Ernährung:Die Wurstrevolution hat begonnen

Ernährung: Würste, die nach Wurst schmecken, aber auch nach Spinat und Hirtenkäse, nach Ingwer und Erdnuss.

Würste, die nach Wurst schmecken, aber auch nach Spinat und Hirtenkäse, nach Ingwer und Erdnuss.

(Foto: Jessy Asmus)
  • Immer mehr Gründer wollen gesunde Ernährung mit gutem Geschmack verbinden.
  • Ihre Produkte sind arm an Fett, Zucker oder künstlichen Zusätzen, dafür enthalten sie deutlich mehr Proteine.
  • Die Produkte sind deutlich teurer - profitieren aber vom gesteigerten Gesundheitsbewusstsein der Konsumenten.

Von Anna Dreher

Die Revolution hat ganz unscheinbar begonnen, vor etwa zwei Jahren in einer kleinen Garage im Nordschwarzwald. In Handarbeit, nach vielen Versuchen und am Ende lagen sie auf einem Tisch: Würste. Dunkle, helle und weiße mit grünen Punkten. Würste, die in Darm verpackt genauso aussahen, aber irgendwie doch anders. Würste, die nach Wurst schmeckten, aber auch nach Spinat und Hirtenkäse, nach Ingwer und Erdnuss.

Inzwischen ist die Revolution in München angekommen, im fünften Stock eines Bürogebäudes in der Maxvorstadt. Auf dem Klingelschild steht Grillido, das Innere ist schlicht eingerichtet mit weißen Möbeln, einer vollgeschriebenen Pinnwand und Kartons voller bunter Verpackungen. Ja, hier ist ein Start-up zu Hause. "Wir mischen eine Branche auf, die so traditionell ist, dass dringend Innovation nötig war. Deswegen haben wir auch gesagt: Wir starten die Wurstrevolution", sagt Michael Ziegler, der die Firma mit seinem Freund Manuel Stöffler gegründet hat. "Dabei war das am Anfang eigentlich nur ein Spaß, mit dem wir ein Problem lösen wollten." Das Problem, dass sie selbst etwas kaufen wollten, das es nicht gab: eine gesunde Wurst.

Die Gründer wollen wenig Fett und Zucker, dafür deutlich mehr Proteine

Grillido ist eines von 510 Jungunternehmen, die laut dem Bundesverband Deutsche Start-ups in den vergangenen drei Jahren deutschlandweit im Lebensmittelsektor entstanden sind. Manche von ihnen würden sich zudem in den Bereichen "E-Commerce" oder "Grüne Technologie" ansiedeln und nicht bei "Nahrungsmittel" - die tatsächliche Zahl könnte also noch höher liegen.

Wie uns Fett das Leben schwer macht

Fett ist ein Grundbaustein unserer täglichen Ernährung. Zu viel Fett ist ungesund, zu wenig ist es aber auch. Ein Schwerpunkt zu Fastfood, Speckrollen und Avocados. Alle Texte finden Sie hier.

Die Idee kommt den meisten Gründern aus demselben Grund: Ihnen fehlt ein Produkt, also entwickeln sie es selbst. Bei vielen ist die Idee nicht neu oder überraschend, in der jeweiligen Art aber eben noch nicht da gewesen. Und es gibt einen neuen Trend: Immer mehr Gründer wollen gesunde Ernährung mit gutem Geschmack verbinden. Funktionaler Genuss sozusagen. Wenig Fett, Zucker oder künstliche Zusätze, dafür deutlich mehr Proteine. Jener Makronährstoff, der als einziger noch kein schlechtes Image hat.

"Unser Ziel war es nie, eine große Marke aufzubauen. Aber wir haben schnell gemerkt, dass unsere Würste gut ankommen", sagt Ziegler. Weil Fett als Geschmacksträger fehlt, helfen andere Zutaten: Kokosmilch, Mandeln, Jalapeños und getrocknete Tomaten beispielsweise. Nachdem sie anfänglich auf Märkten verkauften und zu Messen fuhren, kamen schließlich nach einem Auftritt in der Fernsehshow "Die Höhle des Löwen" Investoren auf Ziegler und Stöffler zu. Die beiden Wirtschaftsingenieure kündigten ihre Jobs und konzentrieren sich seit einem halben Jahr nur auf ihr Start-up.

Wer am Markt bestehen will, muss Geld verdienen. Eine gute Idee aber kostet zunächst. Oft sind die Gebühren im Groß- und Einzelhandel zu hoch und manche Konzepte zu kostspielig - im Verkauf und in der Produktion. Das Risiko des Scheiterns trägt deshalb nicht nur das Start-up selbst, sondern auch derjenige, der das Produkt erst ermöglicht: Für viele Lieferanten und Dienstleister lohnt sich der Aufwand bei den vergleichsweise kleinen Produktionszahlen nicht. Auch Iwice, ein Start-up, das proteinhaltiges Speiseeis anbietet, hatte Schwierigkeiten, einen Produzenten zu finden. "Protein ist zwar gerade im Trend, aber der Hype kann ja auch wieder enden", sagt Johanna Köhler aus dem Gründerteam. "Wir verzichten auf chemische Zusatzstoffe, da ist die technische Herausforderung eine ganz andere. Dieses Risiko geht nicht jeder mit."

Die Start-ups besetzen eine teure Nische

Weil Start-ups aus dem Nahrungsmittelbereich für Investoren bislang noch nicht so attraktiv sind wie in anderen Branchen, sind die finanziellen Ressourcen bis zu den ersten Erfolgen überschaubar. Konzerne können Produzenten bei Neuentwicklungen Sicherheit geben, Start-ups nicht. "Man muss viel stärker Potenzial und Perspektive des Produktes herausstellen. Wenn man das geschafft hat, wird es ein gemeinsames Projekt", sagt Köhler.

Start-ups haben zwar den Vorteil, Nischen besetzen zu können, die von Konzernen bislang nicht oder kaum beachtet worden sind. Oft aber müssen sie sich ihren Markt dabei auch erst selbst schaffen und beim Konsumenten so bekannt werden, dass er zum Produkt des Start-ups greift und nicht zur Packung des Lebensmittelkonzerns. Unbekannt und teuer gegen bekannt und günstig - kann das klappen?

Studien des Marktforschers GfK zeigen, dass der Preis als Entscheidungskriterium beim Einkauf zunehmend seine vorherrschende Rolle verliert. Das Interesse an Qualität und Nachhaltigkeit steigt dafür. Natürlich ist es leichter, auf Bio, fairen Handel und Regionalität zu achten, wenn es einem finanziell besser geht. "Aber die gute Konjunktur ist nicht der einzige Grund. Bewussterer Konsum steht schon länger auf der Agenda einer wachsenden Anzahl von Verbrauchern", heißt es in einem GfK-Bericht. Mehr als die Hälfte der Konsumenten achtet demnach inzwischen vor allem auf Qualität.

Nur mit einer guten Geschichte kommt man gegen Konzerne an

Und die können Start-ups gut vermitteln. Artgerechte Haltung, nachhaltiger und biologischer Anbau werden oft von ihnen betont. Weil diese Aspekte neben der Transparenz, flexiblen Strukturen und flachen Hierarchien den Unterschied zu großen Herstellern ausmachen. Vor allem sogenannte "Lohas" - nach dem Englischen Lifestyles of Health and Sustainability - wollen einen nachhaltigen Lebensstil pflegen. Damit tragen diese gesundheits- und umweltbewussten Konsumenten zum Wachstum von Essens-Start-ups bei. Besonders wichtig dabei: die Geschichte des Unternehmens, von Anfängen mit wenig Kapital und viel Arbeit, von den Mühen am Markt bis hin zum Erfolg, von gelebten Werten, die in großen Konzernen längst verloren gegangen sind. Diese Geschichte ist zwar oft ein Klischee, aber eben auch Teil der Argumente für ein Produkt. Glaubwürdig sein, das geht vor allem als kleine Firma gegen die großen Konzerne - als selbsternannter Revolutionär eben.

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