Was Trends über uns aussagen:"Anpassung an eine veränderte Welt"

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Wer Ugg-Boots trägt, Handgestricktes trägt und den Weihnachtsbaum mit Strohsternen schmückt, liegt im Trend. Und er verrät einiges über die Sehnsüchte in einer verunsicherten Gesellschaft. Gespräch mit einem Trendforscher über Guttenberg und Familienfeste, das Magazin "Landlust" und die Träume der Deutschen.

Violetta Simon

Wie entsteht eigentlich ein Trend? Und warum kaufen so viele Menschen dieselben Dinge? Der Hamburger Trendforscher Professor Peter Wippermann setzt sich mit diesen Fragen auseinander, um Marktchancen zu erkennen. Das Ergebnis nennt sich " Emotional Design" - Produkte, die aus den Sehnsüchten einer Gesellschaft resultieren. In einem Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt der Hamburger Professor diese Sehnsüchte und wie sie sich zu erkennen geben.

Diese Stiefel liegen voll im Trend. Wer sie trägt, verrät einiges über seine Sehnsüchte. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Egal wie wir uns anziehen, was wir essen, wie wir uns einrichten oder kommunizieren - der Begriff "Trend" bestimmt unseren Alltag. Weshalb kaufen so viele Leute dasselbe?

Peter Wippermann: Trends bieten Bindung, erzählen von Übereinstimmung mit anderen Menschen, ohne dass man irgendwelchen Institutionen beitreten muss. Man vertritt eine Meinung und zeigt das, indem man Produkte oder einen Lebensstil annimmt. Und wenn man sich damit nicht mehr wohlfühlt, folgt man einem neuen Trend. Im Grunde ist ein Trend nichts anderes als eine Anpassungsstrategie an eine sich ungeheuer schnell verändernde Alltagswelt.

sueddeutsche.de: Unser Alttag ist derzeit vor allem geprägt von politisch-ökonomischer Verunsicherung. Wie macht sich das bemerkbar?

Wippermann: Durch eine Orientierung weg von Produkten hin zu Beziehungen. Im Vordergrund steht die Art und Weise, wie diese Produkte gemacht wurden. Das kann man sehr schön sehen an den Do-it-yourself- und Handarbeit-Trends, die in der Krise entstanden sind.

sueddeutsche.de: Dann liegen also die selbstgestrickten Strümpfe von Omi wieder voll im Trend?

Wippermann: Ja, aber nicht, weil das Ergebnis so überzeugend ist. Sondern weil es von einem Menschen gemacht wurde, den man kennt. Deshalb steht jede Art von traditioneller Handwerkskunst ungeheuer hoch im Kurs.

sueddeutsche.de: Dennoch wäre es noch schöner, wenn das Geschenk auch optisch überzeugen würde ...

Wippermann: Deshalb sind Pulswärmer und Stulpen so angesagt. Sie gelten als modisch und gleichzeitig traditionell. Außerdem geben sie das Gefühl von Wärme. Auch die Pudelmützen mit Kunstfell, die man derzeit häufig sieht, geben die Sehnsucht sehr gut wieder - da verbindet sich das Handgemachte mit dem Natürlichen. Ein weiteres Beispiel ist der "Ugg"-Boot. Die Kombination - unten ganz derb, oben schmeichlerisch - finden Sie momentan in vielen Schuhgeschäften.

sueddeutsche.de: Und dieser klobige, unförmige Stiefel birgt eine Sehnsucht?

Wippermann: Ja: bestehen zu können und sich trotzdem selber zu verwöhnen.

sueddeutsche.de: Was ist mit unserem Lebensraum - wie richten wir uns ein?

Wippermann: Vor allem gemütlich, das kann man unter anderem an der Beleuchtung sehen - die Stehlampe erlebt eine deutliche Renaissance: Oft wird der eng gezogene Lichtkegel kombiniert mit einem rauchfreien Kamin.

sueddeutsche.de: Diese Paraffin-Zimmerkamine stehen mittlerweile in jeder Wohnung ...

Wippermann: Ja, weil sie "convenience" sind - aber auf symbolische Weise. Der Heizwert ist relativ gering, der emotionale Effekt umso höher.

sueddeutsche.de: Auch in der Politik hatten wir in diesem Jahr einen Hype zu verzeichnen - welche Sehnsucht hat der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei uns geweckt?

Wippermann: Bei Guttenberg ging es nicht mehr um Parteiprogramme, sondern um die einzelne Person, die erst überhöht und dann verdammt wurde. Guttenberg hatte durch sein germanisches " Preppytum", das er gelebt hat, für die neokonservative liberale Schicht eine hohe Anziehungskraft. Er stand für scheinbaren Konservativismus, trat dabei aber sehr modern auf. Er zeigte Flagge in der Musikszene, inszenierte sich - was heutzutage für jeden Pflicht geworden ist - und vollzog dann den Absturz in puncto Glaubwürdigkeit.

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Lena Jakat

sueddeutsche.de: ... den die Menschen ihm gerade deshalb nicht verzeihen, weil sie sich so stark mit ihm identifiziert haben ...

Professor Peter Wippermann gilt als einer der führenden Trendforscher in Deutschland. Dem Hamburger wird der Begriff "Ich-AG" zugeschrieben, das 2002 zum Unwort des Jahres gewählt wurde. (Foto: obs)

Wippermann: Genau. Die Akzeptanz und auch die Enttäuschung im Hinblick auf eine Person ist bezeichnend für die Reduktion der Politik auf den Menschen. Der Absturz ist irreversibel, weil die Enttäuschung - ähnlich wie in einer Paarbeziehung - so gravierend ist, dass man sie nicht ohne weiteres zurücknehmen kann.

sueddeutsche.de: Die Sehnsucht nach Tradition spiegelt sich verstärkt auf traditionellen Festen. Gerade auf dem Oktoberfest tragen plötzlich alle Tracht, egal, ob aus Hamburg, Berlin oder dem Ruhrpott.

Wippermann: Die Tracht ist der Fetisch der Gemütlichkeit. Die Idee, dass man sich Tradition kaufen kann, um an den Ritualen teilhaben zu können und dadurch aufgehoben zu sein in einem Kontinuum - das kann man beim Oktoberfest wunderbar beobachten.

sueddeutsche.de: Dennoch leben wir einen modernen Alltag - wir haben Frauen in Führungspositionen und einen schwulen Außenminister. Wie passt das zusammen?

Wippermann: Vor allem leben wir in einer unstrukturierten Welt, in der mehr als die Hälfte der unter 25-Jährigen keinen geregelten Tagesablauf mehr hat. Die Auflösung der Orientierung im Alltag erzeugt eine Sehnsucht nach Ritualen, nach Wiederholung, nach Berechenbarkeit, nach traditionellen Festen. Wenn man sich klarmacht, dass wir vorwiegend in der virtuellen Welt präsent sind - sei es über Telefon, Smartphone, Computer -, ist das Greifbare, Reale der Traum schlechthin.

sueddeutsche.de: Eine ganze Branche lebt davon, dass immer mehr familienbezogene Feste wie Taufe, Hochzeit zu Events hochstilisiert werden. Spiegelt sich auch da eine gewisse Sehnsucht nach etwas Greifbarem?

Wippermann: Ja, dieser Trend hängt stark mit dem Verschwinden der Familie zusammen. Wir sind eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen alleine leben. Familie wird damit zur Sehnsuchts-Zufluchtsform, die schwer zu leben ist - denken wir nur an Horst Seehofer oder Oskar Lafontaine. Das bewusste Inszenieren der Familienfeste ist zum Statussymbol geworden: Wer es sich leisten kann, Familie zu haben und die auch zu halten, der hat es wirklich geschafft.

sueddeutsche.de: US-Modelabels wie Tommy Hilfiger inszenieren in ihren Kampagnen gerne eine solche heile Welt mit Familie.

Wippermann: Das ist gelebtes amerikanisches Bürgertum! Und genau so sieht Weihnachten in diesem Jahr bei uns aus: Nicht mehr verkitscht und überdekoriert, nicht mehr ironisiert durch verfremdeten Christbaumschmuck, die Grundfarben Grün/Rot werden respektiert.

sueddeutsche.de: Mit anderen Worten: An unseren Bäumen sieht es wieder traditioneller aus als in den vergangenen Jahren?

Wippermann: Die Zeiten, in denen Gold und Silber dominierte, sind vorbei. Prunk und die Protzigkeit wurden mittlerweile zurückgenommen. Wenn wir nun Strohsterne an unseren Tannenbaum hängen, schließt sich der Kreis: zur Handwerkskunst. Der Prozess des Selbermachens ist das Entscheidende - nehme ich den roten oder doch lieber den weißen Faden? Man nimmt sich Zeit, um in Zeitschriften nachzuschlagen und Vergessenes wieder zu aktivieren.

sueddeutsche.de: So gesehen ist es kein Wunder, dass ein Magazin wie Landlust so erfolgreich ist ...

Wippermann: Wenn man sich klarmacht, dass diese Zeitschrift - die aus einem landwirtschaftlichen Verlag kommt und keinerlei News-Wert besitzt, sondern von verschwundenen Traditionen berichtet und die Natur mystifiziert - eine höhere Auflage hat als die einst größte Illustrierte Stern, dann bekommt man eine ungefähre Ahnung davon, wovon die Menschen in Deutschland träumen.

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