Energiewende:Angst vor der Abwicklung

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Ein halbes Jahrhundert in der Planung: das Endlager Schacht Konrad in Salzgitter. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Deutsche Stromversorger haben Rückstellungen gebildet, um den milliardenteuren Abriss von Atomkraftwerken sowie die weitere Milliarden kostende Suche und den Bau eines Endlagers zu finanzieren.
  • Ein Gutachten stellt nun aber fest, dass die Finanzierung bei unterschiedlichen Szenarien - etwa einer Insolvenz - stark gefährdet wäre.
  • Wirtschaftsminister Gabriel prüft nun verschiedene Maßnahmen, um die Rückstellungen zu sichern - ein Modell könnte ein öffentlich-rechtlicher Fonds sein.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Das "goldene Ende" zählt für Manager normalerweise zu den glücklichsten Phasen überhaupt. Fabriken oder Maschinen sind dann abgeschrieben, sie arbeiten nicht mehr für die Bank, sondern nur noch für die Habenseite. Auch Deutschlands Atomkraftwerke haben jahrelang am "goldenen Ende" Geld verdient: Sie hatten nichts mehr abzustottern, aber viel zu verdienen, grob überschlägig eine Million Euro am Tag. Nur kommt bei ihnen nach dem goldenen noch das bittere Ende: Milliarden wird der Abriss kosten, weitere Milliarden Suche und Bau eines Endlagers. Um die 36 Milliarden Euro haben die Konzerne dafür an Rückstellungen gebildet. Fragt sich nur, ob auf die Milliarden Verlass ist.

Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums haben Gutachter das deutsche System der Rückstellungen unter die Lupe genommen. Ergebnis: Dauerhaft sicher ist da nichts. Das liegt zum Teil in der Natur der Sache, denn die Abwicklung der Atomenergie vom Abriss bis zur Endlagerung wird bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts dauern. Allein für die Suche nach einem Endlager rechnet der Bund mit mindestens 16 Jahren, und das muss dann erst noch gebaut, befüllt und wieder verschlossen werden.

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Schon die Kosten ließen sich schwer abschätzen, schreiben die Gutachter, "da bisher weltweit noch kein Kernkraftwerk vollständig entsorgt ist". Ganz zu schweigen von der Zukunft der Atomkonzerne selbst: Die vier Betreiber Eon, RWE, EnBW und Vattenfall stecken derzeit allesamt in der Klemme. Das Geschäftsmodell Atom endet, doch ein neues ist noch nicht in Sicht. Die Zahlen sind mies.

"Wir müssen verhindern, dass sich die Unternehmen davonmachen"

Schon deshalb sehen die Gutachter schwarz. "Es besteht ein erhebliches Risiko für die Finanzierung des Atomausstiegs im Falle einer Insolvenz der Betreibergesellschaften", schreiben sie. Nicht einmal sicher sei, ob sich der Bund aus der Insolvenzmasse bedienen könnte.

Nicht viel besser sieht es aus, wenn sich die Stromkonzerne von ihren Atomtöchtern trennen - dann ist es nämlich mit der Haftung der Mutterkonzerne vorbei. Sie könnten geltendes Recht nutzen, "um sich weitgehend von den Nuklearverbindlichkeiten zu befreien". Zuletzt hatte im Dezember der Eon-Konzern angekündigt, seine Kraftwerke in eine eigene Gesellschaft auszulagern - samt Reaktoren und 14,6 Milliarden Euro Rückstellungen. Der schwedische Vattenfall-Konzern trifft Vorbereitungen für einen Verkauf seiner Kraftwerksgeschäfte in Westeuropa. Es wirkt wie eine Flucht.

Selbst bestehende Sicherheiten schwinden. Bislang haben die Behörden bei einigen AKWs noch Sondervollmachten. Dort müssen sie zustimmen, wenn die sogenannten Beherrschungsverträge zwischen Mutterkonzern und Atomtochter geändert werden sollen. Nur: Mit dem Atomausstieg enden auch die Betriebsgenehmigungen, in denen die Mitsprache geregelt ist. Danach sind die Behörden raus. Eine "Solidarvereinbarung" zwischen den vier Konzernen, die ebenfalls solche Verträge zwischen Mutter und Tochter vorschreibt, endet 2022, wenn auch die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden - und damit just zu dem Zeitpunkt, an dem das bittere das goldene Ende ablöst. Es "entsteht somit ein erhöhtes Insolvenzrisiko erst nach dem Auslaufen der Solidarvereinbarung", schreiben die Juristen.

Experten warnen seit Langem vor diesen Gefahren, auch aus der Politik gibt es schon länger Forderungen, die Milliarden zu sichern, etwa in einem Fonds. "Wir müssen verhindern, dass sich die Unternehmen davonmachen", sagt etwa Michael Müller, einer von zwei Vorsitzenden jener Kommission, die derzeit die neue Endlagersuche vorbereitet. "Und wir müssen davon ausgehen, dass die Abwicklung eher noch teurer wird als gedacht."

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Auch die Gutachter empfehlen nun eine Fondslösung, allerdings aufgeteilt in einen "internen" und einen "externen" Fonds. Den internen soll jeder Konzern schrittweise selber füllen, sauber getrennt von der Bilanz, zweckgebunden und geführt nach festen Anlagekriterien. So könnten für die Atom-Milliarden ähnliche Vorgaben gelten wie für Versicherer, die Geld ihrer Versicherten anlegen. Vor allem die relativ kurzfristigen Aufgaben ließen sich so finanzieren, etwa für AKW-Abriss und Rückbau.

Jahresabschlüsse sollen einem "Stresstest" unterzogen werden

Für das Langfrist-Projekt Endlager dagegen könnte ein externer Fonds entstehen, in Form einer öffentlich-rechtlichen Stiftung. Gespeist würde sie mit den Jahren aus Sonderabgaben der Konzerne. Die Verantwortung der Betreiber für das nukleare Erbe wäre so "sicher festgeschrieben", wirbt das Gutachten. Einen ähnlichen Weg hatten schon im Herbst Staatssekretäre aus Wirtschafts- und Umweltministerium skizziert. Seinerzeit hatten sie 17 der 36 Milliarden Euro für diesen Fonds veranschlagt. Das Gutachten nennt nun keine Zahlen, sieht aber auch keine Hürden. "Jetzt steht fest: Ein öffentlich-rechtlicher Fonds ist rechtlich zulässig", sagt SPD-Fraktionsvize Ute Vogt. "Deshalb müssen wir so schnell wie möglich die Grundlagen für einen öffentlich-rechtlichen Fonds schaffen." Über Details könne man reden.

Das will auch Sigmar Gabriel (SPD), der Wirtschaftsminister. Das Gutachten diene der Vorbereitung von Gesprächen mit den Betreiberfirmen, schrieb er am Freitag an die Koalitionsfraktionen. Zunächst sollten deren Jahresabschlüsse nun einem Stresstest unterzogen werden, dann werde die "Etablierung eines internen oder eines externen Fonds" geprüft. "Mit diesem Ansatz werden wir dazu beitragen, den Rückbau der Kernkraftwerke in Deutschland verursachungsgerecht finanziell zu sichern", schrieb Gabriel.

Leicht wird das nicht, es ist eine Operation am offenen Herzen: Der rasche Entzug von Milliarden könnte die Insolvenz der Betreiber sogar noch beschleunigen. Die Firmen selbst liebäugeln daher mit einer Art Schlussstrich-Stiftung: Sie besäße neben den Milliarden auch alle Atomkraftwerke - trüge dafür aber bis in alle Ewigkeit die Lasten. Reicht das Geld nicht, müsste der Staat ran. Viele Freunde hat diese Idee allerdings bisher noch nicht gefunden. "Man kann sich nicht jahrzehntelang subventionieren lassen", sagt Endlagerkommissions-Chef Müller, "und sich dann aus der Verantwortung schleichen."

© SZ vom 23.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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