"Desertec"-Solarkraftwerk in Marokko:Fünf für die Wüstenstrom-Vision

Regierungen aus Europa und Nordafrika forcieren das Wüstenstromprojekt "Desertec": Deutschland, Frankreich, Italien, Marokko und Spanien wollen nach SZ-Informationen das Jahrhundertvorhaben mit einem Abkommen regeln. 600 Millionen Euro soll das Solarkraftwerk kosten. Die Hoffnungen sind groß.

Markus Balser

Der kleine marokkanische Wüstenort Ouarzazate steht schon seit Jahren für schillerndes Kino. In den Filmstudios südöstlich von Marrakesch nutzen Filmemacher seit Jahren die Energie der Sonne, die hier so gleißendes Licht schafft wie an kaum einem anderen Ort der Erde. Geht es nach den Plänen Marokkos und mehrerer europäischer Regierungen, steht der Name der Stadt künftig für eine Premiere ganz anderer Art.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung forcieren europäische und nordafrikanische Regierungen die Realisierung der Wüstenstromvision Desertec. Deutschland, Frankreich, Italien, Marokko und Spanien hätten Gespräche über ein gemeinsames Abkommen begonnen, das den Bau eines 600 Millionen Euro teuren Solarkraftwerks sowie den Import von grünem Strom nach Europa regeln soll.

Bereits im November soll eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet werden, verlautete aus Regierungskreisen in Marokko und Deutschland. Im ersten Halbjahr 2013 solle dem ein Regierungsabkommen dieser und möglicherweise weiterer Länder folgen, hieß es. Marokkos Industrieminister Abdelkader Amara bestätigte Pläne für ein internationales Abkommen. "Die Kooperation mit Europa ist eine wichtige Achse unserer Energie-Strategie", sagte Amara der SZ.

Die Pläne könnten bereits auf der Desertec-Jahreskonferenz Anfang November in Berlin vorgestellt werden, sagte er weiter. "Es gibt Gespräche mit mehreren Staaten und verschiedenen Ministerien in Deutschland", bestätigte auch eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministers Philipp Rösler (FDP) in Berlin. Die Pläne sehen laut Regierungskreisen vor, den Transport des grünen Stroms nach Spanien sowie dessen Bilanzierung in die EU-Ökostromziele der beteiligten Länder rechtlich zu regeln, hieß es weiter.

Zuletzt blieben Investoren und Großkonzerne zurückhaltend bei der Realisierung der Desertec-Kraftwerke. Zu viele rechtliche Unklarheiten im zersplitterten und national geprägten europäischen Energiegeschäft bremsten die Pläne für den Transport von Solarstrom aus Afrika über viele Ländergrenzen hinweg aus. Erst kürzlich hatte mit Siemens einer der bekanntesten Gesellschafter seinen Ausstieg aus dem Dii-Konsortium angekündigt, weil sich der Konzern aus dem Solargeschäft zurückzieht. Das galt als schlechtes Vorzeichen für die Zukunft der Wüstenstromvision.

Doch das internationale Desertec-Abkommen könnte nun den Durchbruch bringen, heißt es in den Verhandlungskreisen weiter. Allerdings seien noch mehrere Hürden zu überwinden. So gelte es, Spanien angesichts der angespannten Finanzlage bei dem Projekt nicht zu überfordern. Auch zwischen Deutschland und Frankreich gebe es in den Details der Umsetzung noch Unterschiede. Die EU fördere die Pläne.

In der Münchner Zentrale der Planungsgesellschaft Dii geht man davon aus, dass mit den neuen Aktivitäten auf politischer Ebene eine neue Phase für die Wüstenstromvision beginnt. "Zwischen 2014 und 2016 wird das erste Referenzprojekt mit Wind und Solar entstehen", ist sich Desertec-Chef Paul van Son sicher. "Daran arbeiten wir. Die nächsten zwei Jahre werden für die Wüstenstromvision der Beginn der praktischen Umsetzung", sagte van Son der SZ. Die in Deutschland gegründete private Dii - ein Zusammenschluss von mehr als 50 Unternehmen und Organisationen zu deren Gesellschaftern internationale Konzerne wie RWE, die Deutsche Bank, Italiens Energieriese Enel oder auch der saudische Energiekonzern Acwa Power zählen - plant in Marokko ein Kraftwerk mit einer Kapazität von 150 Megawatt.

Die Kabel nach Europa liegen bereits

Finanziert werden soll das Projekt gemeinsam von der Industrie, nationalen Regierungen und internationalen Organisationen. Die Dii-Gesellschafter seien bereit, alleine rund 200 Millionen Euro der Investitionen zu übernehmen, heißt es. "Wir arbeiten eng mit der marokkanischen Solaragentur Masen zusammen, der Plan für das Projekt steht, die Industrie ist interessiert. Wir müssen jetzt noch klären, wer welche Rechnung zahlt", sagt van Son.

Damit beginnt ein regelrechter Wettlauf um die ersten prestigeträchtigen Pilotprojekte des Wüstenstromprojekts. In Tunis stimmte die Afrikanische Entwicklungsbank bereits im Sommer als letzter wichtiger Geldgeber einem weiteren Kraftwerk in Marokko zu. Ebenfalls in Ouarzazate entsteht damit ein zweites Solarthermie-Projekt, das ausschließlich Energie für Marokko liefern soll. Auch hier ist die Bundesregierung am ersten Bauabschnitt beteiligt. Sie schießt 115 Millionen Euro zu.

Das Ziel der Desertec-Planungsgesellschaft ist es, in den Wüstenländern Nordafrikas und des Nahen Ostens erneuerbare Energien aus Sonne und Wind als Wirtschaftszweig aufzubauen. Die Bevölkerung dieser Region wird sich bis 2050 auf 700 Millionen verdoppeln. Damit kann der wachsende Energiehunger nicht mehr allein aus immer teureren fossilen Energieträgern gedeckt werden. Außerdem hat sich die Dii das Ziel gesetzt, 15 Prozent des europäischen Strombedarfs bis zum Jahr 2050 mit Wüstenstrom zu decken. Das gesamte Investitionsvolumen wird in diesem Zeitraum auf mehrere Hundert Milliarden Euro geschätzt.

Marokko setzt bereits große Hoffnungen in das Projekt. Neun Milliarden Dollar will die Regierung in Rabat allein für ihren Solarplan mobilisieren, um die Abhängigkeit des Landes von Energieimporten zu reduzieren. Bislang muss das Land 95 Prozent der Energie einführen. Bereits 2020 aber sollen erneuerbare Energien mehr als 40 Prozent der Kraftwerkskapazitäten des Landes stellen - und so die Importkosten fossiler Energien um 500 Millionen Dollar pro Jahr senken.

Mit dem Export der Energie nach Europa will das Land zudem eine neue Einnahmequelle erschließen. Die Kabel nach Europa liegen bereits: Zwei Leitungen durch die Meerenge von Gibraltar verknüpfen Marokko mit dem europäischen Stromnetz. Damit rückt der Import nordafrikanischer Solarenergie in greifbare Nähe. "Wir sind überzeugt davon, dass diese Energie für uns die Zukunft ist", sagt Marokkos Industrieminister Amara.

Trotz zäher Vorbereitungen für die ersten Projekte gilt die Desertec-Idee in deutschen Unternehmen wegen des international wachsenden Interesses an Solarkraftwerken als Zukunftsgeschäft. So plant allein Saudi-Arabien nach einem Beschluss in diesem Sommer in den nächsten zehn Jahren den Bau von Kraftwerken mit einer Kapazität von 25 Gigawatt - der Leistung von bis zu 20 Atomkraftwerken. Bislang sind lediglich Anlagen in der Größenordnung von drei Kraftwerken installiert. Saudi-Arabien könnte für den ganzen arabischen Raum eine wichtige Rolle spielen, weil es die Finanzkraft hat, Projekte in Nordafrika auf die Beine zu stellen.

Rund 40 deutsche Unternehmen haben sich nach SZ-Informationen zu einem neuen Solar-Netzwerk Deutsche CSP zusammengeschlossen. Dazu zählen etwa Eon, das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum, der Baukonzern Bilfinger und Schott. "Wir erwarten in den nächsten sechs Jahren ein Marktvolumen von 15 Milliarden Euro pro Jahr", sagt Patrick Marckschläger, der Geschäftsführer von Schott Solar.

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