Aktieneinbruch nach ersten Quartalszahlen:Vier Strategien für Twitters Zukunft

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Ein weltweit gewohnter Anblick: Menschen schauen auf ihre Smartphones (Foto: Bloomberg)

Schön, dass Millionen während des Super Bowl twittern. Doch Investoren fragen sich trotz steigender Einnahmen: Wozu ist das gut? Jetzt läuft die Debatte, wie Twitter an Geld kommen kann.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt derzeit anlässlich des zehnten Geburtstages ein schönes Feature auf Facebook: Jeder Nutzer kann in einem kurzen Video seinen ersten Eintrag sehen, die meistgelesenen Status-Updates, die schönsten hochgeladenen Fotos. Es ist nur mit einiger Phantasie vorstellbar, dass Twitter in zwei Jahren bei seinem zehnjährigen Jubiläum seinen Nutzern ein ähnliches Geschenk mit dem ersten Tweet, dem klügsten Retweet und den eifrigsten Followern präsentiert.

Denn das allererste Gezwitscher vor knapp acht Jahren war recht unspektakulär. "just setting up my twttr", hatte Firmengründer Jack Dorsey geschrieben, keine große Nachricht also. Minimalistisch, nüchtern. Und doch ist dieser Satz ähnlich einprägsam wie der Ausruf "Wir haben Farbe" von Steve Jobs oder die Ankündigung von Bill Gates, dass sich bald in jedem Haushalt ein Computer befinden würde. Twitter hat es mit diesem von Einfachheit geprägten Konzept zu einer der bedeutendsten Plattformen für den Austausch von Neuigkeiten im Internet gebracht. Doch noch immer fragen sich viele Menschen: Wozu ist das gut? Und was ist das wert?

Etwa 36 Milliarden US-Dollar war die Antwort der Börse am Dienstagabend. Die Aktie hat ja nicht nur am Tag des Börsengangs - am 7. November des vergangenen Jahres - 73 Prozent zugelegt, sondern ist seitdem nochmals um 50 Prozent gestiegen. Viele Analysten warnten jedoch, dass dies eine viel zu hohe Bewertung sei für ein Unternehmen, das noch immer keinen Gewinn abwirft - und endlich mal erklären muss, wie es denn gedenkt, künftig Geld verdienen und Gewinn abwerfen zu wollen.

Werbung auf Twitter ist gefragt

Der Mittwoch war deshalb ein wichtiger Tag für das Unternehmen und seinen Geschäftsführer Dick Costolo. Zum ersten Mal seit dem Börsengang gab es einen sogenannten "Earnings Call", bei dem Twitter die Zahlen des vergangenen Quartals vorlegen und erklären musste. Dabei durften die Twitter-Nutzer über den Hashtag #TWTRearnings Fragen stellen, von denen Geschäftsführer Dick Costolo auch einige beantwortete, denn eigentlich, so schien es, war es ja ein gutes Ergebnis.

Twitter konnte seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahresquartal um 116 Prozent auf 243 Millionen US-Dollar steigern. Das lag deutlich über den Wallstreet-Erwartungen von etwa 218 Millionen. Mehr als 75 Prozent der Werbeeinnahmen von 220 Millionen Dollar wurden über mobile Geräte generiert. Der Verlust im vierten Quartal lag bei 511,5 Millionen Dollar. Das klingt dramatisch, hat jedoch größtenteils mit dem Börsengang und der auf Aktien basierenden Auszahlung von Mitarbeitern ("stock-based compensation") zu tun. Würde man diese Kosten herausrechnen, hätte Twitter einen Gewinn von 9,7 Millionen Dollar verzeichnet. Immerhin.

Doch es gibt auch Zahlen, die den Anlegern Anlass zur Sorge bieten: Zum einen lockte Twitter zuletzt trotz des Brimboriums um den Börsengang gerade einmal neun Millionen neue Nutzer (insgesamt nun 241 Millionen, davon 184 auf mobilen Geräten) auf seine Seite. Das ist zu wenig für ein Unternehmen, dessen Strategie nach wie vor darin besteht, zunächst Nutzer und Relevanz gewinnen zu wollen - und sich dann um Umsatz und Gewinn zu kümmern. Zum anderen gab Costolo eine äußerst konservative Prognose ab. Der Umsatz im kommenden Quartal werde zwischen 230 und 240 Millionen Dollar liegen. Für das komplette Jahr sagte Costolo Einnahmen zwischen 1,15 und 1,2 Milliarden Dollar voraus. "Wir befinden uns immer noch erst an der Oberfläche dessen, was Twitter sein kann", sagte Costolo.

Hoffen auf Sport-Ereignisse

Wie diese Oberfläche im Jahr 2014 aussieht, ließ sich zuletzt beim Super Bowl beobachten: Knapp 25 Millionen Einträge wurden während der vier Stunden dauernden Partie abgesetzt, in mehr als der Hälfte aller Werbespots war das Twitter-Logo zu sehen. In den kommenden Wochen soll das bei den Olympischen Spielen in Sotschi ähnlich, womöglich sogar noch besser funktionieren. Das Unternehmen ist eine Kooperation mit dem Sender NBC eingegangen, der die Wettbewerbe in den USA exklusiv überträgt. Der Knopf "See it" ermöglicht es amerikanischen Twitter-Nutzern, mit einem Klick vom Kurznachrichtendienst zur Live-Übertragung des Senders zu wechseln. Wenn also jemand schreibt, dass da gerade ein wahnsinnig spannendes Biathlon-Rennen im Gange ist, kann der Nutzer sogleich umschalten und zusehen.

All das klingt sehr innovativ und spannend, doch ist Twitter nun ein börsennotiertes Unternehmen - und die Anleger würden ganz gerne wissen, wie das denn nun weitergehen soll mit Umsatz und Gewinn. Obwohl das Unternehmen Werbung inzwischen prominenter platziert, will man die Nutzer damit nicht bombardieren: "Wir sind sowohl bei absoluten als auch relativen Zahlen gegenüber unseren Mitbewerbern immer noch sehr konservativ", sagte Finanzchef Mike Gupta.

Analysten sprechen davon, dass Twitter vier Strategien verfolgen könnte, um den Umsatz zu erhöhen und endlich Gewinn zu erzielen. Die ersten beiden: noch mehr aktive Nutzer - und noch mehr Aktivität jedes einzelnen Nutzers. "Twitter braucht Millionen neuer Nutzer, um seiner himmelhohen Bewertung gerecht zu werden", sagt etwa der Technologie-Analyst Robert Peck von der Investmentbank SunTrust Robinson Humphrey: "Die Frage lautet: Wie kriegen sie meine Mutter dazu, einen Account einzurichten und mitzumachen?"

Die Datenverkäufer

Die dritte Strategie wäre es, entweder mehr Werbung auf der Seite zu zeigen oder die durchschnittlichen Preise anzuheben. Der vierte Weg: das Lizenzieren von Daten. Twitter ist über Drittfirmen Kooperationen mit dem Fernsehsender CNN, der Produktionsfirma 300 Entertainment und dem Medienkonzern Thomson Reuters eingegangen. Die können nun die Daten des Konzerns anzapfen, um Live-Nachrichten zu erhalten oder künftige Popstars zu entdecken.

Bemerkenswert war, wie sehr Costolo den Live-Charakter seines Dienstes hervorhob: "Twitter ist die einzige Plattform, die gleichzeitig öffentlich und in Echtzeit Gespräche ermöglicht und weit verbreitet ist. Jeder kann einen Tweet erstellen, und jeder kann einen Tweet lesen." Das ist noch das Alleinstellungsmerkmal von Twitter gegenüber Konkurrenten wie Facebook. Doch auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat das Potenzial in diesem Bereich erkannt und versucht Facebook dort stärker aufzustellen.

Was also ist dieser Live-Knotenpunkt tatsächlich wert? Die Investoren gaben nach der Veröffentlichung der Zahlen und den Aussagen von Costolo und Gupta eine recht deutliche Antwort: eher keine 36 Milliarden Euro, sondern vielleicht eher nur knapp 30 Milliarden. Der Aktienkurs stürzte im nachbörslichen Handel erst einmal um 18 Prozent ab.

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