Eisenbahn in den USA:Warum die Amtrak-Züge so marode sind

Amtrak Train Derailment Causes Mass Injuries In Philadelphia

Robert Sumwalt von der US-Verkehrssicherheitsbehörde informiert Journalisten bei einer Pressekonferenz in der Nähe des Unfallortes in Philadelphia.

(Foto: Alex Wong/AFP)
  • Die US-Bahngesellschaft Amtrak hat ein automatisches Sicherheitssystem installiert, um Unfälle zu verhindern. Die Technik ist vorhanden, doch für Funklizenzen fehlte bisher das Geld.
  • Die Passagierzahlen der Staatsbahn steigen jedes Jahr, doch das Budget wächst nicht. Im vergangenen Jahr machte Amtrak mehr als eine Milliarde Dollar Verlust.
  • Viele Republikaner halten Züge für Verschwendung im Autoland Amerika. Kurz nach dem Unfall kürzte das Repräsentantenhaus die staatlichen Zuwendungen von 1,4 Milliarden auf 1,1 Milliarden Dollar.

Von Kathrin Werner, New York

Er hätte es fast geschafft. Nur noch wenige Monate fehlten. Nach jahrelangem Hin und Her wollte Joe Boardman, Chef der staatlichen US-Bahngesellschaft Amtrak, endlich ein automatisches Sicherheitssystem in allen seinen Zügen installieren lassen. Es hätte den Unfall der Regionalbahn, die am Dienstag auf dem Weg von Washington nach New York entgleist war, verhindern können. "Wir waren sehr nah dran, es anzuschalten", sagte Boardman. "Bis Ende des Jahres werden wir es fertig haben."

Das System, genannt Positive Train Control, kombiniert Hardware, zum Beispiel Antennen, und Software, die in den Zügen und auf den Gleisen installiert wird. Es funkt Informationen über die Geschwindigkeit der Züge und zum Beispiel Fremdkörper auf der Strecke an den Lokführer und die Einsatzzentrale und kann eine Bahn automatisch bremsen. Der Kongress in Washington hatte 2008 vorgeschrieben, dass es in allen Zügen bis Ende 2015 installiert werden muss. Das Problem: Das System kostet Geld - und genau das fehlt der chronisch defizitären Staatsbahn. Die Technik selbst war inzwischen zwar vorhanden, was aber fehlte waren die Funklizenzen. Weil sich die Gesetzgeber nicht einigen konnten, die Frequenzen zuzuteilen, musste Amtrak mit privaten Unternehmen über den Kauf verhandeln, was sich seit vier Jahren hinzieht. Mit acht Toten ist der Unfall der Schlimmste für Amtrak seit 1999. Was genau passiert ist, ist noch unklar. Laut den Aufzeichnungen des Tachos war der Zug mit 164 Kilometern pro Stunde unterwegs, an der Stelle im Norden der Stadt Philadelphia sind aber nur 80 Stundenkilometer erlaubt. Der Zugfahrer habe die Notbremse getätigt, sagte ein Ermittler der Verkehrssicherheitsbehörde NTSB, das habe das Tempo aber vor dem Unfall nur um sechs Kilometer pro Stunde vermindert. Der Lokführer hat mit einer Gehirnerschütterung und Knochenbrüchen überlebt, sagte allerdings aus, er könne sich nicht erinnern, was passiert sei. Bei dem Unglück wurden mehr als 200 Personen verletzt.

Milliardenverluste und Schulden

Amtrak ist ein riesiges Unternehmen, vor allem was die Strecke angeht, die es abdecken muss: 46 US-Bundesstaaten, den District of Columbia in der Hauptstadt Washington und drei kanadische Provinzen, es kommt auf 21 000 Streckenmeilen zwischen Kanada und Mexiko, zwischen Pazifik und Atlantik. Im Geschäftsjahr 2014, das im September zu Ende ging, transportierte das Unternehmen fast 31 Millionen Passagiere, ein Rekord. Boardman ist Herr über fast 400 Lokomotiven und 1500 Passagier-Waggons. Aber er ist auch Herr über Milliardenverluste und Schulden. Bei einem Umsatz von 3,2 Milliarden Dollar blieb unter dem Strich ein Minus von 1,1 Milliarden Dollar, für den der Staat aufkommen muss. Die Strecke zwischen Washington und New York ist eine der wenigen, die sich für Amtrak finanziell lohnt.

Die Passagierzahlen der Staatsbahn steigen jedes Jahr, doch das Budget wächst nicht - und reicht noch nicht einmal, um die bestehenden Gleise und die Flotte in Schuss zu halten. Jede größere Investition, jede technische Neuerung, ist ein Problem. Trotzdem ist das Zugfahren über die Jahre hinweg sicherer geworden. Zwischen 2000 und 2014 ist die Zahl der Unfälle pro eine Millionen Passagiere von 4,1 auf 1,7 gefallen. Kollisionen mit Autos sind in der Statistik der zuständigen Behörde Federal Railroad Administration nicht enthalten, weil sie meist nicht Amtraks Schuld sind.

Durchschnittsalter der Züge: 30 Jahre

Am stärksten gesunken ist die Zahl der Unfälle, die auf Gleise oder menschliches Versagen zurückzuführen sind. Amtrak hat in Strecken und Ausbildung investiert. Unfälle wegen technischen Problemen der Züge sind dagegen kaum gesunken, was auf deren maroden Zustand hinweist. Die Flotte ist im Schnitt rund 30 Jahre alt.

Viele Republikaner halten Züge für Verschwendung im Autoland Amerika - und eine Staatsbahn riecht für sie nach Sozialismus. Am Donnerstag, kurz nach dem fatalen Unfall in Philadelphia, nahm sich das Repräsentantenhaus das Amtrak-Budget vor und kürzte mit den Stimmen der Republikaner die staatlichen Zuwendungen von 1,4 Milliarden auf 1,1 Milliarden Dollar. Die Federal Railroad Administration hat schon zweimal versucht, einen Sonderzuschuss für das automatische Sicherheitssystem zu bekommen, bislang ohne Erfolg. Die Technik kostet 52 000 Dollar pro Gleismeile. Amtrak und die anderen Bahnkonzerne im Land, die es ebenfalls installieren müssen, kommen auf Gesamtkosten von neun Milliarden Dollar, von denen sie schon jetzt 5,2 Milliarden Dollar ausgegeben hätten. Amtrak ist nach Angaben der Behörden mit der Installation weiter als die anderen Betreiber. Auch die Behörde Federal Communications Commission, die die Funkfrequenzen überwacht, habe zu der Verzögerung beigetragen, sagten Vertreter der Bahnbehörde der Zeitung New York Times.

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