Autoindustrie:Die letzte Chance

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GM hat den Zustand der Panik hinter sich gelassen - das sollten Politik und Gewerkschaften bei ihren Entscheidungen in Sachen Opel berücksichtigen.

Nikolaus Piper

Aus deutscher Sicht ist die Entscheidung von General Motors, Opel nun doch zu behalten, Ausdruck von Kaltschnäuzigkeit und Arroganz. Aus amerikanischer Sicht dagegen ist es ein Zeichen dafür, dass Detroit den Zustand der Panik hinter sich gelassen hat. Und aus globaler Sicht ist es Teil einer umfassenden Neuordnung der Industrie. Deutsche Politiker und Gewerkschafter tun gut daran, sowohl die amerikanische, als auch die globale Seite bei ihren Schritten in Sachen Opel zu berücksichtigen.

Demo gegen General Motors: Am Donnerstag gingen die "Opelaner" auf die Straße - aus Protest gegen die Detroit-Entscheidung. (Foto: Foto: AP)

Eine Pflichtlektüre für alle Opel-Entscheider ist die neueste Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Fortune. Darin beschreibt Steve Rattner, der frühere Autobeauftragte von Präsident Barack Obama, auf neun Seiten, wie und warum die Regierung General Motors und Chrysler durch eine kontrollierte Insolvenz gerettet hat. Das Motiv unterschied sich kaum von dem deutscher Opel-Retter: So wie sich Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier um Bochum und Kaiserslautern sorgen, so fürchtete Obama eine Katastrophe im Mittleren Westen der USA. Der Unterschied zu den Deutschen lag im schnellen, pragmatischen und rücksichtslosen Vorgehen der Obama-Leute.

Vom GM-Management hat Rattner kaum eine bessere Meinung als ein Opel-Arbeiter. Deshalb installierte er einen Verwaltungsrat, der den Leuten bei GM sagt, was sie zu tun haben. Genau dies erklärt auch das Hin und Her um Opel. Und ob das alles Erfolg hat, ist offen: "Wie immer, wenn ein Patient eine schwere Operation hinter sich hat, ist die erfolgreiche Genesung keineswegs gesichert", schreibt Rattner. General Motors und Chrysler sind einen Schritt vom Abgrund entfernt, aber nicht weiter.

GM ist jetzt mitten im Umbruch. Alles hänge davon ab, schreibt Rattner, ob es dem Management-Team gelinge, "ohne die Zufuhr neuen Blutes jenen massiven Kulturwandel umzusetzen, der unerlässlich für den Erfolg ist". Er macht schonungslos klar, dass GM-Chef Fritz Henderson nur ein Mann für den Übergang ist. Faktischer Chef ist der Verwaltungsratsvorsitzende Edward Whitacre.

Klar ist aber auch, dass die staatlich gestützte Insolvenz für GM eine neue Basis geschaffen hat. Der Konzern bekam nicht nur Milliarden Dollar von der Regierung, sondern ist auch den größeren Teil seiner Schulden losgeworden.

Kunden nicht vertrieben

GM hat heute deutlich weniger Verbindlichkeiten in der Bilanz als der wirtschaftlich viel erfolgreichere Konkurrent Ford, der auf Staatshilfen verzichtete. Zudem zeigte sich, dass die Insolvenz GMs Kunden nicht vertrieben hat; im Oktober stieg der Absatz sogar. Das Unternehmen ist dank der Subventionen aus Washington wieder handlungsfähig - der zweite Grund für den Meinungswandel in Sachen Opel. In Detroit wollte man auf keinen Fall riskieren, das für den Konzern lebenswichtige Entwicklungszentrum in Rüsselsheim zu verlieren.

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Und dann die anderen Detroiter Konzerne: Chrysler galt im Winter als fast hoffnungsloser Fall. Obamas Team erwog sogar, den kleinsten der Autobauer fallenzulassen, um die Chancen für GM zu verbessern; der Präsident entschied sich letztlich aus sozialen und regionalpolitischen Gründen dagegen. Heute ist Chrysler faktisch Teil des Fiat-Konzerns. Dessen Chef Sergio Marchionne begeisterte diese Woche zwar Händler und Manager, als er am Firmensitz Auburn Hills sein Konzept für Chryslers Zukunft vorstellte.

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Wende bei Ford

Doch es gibt ein Problem: Chrysler hat momentan nur alte Modelle und keine einzige Neuentwicklung im Angebot. Eine gefährliche Übergangszeit von zwei bis drei Jahren ist zu überbrücken, in der sich Chrysler schon als neues Unternehmen darstellt, aber noch die Autos verkaufen muss, mit denen der alte Konzern untergegangen ist. Zudem liegt Marchionnes Konzept die überaus optimistische Annahme zugrunde, den Absatz bis 2014 verdoppeln zu können.

Ford sieht derzeit wie der klare Sieger aus. Der dritte der Detroiter Konzerne macht wieder Gewinn und hat in der Krise ein Prozent Marktanteil gewonnen. Der Konzern ist auch ein Beleg dafür, wie wichtig "frisches Blut" (Rattner) für Detroit ist. Die Wende hat Ford-Chef Alan Mulally eingeleitet, ein Boeing-Manager, der zuvor kaum etwas mit Autos zu tun hatte. Möglicherweise sind Fords Zahlen sogar zu gut. Vorige Woche lehnten Mitglieder der Gewerkschaft UAW Zugeständnisse ab, die denen entsprochen hätten, die die UAW zuvor GM und Chrysler machte. Ford hat also auf dem Arbeitsmarkt plötzlich einen Nachteil gegenüber seinen Konkurrenten.

Der Überlebenskampf Detroits findet vor dem Hintergrund eines epochalen Umbruchs in der globalen Autoindustrie statt. China dürfte demnächst die Vereinigten Staaten als größten Automarkt der Welt ablösen, gleichzeitig versuchen chinesische Anbieter, auf den Weltmarkt zu drängen. Aber bereits jetzt gibt es zu viele Autofabriken auf der Welt. Die globale Überkapazität liegt zwischen 20 und 30 Prozent. Das macht die Autoproduktion an Standorten wie Detroit und Kentucky, aber auch Wolfsburg, Bochum und Rüsselsheim, immer schwieriger.

Ein Faktor der Unsicherheit ist schließlich die Wirtschaftskrise: Gegenwärtig werden in den USA weniger Autos verkauft, als zur Erhaltung des Bestandes in den Haushalten notwendig sind. Die Zahlen werden sich normalisieren, aber nicht wieder das Niveau von vor der Krise erreichen. Am Tempo der Erholung können sich für die Konzerne Sein oder Nichtsein entscheiden.

© SZ vom 07./0811.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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