Modewoche Paris:Adieu, Wahnsinn

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Finale mit Konfetti: Jean Paul Gaultier, das Enfant terrible der Designer, feiert seine letzte Prêt-á-porter-Schau in Paris als Misswahl. (Foto: REUTERS)

Die Pariser Modewoche setzt in diesem Jahr auf schnellen Konsum. Für die Frauen ist das keine schlechte Sache, auch wenn mehr Wagemut hübsch wäre. Wie einst bei Jean Paul Gaultier - der unter Tränen verabschiedet wird.

Von Tanja Rest, Paris

Am vierten Tag der Modewoche läuft man durch den Torbogen des Louvre auf ein Bild zu, das vieles auf den Punkt bringt. Vor einem die historische Palastfassade, hoch oben silbern der "Dior"-Schriftzug, darunter ein weiterer Torbogen, durch den sich jetzt winzig klein eine Frau in Rock und T-Shirt nähert, plötzlich innehält, reflexhaft Blickkontakt herstellt und stutzt. Diese Frau ist man selbst.

Es ist ein Trompe-l'Œil. Im Cour Carrée du Louvre steht ein unsichtbares, weil rundum verspiegeltes Showzelt, es inszeniert das Fashion-Volk von heute in den Kulissen von damals. Das wirft eine interessante Frage auf: Wenn Mode immerzu nur die Vergangenheit reflektiert, kann sie dann noch zukunftsfähig sein?

Drinnen kühles Space-Age-Ambiente; in der Anleitung zur Show schreibt der Designer Raf Simons, er wolle das 18. Jahrhundert in die Zukunft transportieren. Die schnatternden Stargäste Carla Bruni und Marion Cotillard müssen noch auf ihre Plätze getrieben werden, dann blenden die Scheinwerfer auf, und es geht los.

Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Simons

Simons ist der aktuelle große Glücksfall des Traditionshauses Dior und seine fünfte Prêt-à-porter-Kollektion die bisher modernste. Den zu Tode zitierten New Look handelt er diesmal mit eng taillierten und weit schwingenden Röcken ab, die berühmte Bar-Jacke fehlt ganz.

Dafür kommen gleißend weiße Hosenanzüge, weite Hemdkleider mit Lochstickereien und Stehkragen, geblümte Bomberjacken und ein paar sehr zarte Overalls, zuletzt Bermudashorts zu weißen Tops und ärmellosen Mänteln. Es ist insgesamt recht hinreißend. Mit der Vergangenheit allerdings hat all dies wenig zu tun und mit der Zukunft schon gar nichts. Wir sind hier im Jetzt.

Hemdkleider mit Stehkragen in kühlem Weiß präsentierte Raf Simons. (Foto: REUTERS)

Kunden erwarten heute Konsumierbarkeit

Was die Kundin heute von der Mode erwartet, ist Konsumierbarkeit. Sie will sich über ein Kleid nicht den Kopf zerbrechen müssen, sie will es so schnell wie möglich kaufen und übermorgen anziehen. Längst sitzt sie auch nicht mehr am Laufsteg, sondern auf irgendeinem Kontinent vorm Videostream, der die Kollektionen auf die Maße eines 22-Zoll-Bildschirms zusammenstutzt.

Das erfordert klare, auf den ersten Blick lesbare Looks. Aber Experimente wagen die meisten Designer ohnehin nicht mehr, dafür ist im globalen Milliardenspiel der Mode das Risiko viel zu hoch geworden.

Für das Magazin der New York Times hat die Modekritikerin Cathy Horyn den Zeitgeist gerade in seine Bestandteile zerlegt. Als da wären: "Das Bedürfnis nach einfachen Botschaften. Der Triumph des Branding. Schrumpfende Horizonte aus wirtschaftlichen Gründen. Und ein Mangel an Skepsis gegenüber alten Ideen, besonders bei den jungen Konsumenten."

Wenig Neues - und möglichst unkompliziert

Die Pariser Modemacher zeigen für Frühjahr/Sommer 2015 dann auch mehrheitlich Kleider, die wenig Neues bieten, dafür oft so unkompliziert und umstandslos tragbar sind, dass man sich stellenweise die Augen reibt. Der Schlüsselsatz von Raf Simons für Dior war im Übrigen ja dieser: "Ich wollte das Prêt-à-porter einem größeren Publikum zugänglich machen." Eine elegante Chiffre für Kommerz.

Für Frauen ist das zunächst keine ganz schlechte Sache. Wer zweitausend und mehr Euro für einen Mantel hinblättert, will ihn im Alltag tragen können und nicht auf das eine fabulöse Event des Jahres warten, zu dem der irre Fummel passt. Gleichzeitig sehnt man sich auch wieder nach Kleidern, die Fragen aufwerfen, die dem schnellen Konsum um diesen einen Schritt voraus sind. Wer macht die eigentlich noch?

Hier dominiert Tragbarkeit: Alber Elbaz

Alber Elbaz ist es nicht, obwohl er zum 125-Jahre-Jubiläum des Hauses Lanvin eine bildschöne Kollektion abliefert, die sich weitgehend aus dem Firmenarchiv speist und von ehemaligen Runway-Queens wie Amber Valletta und Kirsten Owen vorgeführt wird.

Auch hier dominiert die Tragbarkeit: bodenlange Roben aus matter Seide, wallende Kaftane und Tuniken, Cocktailkleider mit glitzernden Spaghettiträgern, alles sehr leicht und sehr froh, solange man nicht in die ewig griesgrämigen Gesichter der Models schaut. Es ist ein Nummer-sicher-Ding: Wer die Codes des Hauses so raffiniert rauf und runter dekliniert wie Elbaz, liegt in diesen Zeiten niemals falsch.

Der israelische Designer Alber Elbaz setzt auf wallende Tuniken. (Foto: REUTERS)

Altbekanntes von Martin Margiela

Altbekanntes auch von Martin Margiela: ärmellose Jacken, einbeinige Hosen, asymmetrische Röcke und verschnürte Oberteile. Nur zieht sich diesmal ein süßliches Blümchenmuster durch die Kollektion. Margiela - unter diesem Namen versammelte sich einst, wer zur Mode-Avantgarde gehören wollte und zumindest vorgeben konnte, den Sinn einer auf links gedrehten Jacke zu verstehen. Heute? Schickt das Designteam auch eine ganz normale Jeans über den Laufsteg.

Aber machen wir uns nichts vor, Mode war immer nur in zweiter Linie Kunst. Wer den Mangel an neuen Ideen beklagt, soll sich auf einem Gabelstapler mal die September-Ausgaben der nationalen Vogues vorfahren lassen. Deutschland: 402 Seiten, Rekord. England: 462 Seiten, Rekord. USA: 856 Seiten, davon mehr als die Hälfte Anzeigen - Weltrekord. Vielleicht hat in den Kreativabteilungen der Luxusfabriken auch deshalb keiner mehr Lust, über die Zukunft nachzugrübeln, weil in der Gegenwart gerade alles so groovy vor sich hin boomt.

Irgendwie passend, dass Jean Paul Gaultier genau in dieser Saison seine letzte Prêt-à-porter-Kollektion zeigt und nun nur noch Couture macht. In den Achtziger- und Neunzigerjahren war er das umjubelte Enfant terrible, verkaufte Röcke für Männer, Matrosenshirts für Frauen und verpasste Madonna für ihre "Blond Ambition"-Tour diesen sehr blonden Kegel-BH.

Dann zog der Zeitgeist weiter. Gaultier lief ihm nicht nach. Er machte weiterhin, was ihm gefiel. Alle eilten immer noch in seine Shows, weil es eben gigantisch tolle Partys waren, aber die Sachen wollten hinterher nur wenige haben. Die Sachen waren immer großartig bekloppt und offiziell untragbar.

Eine halbe Stunde bevor die Türen des alten Rex-Kinos aufgesperrt werden, hat sich auf dem Boulevard Poissonnière bereits eine hysterisch drängelnde und zankende Menschenmenge versammelt. Die Einladungen werden am Leib getragen, es sind Schönheitsköniginnen-Schärpen in Bleu-Blanc-Rouge, über den Köpfen zuckt die dazu passende Leuchtreklame vorbei: "Election de Miss Jean Paul Gaultier 2015".

Kollegen, Popcorn und Champagner

Viele Kollegen sind gekommen, Alber Elbaz etwa, Pierre Cardin, Gareth Pugh und auch Alexander Wang, der junge Balenciaga-Designer. Drinnen gibt es Popcorn und Champagner, dann fläzen sich alle in die Kinosessel, Disco-Sound setzt ein, und zu rhythmischem Klatschen rauscht der Vorhang hoch.

Gaultiers Abschied von der großen Modebühne ist, wie so oft zuletzt, eine grelle Nummernrevue. Die Models schlüpfen hintereinander weg in die Kostümierungen von Tour-de-France-Fahrern, Wettermoderatorinnen, Catcherinnen, Fußballerfrauen und berühmten Vogue-Damen. Die Einzige, die nicht persifliert wird, ist Anna Wintour, was nach einer finalen Abrechnung aussieht.

In teils grellen Kostümierungen stellten die Models Jean-Paul Gaultiers finale Kollektion vor. (Foto: AFP)

Zum Schluss wird das kanadische Model Coco Rocha zur Beauty Queen gekürt und fällt dramatisch in Ohnmacht, dann explodieren Konfettikanonen. Jean Paul Gaultier, das schreckliche Kind von einst, 62 Jahre alt inzwischen, hüpft feixend die Showtreppe herab, das Topmodel Karli Kloss lässt die Beine fliegen, und im Publikum fließen Tränen.

Man wird ihn vermissen

"Miss Jean Paul Gaultier", das kann man auch anders lesen. Man wird ihn vermissen, seinen Humor, seine Selbstironie, seine aberwitzigen Shows. Und dass er auf die Hure namens Trend bestimmt zehn Jahre lang gepfiffen hat.

Aber zurück zur Ausgangsfrage: Wo sind die Nach-vorne-Denker von heute? Über Haider Ackermann heißt es in der Branche seit Jahren, er sei einer der Besten, nur anziehen könne man ihn nicht. Massenkompatibel wird er auch in der kommenden Saison kaum werden mit seinen silberhaarigen Alien-Mädchen, den androgynen Smokingjacken und bodenlangen Seidenkleidern in hundert Schattierungen von Rosé bis Flieder.

Eine Show in Zeitlupe, hypnotisch und von einer ganz eigenartigen Sinnlichkeit. Und Phoebe Philo? Mit ihren minimalistischen Silhouetten für Céline hat sie die Mode der Zehnerjahre stärker verändert als jeder andere Designer, doch sie fügt ihrem Vokabular immer neue Elemente hinzu. Diesmal: geblümte Sommerkleider, Mäntel mit Cut-outs und Shift Dresses mit wollweißen Fransen. Dazu die lyrische Stimme von Kate Bush, "This Woman's Work". Toll.

Auch bei der diesjährigen Modewoche zeigte sich die Britin Phoebe Philo wieder innovativ: mit geblümten Sommerkleidern. (Foto: REUTERS)

Normalerweise dürfte hier auch Riccardo Tisci nicht fehlen, der Givenchy-Designer, der zuletzt wie kein anderer das Dunkle, das Schöne, das Intellektuelle und den Kitsch vereinte.

"Das war ja fast Versace-Niveau"

Diesmal aber geht er zu seinen Anfängen zurück, und die Kommentare im Publikum klingen hinterher so: "Dirndl-Girls!" - "Nee, Gladiatorinnen oder . . . Stierkämpferinnen." - "Also für mich waren das Piratenbräute." - "Und für mich Nutten!" Eine Moderedakteurin findet: "Das war ja fast Versace-Niveau", und es ist nicht als Kompliment gemeint.

Sagen wir einfach, dass irgendeiner bei dieser Modewoche auch für die schwarzen Overknee-Stiefel, die geschnürten Korsagen, sexy Rüschenblusen, Nietenwesten und hautengen Jeans zuständig sein muss. Wenn Riccardo Tisci den Job diesmal übernommen hat: Das hat Spaß gemacht und geht von uns aus in Ordnung. Und damit ist es Halbzeit in Paris.

Gewagte Kollektion von Riccardo Tisci: Sexy Rüschenblusen oder Nietenwesten waren die Aushängeschilder seiner Kollektion. (Foto: REUTERS)

Cunningham - eine Legende

Nach der Show steht man in der nächtlich funkelnden Stadt an einer Kreuzung und wartet auf jemanden, im Rücken die kreischende, Handy-hochhaltende Fashion-Hydra, die ihrerseits auf Kim Kardashian, Kanye West und Baby North West wartet. Dann kommt plötzlich Bill Cunningham daher.

Cunningham ist der Streetstyle-Fotograf der New York Times, er macht den Job jetzt seit bald 50 Jahren. Wer in einem besonders eleganten oder kreativen Outfit zu einer Show kommt, landet hundertprozentig vor seiner Linse. Niemals hat er eine Fashion Week verpasst - eine Legende für sich. 85 ist er mittlerweile, und jede Saison kommt er ein wenig gebückter, mit dem immergleichen blauen Anorak und einem großen Lächeln nach Paris.

"Kind", sagt Cunningham und drückt einem etwas in die Hand, "wenn du kein Taxi mehr erwischst, hier hast du eine Metro-Karte." Er ist einer der Gründe, warum man diese überdrehte und auch etwas ausgelaugte Veranstaltung immer noch liebt.

© SZ vom 30.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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