Arbeitsgerichts-Präsidentin Schmidt:Wenn bei der Arbeit der Anstand fehlt

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"Wie kommt man dazu, Maultaschen oder Klo-Rollen mitzunehmen?" Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, zeigt Verständnis für Chefs, die wegen eines kleinen Vergehens kündigen. "Es gibt keine Bagatellen", sagte sie im SZ-Gespräch.

D. Esslinger u. D. Kuhr

Wohl nie zuvor mussten sich die deutschen Arbeitsgerichte mit mehr Kündigungen wegen sogenannter Bagatelldelikte befassen als im vergangenen Jahr.

Erst sechs übriggebliebene Maultaschen eingesteckt - und dann kam die Kündigung. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, zeigt Verständnis für Arbeitgeber, die Angestellte wegen eines kleinen Vergehens kündigen. (Foto: Foto: dpa)

Eine Supermarkt-Kassiererin wurde nach 31 Jahren entlassen, weil sie zwei liegengebliebene Pfandbons im Wert von 1,30 Euro für sich verwendet hatte.

Kritik an betroffenen Arbeitnehmern

Einer Sekretärin wurde gekündigt, nachdem sie beim Anrichten eines Imbisses eine Frikadelle verspeist hatte. Und eine Altenpflegerin musste gehen, weil sie trotz ausdrücklichen Verbots nach der Essensausgabe an die Heimbewohner sechs übriggebliebene Maultaschen eingesteckt hatte.

In den unteren Instanzen haben die Arbeitsgerichte solche Kündigungen für rechtmäßig erklärt und sich damit Kritik von Gewerkschaftern und Politikern zugezogen.

Gerichtspräsidentin Schmidt verteidigte die Richter jedoch. Die Kritik sei "völlig daneben" gewesen, sagte sie.

"Jeder frage sich mal, wie viel er sich denn aus der eigenen Tasche nehmen lassen würde, bevor er reagiert." Seit Jahrzehnten gelte die Rechtsprechung, wonach Diebstahl oder Unterschlagung auch geringwertiger Sachen ein Kündigungsgrund sei. "Es gibt in dem Sinne also keine Bagatellen."

Statt die Arbeitgeber als herzlos zu kritisieren, griff Schmidt die betroffenen Arbeitnehmer an.

"Wie kommt man eigentlich dazu, ungefragt Maultaschen mitzunehmen? Oder eine Klo-Rolle, oder stapelweise Papier aus dem Büro?" Das habe "mit fehlendem Anstand" zu tun, sagte die Präsidentin.

Zweifel an SPD-Gesetzentwurf

Die SPD will im Januar einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, mit dem verhindert werden soll, dass Arbeitnehmer wegen geringster Delikte entlassen werden.

Schmidt bezweifelt die Wirksamkeit des Vorhabens. "Neue Gesetze sollten mehr Probleme lösen als schaffen", sagte sie. "Ein neues Gesetz müsste die Frage beantworten, wo genau ist denn die Grenze zur Bagatelle?"

Werde sie beispielsweise bei fünf Euro festgelegt und vor dem Arbeitsgericht lande ein Fall, in dem es um 5,10 Euro geht, dann müsse man sich fragen: "Soll jetzt wegen zehn Cent das ganze Klavier zum Spielen gebracht werden?"

Auch Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht in Bonn, zweifelt an dem SPD-Vorstoß. Aus gutem Grund stehe im Gesetz bislang nur, dass wegen verhaltensbedingter Gründe gekündigt werden dürfe. Ob eine Kündigung im Einzelfall tatsächlich gerechtfertig sei, müssten dagegen die Gerichte entscheiden.

"Wenn man nun für Diebstähle eine Ausnahme macht und im Gesetz konkrete Regeln aufstellt, dann müsste man auch festlegen, wie oft ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber beleidigen darf, bevor er rausfliegt."

Zudem hält der Arbeitsrechtler den Zeitpunkt für den Gesetzentwurf für verfehlt. Mitte des Jahres 2010 will das Bundesarbeitsgericht über den Fall der wegen Pfandbons gekündigten Kassiererin entscheiden.

"Die Politik wäre meines Erachtens gut beraten, dieses Urteil und vor allem die Argumente des Gerichts abzuwarten", sagte Thüsing.

© SZ vom 29.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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