Grein ist Finanzmanager beim AOK Bundesverband. Fünf bis sieben Milliarden Euro muss er im Monat kurzfristig anlegen, um zu gewährleisten, dass die Ortskrankenkassen kontinuierlich Geld an Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker und Physiotherapeuten zahlen können. "Wir haben im vergangenen Jahr noch leicht positiv abgeschnitten", sagte er. "Aber bei Geldanlagen im kurzfristigen Bereich sind Negativzinsen kaum noch zu vermeiden", sagt Grein.

Bisher haben sich nur die Commerzbank, die Deutsche Skatbank, die Internettochter einer Genossenschaftsbank in Thüringen, und die WGZ-Bank dazu bekannt, Negativzinsen zu nehmen. Branchenkenner gehen aber davon aus, dass diese bei fast allen Banken für Großkunden üblich sind. Manche nehmen gar keine großen Anlagen mehr an.

Ein Schild an einem Haus weist in der kleinen Gemeinde Saulgrub auf eine Arztpraxis hin. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Der Gesundheitsfonds und die Kassen etwa sind gezwungen, nur sichere Termingeschäfte zu wagen. "In riskante Wertpapiere werden wir nicht investieren", betont AOK-Investor Grein. Beim Versicherungsamt heißt es, man arbeite nur mit Geschäftsbanken, der Bundesfinanzagentur und der Bundesbank zusammen. Dort gebe es ein Zahlungsverkehrskonto, das vergleichbar ist mit einem Girokonto. Angelegt werde zu marktüblichen Bedingungen, die man täglich abfrage. Auch in den anderen Sozialversicherungssystemen hakt das Geschäft mit der Geldanlage, wenn diese auch nicht so sehr von den Negativzinsen getroffen werden. Für die Anlagemanager der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zum Beispiel wird das Geschäft immer schwerer.

Das meiste Geld, das die Rentenversicherung über Beiträge und Steuerzuschüsse einnimmt, gibt sie sofort für die Leistungen an die 20,5 Millionen Rentner aus. Die Rente hat aber zusätzlich ein finanzielles Polster für Notfälle, etwa wenn sich die Beitragseinnahmen nicht wie erwartet entwickeln. Diese Rücklage beläuft sich auf mehr als 34 Milliarden Euro. Das Geld ist kurzfristig angelegt, maximal bis zu zwölf Monate, um stets liquide zu sein. "Die Zinsen werden banktäglich abgefragt", sagt der Sprecher der DRV. Derzeit gebe es noch eine geringe positive Verzinsung. "Bleibt es bei dem gegenwärtigen Zinsumfeld oder verschlechtert es sich sogar noch weiter, ist aber nicht auszuschließen, dass die Rendite gegen null tendieren oder sogar negativ sein wird."

"Es ist nicht auszuschließen, dass die Rendite sogar negativ sein wird"

Ein Problem mit den Niedrigzinsen gibt es seit Kurzem auch in der Pflegeversicherung, wo seit vergangenem Jahr etwa 100 Millionen Euro auf ein Vorsorgekonto angelegt werden müssen - auf Wunsch des Gesetzgebers. Ziel des Finanzkontos ist es, die Kosten des demografischen Wandels abzufangen. Manch ein Koalitionär fragt sich aber inzwischen, ob es gut war, dies in einer Niedrigzinsphase zu beginnen. Und nicht nur die Absicherung der Pflegevorsorge könnte sich schwierig gestalten, wenn die Zinsen weiter so niedrig bleiben.

Das Zinsniveau bereitet auch den deutschen Stromkonzernen heftiges Kopfzerbrechen. Sie haben 38 Milliarden Euro in den Bilanzen stehen, mit denen sie peu à peu den Rückbau und die Entsorgung ihres Kernkraft-Geschäftes finanzieren wollen. Als sich aber Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Wirtschaftsministeriums das Zahlenwerk genauer anschauten, entdeckten sie, dass die Planungen auf viel zu hohen Zinsen basierten. Als sie dann vier Szenarien mit den angemessenen Zinssätzen berechneten, ergaben sich Lücken zwischen zwölf und 39 Milliarden Euro - so viel mehr müssten die Konzerne demnach an Rückstellungen bilden, wollen sie in ferner Zukunft ihre Altlast bedienen. Nicht umsonst sucht derzeit eine Kommission nach Wegen, das Geld schon vorab zu sichern.

Auch für die mehr als 21 000 Stiftungen in Deutschland seien die niedrigen Zinsen "eine Riesenherausforderung", sagt Birgit Radow, Vize-Generalsekretärin des Bundesverbands Deutscher Stiftungen. So gingen 2014 bei 40 Prozent der Stiftungen die ordentlichen Erträge aus Zinsen, Dividenden und Mieten zurück. Mehr als ein Drittel strich aber höhere Kursgewinne ein. Die Erträge der Stiftungen, die hierzulande etwa 100 Milliarden Euro verwalten, können sich deshalb nach wie vor sehen lassen. 2014 erzielten sie im Mittel Renditen von 3,8 Prozent. Etwa 35 Prozent des neu angelegten Kapitals fließt laut Verband inzwischen in Aktien. Auch reichen Stiftungen vermehrt Darlehen aus oder werben Spenden ein, um Einbußen bei den Zinseinkünften aufzufangen.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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