Autoindustrie:In der E-Mobilität ist China einen großen Sprung voraus

Chinese electric vehicles and charging infrastructure

Der Batteriehersteller BYD steht für Build Your Dreams. Die Firma betreibt auch Ladesäulen für Elektroautos .

(Foto: Qilai Shen/Bloomberg)

Die deutsche Autoindustrie träumt noch davon, während in China die Gigawatts schon vom Band laufen. In den Fabriken der Zukunft, die es in Europa gar nicht gibt.

Von Christoph Giesen, Max Hägler und Kai Strittmatter, Shenzhen

Vor ein paar Jahren noch war hier nichts, nur eine Brache im Süden Chinas, gleich an der Grenze zur ehemaligen Kronkolonie Hongkong. Heute steht hier eines der modernsten Batteriewerke des Landes. Es ist ein Vorposten im Kampf um die Vorherrschaft in jener Branche, die für Deutschland am wichtigsten ist: die Autoindustrie. Gebaut wurde die Fabrik vor vier Jahren von BYD. Das steht für Build Your Dreams. Zwei Cousins gründeten 1995 das Unternehmen in Shenzhen, sie fertigten Batterien für Handys, nach fünf Jahren war Motorola ihr Kunde, später dann auch Nokia, fast ein Viertel der Akkus stammte aus den Werken von BYD. Während Nokia in der Versenkung verschwand, ist die Zukunft von BYD gerade erst angebrochen. Aus der Hinterhoffertigung ist einer der wichtigsten Spieler im Rennen um die Elektromobilität geworden.

Es ist eine Milliardenwette. Und Chinas Regierung will sie unbedingt gewinnen. Bevor man die Produktion betreten darf, wird die Kamera am Smartphone abgeklebt. Die Angst vor Industriespionage ist längst in China angekommen. Niemand soll wissen, in welchem Verhältnis Nickel, Lithium, Kobalt und Magnesium gemengt werden. Jeder Hersteller hat seine eigene Mixtur. In großen Kesseln werden die Metalle vereint, wie in einer Brauerei sieht es aus. Dann wird das Gemisch gewalzt, gehärtet, geschnitten und gewrungen. Alles vollautomatisiert.

Bislang verbaut BYD die Batterien vor allem in eigenen Fahrzeugen, mit anderen Herstellern ist das Unternehmen aber im Austausch. Die potenziellen Geschäftspartner sind genauso geheim wie die Akku-Rezeptur. Wer durch die langen Gänge der Fabrik geht und alle zehn Meter eine Topfpflanze passiert, kann zufällig einen Hinweis bekommen: Hinter einer Abbiegung wird auf einmal Schwedisch gesprochen. Volvo-Manager schlendern durch die Produktion. In Europa könnten sie sich eine solche Batteriefabrik nicht anschauen. Es gibt schlicht keine. Die Konzerne, auch die deutschen, scheuen die Kosten.

Chinas E-Förderung ist kein Umweltschutz. Sie ist knallharte Industriepolitik

In Shenzhen geht es dagegen schon zur Sache. 48 Arbeiter in zwei Schichten überwachen nur noch die Anlagen. 100 000 Batteriezellen fertigt BYD täglich. Aus 90 Zellen wird dann ein Akku, der 650 Kilogramm wiegt. Vier Tage dauert die Produktion, danach wird getestet. Beladen, entladen, mehrere Zyklen. Keine defekte Batterie soll das Werk nach knapp einem Monat verlassen. Der beste Abnehmer von BYD ist die Stadtregierung von Shenzhen. Inzwischen fahren alle 16 000 Busse elektrisch. Lediglich 200 Dieselfahrzeuge stehen als Reserve bereit. Ende dieses Jahres sind dann die Taxis dran, die Mehrzahl ist schon umgerüstet. Das ist aber nur Anfang.

2025 sollen in der Volksrepublik ein Fünftel aller verkauften Fahrzeuge elektrisch fahren. Millionen Autos, Busse, Lastwagen. Um die Umwelt geht es nur zum Schein. Peking hat eingesehen, dass trotz Dutzender staatlich verordneter Joint Ventures chinesische Firmen beim Verbrennungsmotor technisch nicht aufgeschlossen haben. Audi, BMW und Daimler liegen hier vorne und eben nicht Geely, Chery oder Brilliance. Elektrofahrzeuge aber brauchen keinen Verbrennungsmotor mehr, der von Öl und Treibstoff durchflossen wird, auf dass die Brennkammern effizient die Kolben in Bewegung setzen. Die bislang mechanisch kompliziertesten Teile werden im Elektroauto nicht mehr benötigt.

Das ist die große Chance für China, Weltmarktführer zu werden. Und das nicht nur in der Elektromobilität, denn die Autoindustrie steht auch vor einem zweiten großen Umbruch: dem autonomen Fahren. Die Führung in Peking hat sich fest vorgenommen, mit Geld und Gesetzen einzugreifen. Die Standards für die Autos der Zukunft sollen chinesisch sein.

Eine Blaupause gibt es dafür bereits. Sie heißt "Made in China 2025" und ist die wahrscheinlich ehrgeizigste industriepolitische Strategie der Welt. In zehn Branchen sollen Unternehmen aus der Volksrepublik bald zur Weltspitze gehören. Unter anderem in der Medizintechnik, im Flugzeugbau, in der Chipindustrie - und in der Elektromobilität. Der Staat hilft, indem er die Forschung großzügig fördert. Entwicklungsbanken und extra eingerichtete Fonds versorgen Firmen der ausgewählten Branchen mit günstigen Krediten.

BMW baut schnell einen neuen Campus bei München

Außerdem versucht Peking es mit Subventionen. Im vergangenen Jahr wurden 567 000 Elektroautos in China verkauft. Etliche Milliarden gab der Staat dafür an Subventionen aus. "Schaut man sich die Zulassungszahlen der Elektrofahrzeuge in China an, fällt auf, dass etwa 90 Prozent der Autos und Busse von Städten und Gemeinden gekauft worden sind", sagt Jochen Siebert, Geschäftsführer der Beratungsfirma JSC Automotive in Shanghai. "Die Subventionen werden also zum Großteil vom Staat an den Staat vergeben. Es ist ein großer Verschiebebahnhof." Aber auch die ausgelieferten Modelle seien diskussionswürdig, meint Berater Siebert. "Bei nahezu allen Fahrzeugen, die derzeit subventioniert werden, handelt es sich um sehr billige Modelle mit alter Technologie", sagt er. "Keines dieser Fahrzeuge wird es je nach Europa schaffen."

Auf dem Papier haben die derzeit gängigen Modelle Reichweiten von etwa 200 Kilometern. Doch in der Realität kommt man nicht mal annähernd so weit. Im strengen Pekinger Winter leiden die Batterien sehr. Dann gibt der voll geladene Speicher oft nicht einmal mehr als 100 Kilometer her. Und auch im Sommer sinkt die Reichweite dramatisch, will man nicht schwitzend bei 38 Grad im Shanghaier Stau stehen. Dann leert die Klimaanlage den Akku.

Ein starker Hebel ist eine verpflichtende Elektroquote für Hersteller. Von 2019 an müssen Konzerne, die mehr als 30 000 Autos pro Jahr in der Volksrepublik verkaufen, für zehn Prozent ihrer Wagen eine sogenannte Kreditpunkte sammeln. In den kommenden Jahren steigt die Quote dann weiter an, 2020 auf zwölf Prozent. Jeder Wagen wird bewertet, belohnt werden Elektroautos mit hoher Reichweite. Maximal gibt es fünf Punkte. Hybridfahrzeuge mit einer Mischung aus Verbrennungsmotor und Elektroantrieb erhalten zwei Punkte. Die meisten Autobauer kalkulieren, im Schnitt mit vier Punkten pro Elektrofahrzeug.

Für Volkswagen, den größten Hersteller in China, bedeutet das: Bereits im kommenden Jahr müssen bei drei Millionen verkauften Wagen etwa 75 000 Elektromodelle gefertigt werden. Das ist anspruchsvoll, aber es hätte schlimmer kommen können. Ende September 2016 veröffentlichte das chinesische Industrieministerium einen Gesetzentwurf, der die Autobranche kalt erwischte. Die Behörde forderte plötzlich eine verbindliche Elektroquote - von 2018 an. Widerspruchsfrist: exakt einen Monat. Für langfristig planende Konzerne war das eine kaum umsetzbare Vorgabe. Die Hersteller hatten zwar mit einer Quote gerechnet, allerdings erst ab 2020. Diesen Zeitraum hatten die Beamten in Peking immer wieder angedeutet. Auf einmal aber gab es dieses frühe Ultimatum.

Die deutschen Hersteller wandten sich an die Politik. Sigmar Gabriel, damals noch Bundeswirtschaftsminister, sprach das Thema bei einer Reise nach Peking an. Keine Reaktion. Erst als Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Wahl Donalds Trumps mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping telefonierte, verständigte man sich mündlich: Die Quote wurde schließlich um ein Jahr verschoben.

Aber sie gilt. Der erste Nutznießer ist JAC, ein Hersteller aus Anhui, dem chinesischen Armenhaus. Eine Stunde von der Provinzhauptstadt Hefei entfernt hat JAC seine Fabrikhallen. 30 000 Angestellte arbeiten hier. Auf den Produktionsstraßen können Elektroautos und Verbrenner im Wechsel montiert werden. Bis vor Kurzem war JAC selbst in China kaum bekannt, seit einem Jahr ist das anders. Gemeinsam mit Volkswagen hat das Unternehmen ein Joint Venture gegründet. Billige Elektroautos für den Massenmarkt sollen hier bald gefertigt werden, damit VW die Quote erfüllt. "Die Regierungspolitik ist sehr wichtig für unsere Industrie", sagt Wang Dongsheng, stellvertretender Generaldirektor von JAC. "Die Regierung widmet uns sehr viel Aufmerksamkeit."

Eingefädelt wurde die Zusammenarbeit beim Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in China. Ihr Gastgeber Premierminister Li Keqiang stammt aus Hefei. "Da verlobten wir uns. Und jetzt heiraten wir bald. Premier Li war der Heiratsvermittler", sagt Wang gut gelaunt. Schon 2020 will JAC 300 000 Elektroautos jährlich bauen. Der Vertrag mit VW läuft bis 2042. Von der Abschaffung des Joint-Venture-Zwangs, den die Regierung in Peking erst dieser Tage verkündet hat, bleibt die Kooperation wohl verschont.

Südkoreanische Firmen sind die besten. China sperrt sie aus, offiziell aus Sicherheitsgründen

Der größte Wert eines Elektroautos stellt derzeit die Batterie da, etwa ein Viertel bis zu einem Drittel des Fahrzeugwertes macht sie aus. Zusammengeschraubt wird der Block, den sie in der Branche mitunter Schokoladentafel nennen, zumeist bei den Herstellern selbst. Doch einzelne Zellen, die Schokostücke also, werden zugeliefert. Die deutschen Ingenieure verstehen natürlich auch, Lithium und Kobalt und all die anderen Stoffe so zusammen zu rühren, dass eine ordentliche Zelle entsteht. Aber die Fabrikation im großen Stil, mit fein justierten Maschinen, die kaum Ausschuss produzieren, die beherrschen derzeit koreanische Firmen wie Samsung und LG am besten - zumindest theoretisch. Im wichtigsten Automarkt der Welt dominieren jedoch die chinesischen Hersteller. 57 Unternehmen hat das zuständige Industrieministerium zugelassen.

Einzig ein japanisches Joint Venture ist dabei, die Koreaner aber sind raus. Offiziell aus Sicherheitsgründen. Stattdessen bauen chinesische Unternehmen die Produktionskapazitäten gewaltig aus. Geht alles nach Plan, sollen schon in zwei Jahren 84 Prozent aller Batterien weltweit in der Volksrepublik hergestellt werden. Noch in diesem Jahr eröffnet BYD eine weitere Fabrik, in der Provinz Qinghai tief im Westen des Landes. 32 Gigawattstunden kann BYD dann pro Jahr fertigen. Und damit ist der Konzern nicht einmal der ehrgeizigste Wettbewerber. CATL aus dem südwestchinesischen Ningde hat sich für 2020 vorgenommen, jährlich 50 Gigawattstunden herstellen. Zum Vergleich: Eine Gigawattstunde liefert genug Kraft, um 40 000 Elektroautos jeweils hundert Kilometer weit fahren zu lassen.

Immerhin, die deutsche Industrie hat erkannt, in welcher Geschwindigkeit China derzeit aufholt, oder bereits überholt. Es gehe um die Standards, heißt es etwa bei BMW. Um autonom fahren zu können, müssen Sensoren aller Art Straßen, Fahrzeuge und Fußgänger erkennen, bei jedem Wetter. In Kalifornien und in China spielen schnelle Computer in Labors etliche Szenarien durch. Bei BMW haben sie binnen weniger Monate im Norden von München einen großen Campus aufgebaut. Plötzlich war dieses mitunter sehr bürokratische und hierarchische Unternehmen ganz schnell - weil es um die Zukunft geht: Vorstandschef Harald Krüger, der das Lautsein gar nicht mag, spricht mittlerweile vom "Krieg". Dem Krieg um die Fahrdaten, dem Krieg darum, wer als Erstes ein sicheres Roboterauto präsentiert. Einen Wagen, der ganz ohne Mensch und Fernsteuerung fahren kann und dabei keinen Unfall baut.

Wer autonom fahren will, braucht einen chinesischen Internetkonzern als Partner

Im neuen Robotercampus sammeln sich abends in der Garage immer silberne Wagen, die ihre Runden abgespult haben. An der Decke hängen Netzwerkbuchsen und Steckdosen, an die die Kabel der Wagen eingestöpselt werden nach den Testfahrten: Einige der Autos werden auf Level fünf getrimmt, so nennen die Automenschen das, wenn beim Fahren zu keinem Augenblick mehr ein Mensch eingreifen muss. Der Computer dafür ist so groß wie ein Büro-PC. "Ich halte das sichere autonome Fahren - im Gegensatz zu manchen 'Marketing-Genies' - für eine riesige Herausforderung", sagt BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich. In drei Jahren, wenn der batteriebetriebenen iNext, auf den Markt kommen soll, müsse BMW diese Herausforderung "voll beherrschen". Nicht Schritt für Schritt zieht BMW in den Krieg, der Konzern will vom jetzigen Stand, den Fahrassistenten, gleich zum Roboterauto kommen.

Bleibt die Frage, wie die Autos künftig ins Netz gehen? Hier setzen die chinesische Regularien an. Seit dem vergangenen Sommer gilt in China das sogenannte Cybersicherheitsgesetz. Davon betroffen sind Firmen, die Hard- oder Software an Betreiber sogenannter "kritischer Infrastruktur" in der Volksrepublik liefern. Gemeint sind damit Telekommunikationsunternehmen, Energie- und Wasserversorger, Transportfirmen oder Finanzkonzerne. All diese Unternehmen dürfen nur noch IT-Produkte kaufen, die eine staatliche Sicherheitsüberprüfung bestanden haben. Hintertürchen inklusive. Außerdem sind Firmen in China nun verpflichtet, den Sicherheitsbehörden auf Anfrage Daten zur Verfügung zu stellen. Unternehmen, die Daten ohne Genehmigung außerhalb Chinas speichern, können ihre Geschäftslizenz verlieren.

Für Autohersteller bedeutet das: Wer in China autonomes Fahren anbieten will, muss wohl mit den großen Internetkonzernen zusammenarbeiten, mit Baidu, Chinas Suchmaschine, mit Alibaba, dem großen Versandhändler, oder mit Tencent, dem Social-Media-Konzern. Die Konkurrenz aus dem Silicon Valley hat China-Verbot.

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