Rückbau von Atomkraftwerken:Der teuerste Abriss der Geschichte

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Das Akw Unterweser ist eines von sieben Kernkraftwerken in Deutschland, die abgerissen werden sollen.

(Foto: Getty Images)
  • In Deutschland wird vier Jahre nach der Katastrophe von Fukushima klar, was für ein gewaltiges Projekt der Atomausstieg wird.
  • Es geht um die Demontage des kompletten Kernkraftwerkparks.
  • Etwa 19 Milliarden Euro sind - bislang - dafür veranschlagt.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller

Neckarwestheim oder Philippsburg - fast zwei Jahrzehnte lang waren das für Jörg Michels Orte, die für große Zahlen standen: 190 Milliarden Kilowattstunden Strom speiste das AKW Neckarwestheim 1 ins Netz ein, noch mal so viel Philippsburg 1. Michels, Kernkraftchef des Betreibers EnBW, wachte über fünf Reaktoren, die 50 Prozent des Stroms in Baden-Württemberg lieferten. Michels war der Herr der Atome.

Bis zu diesem Tag vor fast genau vier Jahren. Die Katastrophe von Fukushima war keine Woche alt, als eine Nachricht aus Berlin Mitte März 2011 die Welt des Managers auf den Kopf stellte. Mit einem Moratorium legte die Bundesregierung die sieben ältesten Atomkraftwerke und den Reaktor Krümmel still. Über Nacht wurden die Atomkraftwerke von Stromversorgern zu Stromverbrauchern. Auch Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1.

Wenn Michels heute über seine Arbeit spricht, betet der Ingenieur ganz andere Zahlen herunter. Kolonnen, die mit tonnenschwerer Last zu tun haben: 331 000 Tonnen etwa wiegt das Problem in Neckarwestheim, 398 000 Tonnen in Philippsburg. Michels Langzeitaufgabe heißt inzwischen neben dem Rest-Betrieb der Anlagen: ihr vollständiger Abriss. "Rückbau ist ein wachsendes Geschäftsfeld", sagt er.

Der Abriss stößt auf neues Misstrauen

Und nicht nur in Baden-Württemberg. Überall in Deutschland wird vier Jahre nach der Katastrophe von Fukushima klar, was für ein Riesenprojekt der Atomausstieg wird - abseits der Energiepolitik: Es geht um die Demontage des kompletten Kernkraftwerkparks. "Rückbau zur grünen Wiese" heißt der Plan im Fachjargon. Das bedeutet: 17 Mal fast eine halbe Million Tonnen Stahl und Beton, die zerlegt, dekontaminiert und entsorgt werden müssen. Das Land steht vor dem wohl teuersten und größten Abrissprogramm in der deutschen Geschichte. Etwa 19 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt. Es mag lange dauern, ein Atomkraftwerk zu bauen - doch sein Abriss dauert noch länger.

Wer wissen will, wie ein abgeschaltetes Atomkraftwerk zerlegt wird, muss nach Lubmin an der Ostsee fahren. Gleich hinter dem Strand erhebt sich eine monströse Ruine. Im Volkseigenen Kombinat Kernkraftwerke Bruno Leuschner wurde 1990 das letzte Mal Strom erzeugt. Wenige Wochen nach der Wende war Schluss für den einstigen Vorzeigebetrieb der DDR, 1995 wurde das größte AKW Ostdeutschlands endgültig stillgelegt. Übrig geblieben sind etwa 500 000 Tonnen verstrahlter Industrieschrott.

Seit 20 Jahren nehmen Spezialisten die Anlage nun schon auseinander, dekontaminieren Röhren und Reaktoren - in Schutzanzügen und mit ferngesteuertem Gerät. Ihr Ziel: das komplette Atomkraftwerk samt strahlendem Inventar in handliche Blöcke von maximal 1,70 Meter Breite und einen guten Meter Höhe zu zerlegen. Jede einzelne Kiste wird in Scannern auf Strahlung geprüft, bevor sie das streng überwachte Gelände verlässt.

Heikle Aufgabe

Es ist die bisher größte Rückbauaktion eines Atomkraftwerks weltweit. Am Ende sollen mehr als 90 Prozent der Anlage in den Stoffkreislauf eingeschleust werden - etwa als Schotter für den Straßenbau. Etwa ein Prozent kommt auf Deponien. Ein weiteres Prozent, der radioaktive Kern, in Zwischen- und Endlager. Es ist eine heikle Aufgabe. Vielen macht sie Angst. An zwei Tagen im November lädt das hessische Umweltministerium in die Pfaffenauhalle nach Biblis. Das Atomkraftwerk dort soll abgerissen werden, beide Blöcke des hessischen RWE-Meilers. Die Atmosphäre ist angespannt. Bürger bringen Vorbehalt um Vorbehalt vor. Mal geht es um die Strahlung, die bei dem Abriss freigesetzt wird, mal um die Ernsthaftigkeit von RWE. Der Essener Konzern will zwar auch eine grüne Wiese in Biblis, hat sich aber ein Hintertürchen offengelassen. Der Antrag auf Rückbau, so schrieben die Konzernjuristen, bedeute noch nicht, dass man auf die Betriebsgenehmigung verzichte. Ein Wiedereinstieg in Biblis? Ein ganze Weile diskutieren Bürger und Atomkraftgegner mit, doch am zweiten Tag verlassen sie unter Protest den Saal.

Am Ende hat der Versammlungsleiter sichtlich mit der Enttäuschung zu kämpfen. Schließlich habe er nie erwartet, mal über den Abriss von Biblis verhandeln zu dürfen. Aber mit so viel Gegenwind? "Wir sitzen da in der Zwickmühle", sagt Werner Neumann, der für den Umweltverband BUND an der Biblis-Anhörung teilnahm. "Einerseits sollen die natürlich mit dem Rückbau anfangen - aber bitte nicht so."

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