Energiewende:EU-Kommission drängt auf Ausbau des deutschen Stromnetzes

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  • Besonders die Trasse zwischen den Windparks im Norden und dem Süden soll schneller entstehen.
  • Die bislang beanspruchten Leitungen der Nachbarstaaten müssen entlastet werden.
  • Gelingt das nicht, könnte die Kommission eine Teilung des deutschen Marktes fordern. Im Süden würden die Preise steigen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Thomas Kirchner, Brüssel, Brüssel/Berlin

Die europäische Energieunion soll vieles auf einmal leisten: Ihr Ziel ist eine bezahlbare, ökologisch sinnvolle, also das Klima schützende und obendrein sichere Versorgung mit Energie in der gesamten EU. Ein wesentlicher Bestandteil der Strategie sind die erneuerbaren Energien. Ihr Anteil, so die Schätzung der EU-Kommission, wird 2030 auf 50 Prozent gewachsen sein. So steht es im dritten Bericht zur Energieunion, den die Behörde an diesem Freitag präsentiert. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Bewältigen lässt sich das Ziel nur mit einem gewaltigen Sprung nach vorn bei der Infrastruktur. Und hier fordert die Kommission nun Bewegung, nicht zuletzt von Deutschland.

Dem wichtigsten EU-Land will Brüssel beim Ausbau des Stromnetzes Beine machen. Oder: ihm unter die Arme greifen, beide Bilder wären richtig. Das betrifft vor allem die geplante Suedlink-Trasse, jene Stromautobahn zwischen Nord- und Süddeutschland, die dazu beitragen soll, ein zentrales Problem der deutschen Energiewende zu lösen. Einerseits entstehen neue Windparks in Norddeutschland, in Nord- und Ostsee, deren Strom der Süden der Republik gut gebrauchen könnte. Andererseits reichen die Stromleitungen hinten und vorne nicht. In Phasen starken Winds müssen Windräder abgeschaltet werden, während in Süddeutschland Kraftwerke ans Netz müssen, um die Stabilität des Stromnetzes zu gewährleisten. Allein im ersten Quartal dieses Jahres entstanden dadurch Kosten von 327 Millionen Euro.

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Die Stromautobahnen, auf die Brüssel nun drängt, wären die Antwort darauf. Anders als herkömmliche Leitungen transportieren sie Gleichstrom, nicht Wechselstrom. Dadurch können sie Elektrizität auch über größere Strecken ohne große Verluste transportieren. Nur passen diese Stromautobahnen vielerorts nicht in die Landschaft. Die ursprünglichen Pläne, solche Leitungen überirdisch zu bauen, führten in den betroffenen Regionen zu großen Protesten, auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wandte sich gegen diese Trassen.

2015 verständigte sich die große Koalition schließlich darauf, die Leitungen unterirdisch zu verlegen. Nicht mehr 2022, wie ursprünglich geplant, sondern frühestens 2025 sollen große Trassen wie Suedlink oder Suedostlink nun fertig werden.

Deutscher Strom sorgt im Ausland für Verstopfungen

Zumindest die Vorplanungen laufen jetzt besser, der Widerstand ist abgeflaut. "Bei allen großen Projekten liegen wir voll im Plan", heißt es bei der Bundesnetzagentur. "Wir sind gut aus den Startlöchern gekommen." Damit können die Netzbetreiber - im Falle von Suedlink ist das die Bayreuther Tennet - nun ihre Planungen verfeinern. Ausgangspunkt sind immer noch Korridore, aus denen sich erst eine konkrete Trasse herausschälen muss. Diese muss dann das übliche Planfeststellungsverfahren durchlaufen. 2025 ist ein optimistischer Zeitpunkt für die Fertigstellung der 700-Kilometer-Leitung.

Interesse an den neuen Leitungen haben die EU und Deutschland gleichermaßen. Das Stromsystem in Europa wird umso stabiler, je stärker es miteinander verknüpft ist. Das garantiere nicht nur die Versorgungssicherheit, so die Kommission, sondern stärke auch den Wettbewerb und senke die Preise. Deshalb unterstützt die EU den Ausbau grenzüberschreitender Leitungen. "Das befördert natürlich Investitionen", sagt Energie-Kommissar Miguel Arias Cañete. Werde die Lücke in Deutschland geschlossen, senke dies zudem "Handelsbarrieren mit Nachbarländern wie Dänemark, Polen und Tschechien".

Strom sucht naturgemäß den Weg des geringsten Widerstands, und der führt häufig über die Nachbarn, wenn die deutschen Leitungen überfüllt sind. Das führt im Ausland zu ärgerlichen und teuren Verstopfungen. In Deutschland wiederum wird das Management der Stromleitungen billiger, wenn nicht mehr Windräder ab- und Kraftwerke angeschaltet werden müssen.

Frankreich leitet Ökostrom nicht weiter

Allerdings droht gerade aus Brüssel eine andere Gefahr: Die EU-Kommission könnte auf eine Spaltung des deutschen Strommarktes in Nord und Süd bestehen. Die Strompreise würden so besser die Knappheit widerspiegeln. Weil damit höhere Preise in Süddeutschland verbunden wären, will Berlin das unbedingt verhindern. Je schneller Nord-Süd-Leitungen wie Suedlink fertig wären, desto sicherer wäre diese Gefahr abgewendet.

Schon bisher zählt Suedlink zu den "Projekten von gemeinsamem europäischen Interesse". Und so soll es laut Kommission bleiben. Damit profitiert es von schnelleren, maximal dreieinhalb Jahre dauernden Genehmigungsverfahren und Zugang zu unterschiedlichen EU-Töpfen. Seit Anfang 2017 wird die Verbindung schon mit 40 Millionen Euro aus dem Europäischen Infrastrukturprogramm Connecting Europe Facility gefördert. Die Gesamthöhe des Programms für die Zeit von 2014 bis 2020 beträgt 5,35 Milliarden Euro. Wie viel Geld noch fließen wird, sei offen, heißt es in der Kommission. Entschieden wird im Rahmen von jährlichen Ausschreibungen.

Strategisch besonders wichtig sind der Kommission noch drei weitere Vorhaben: der Netzausbau in Südosteuropa, wo noch immer überdurchschnittlich hohe Energiepreise gezahlt werden müssen; die bessere Anbindung der baltischen Länder an das EU-Netz, um die Abhängigkeit von Russland zu verringern; und ein besserer Zugang von der iberischen Halbinsel in den Rest der EU. Bisher bleibt Ökostrom aus dem Südwesten der EU noch oft in Frankreich hängen. Das Atomland leitet ihn schlicht nicht weiter.

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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