Zweiter Weltkrieg:Richard Wagners verschollene Partituren

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Bayreuther Festspiele 1939: Adolf Hitler wird von Winifred Wagner begrüßt, der Schwiegertochter von Richard Wagner. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Adolf Hitler war glühender Anhänger der Musik von Richard Wagners. Einige Originalpartituren manuskripte Richard Wagners sind seit Ende des Zweiten Weltkriegs spurlos verschwunden. Endeten sie mit Adolf Hitler im Führerbunker?

Von Michael Stallknecht

Kommt man nach Bayreuth ins wiedereröffnete Richard Wagner Museum, dann liegt dort die Handschrift zu "Tristan und Isolde" wie aufgebahrt in einem gläsernen Schrein.

Keine Frage: Die Autografen zu Richard Wagners insgesamt dreizehn Musikdramen sind bis heute von unschätzbarem Wert für die Musikwissenschaft ebenso wie für ausübende Musiker. Umso ärgerlicher, dass bei einigen von ihnen niemand weiß, wo sie sich befinden und ob sie überhaupt noch existieren.

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Beim Frühwerk "Rienzi, der Letzte der Tribunen" zum Beispiel lässt sich die Urfassung deshalb bis heute nicht vollständig rekonstruieren.

Das hat, wie so manches bei diesem Komponisten, viel mit deutscher Geschichte zu tun - und mit dem schrecklichsten seiner Verehrer: Adolf Hitler. Als letzter bislang bekannter Besitzer hat der "Führer" sie mit in den eigenen und Deutschlands Untergang genommen.

Dabei durfte Wagner seine Partituren bestens behütet glauben, als er sie in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts sukzessive einem anderen prominenten Verehrer schenkte: Ludwig II. von Bayern.

Der König hatte Wagner finanziell und ideell großzügig unterstützt, im Gegenzug überließ ihm dieser zum Geburtstag oder zu Weihnachten gern ein Stück von sich selbst: mal die Handschriften zu "Die Feen", "Das Liebesverbot" und "Rienzi", die Wagner selbst eher für Jugendsünden hielt und in Bayreuth nicht gespielt sehen wollte, aber auch die Reinschriften zu "Das Rheingold" oder "Die Walküre", den ersten zwei Teilen des "Ring des Nibelungen". Letzteres bereute er bald, weil der ungeduldige König beide gegen Wagners Willen in München uraufführen ließ.

Man brauchte dringend ein Geschenk zu Hitlers Fünfzigstem

Von den Teilen drei und vier, "Siegfried" und "Götterdämmerung", erhielt Ludwig daher nur Abschriften von Orchesterskizzen, mit denen sich vor der vollständigen Bayreuther Uraufführung 1876 nichts anfangen ließ. Doch 1886 kam der König unter mysteriösen Umständen ums Leben.

Nachdem die Monarchie mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zusammengebrochen war, fielen die Partituren an den 1923 gegründeten Wittelsbacher Ausgleichsfonds, der ehemalige Vermögenswerte des bayerischen Königshauses verwaltet.

Dort lägen sie wohl bis heute, wenn nicht 1939 die nationalsozialistische Reichswirtschaftskammer dringend ein Geschenk zu Hitlers fünfzigstem Geburtstag gebraucht hätte. Manche verschenkten zu diesem Anlass 6000 Paar Socken für die Wehrmacht, damit sich im bald ausbrechenden Krieg niemand wunde Füße laufe, andere Briefe Friedrichs des Großen.

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Da wollte man natürlich nicht hintan stehen. Also kaufte man mit Spenden deutscher Großindustrieller wie Flick, Krupp oder Thyssen für 750 000 Reichsmark gleich das ganze Konvolut der Wagner-Handschriften.

Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer konnte nach der großen Sause ins Tagebuch schreiben, dass Hitler dort "Blatt für Blatt mit kennerischen Kommentaren herumzeigte". Wie oft er das danach noch getan hat, weiß man nicht, und auch sonst nicht mehr viel.

Nur, dass man sich selbst in Bayreuth irgendwann zu sorgen begann, als das Kriegsende absehbar wurde. Noch am 6. April 1945 fuhr Wieland Wagner, der später legendenumwobene Regisseur, mit seinem Schwager Bodo Lafferentz nach Berlin, um die Partituren aus dem schwerumkämpften Berlin zurückzuholen.

Blieben die Papiere im Führerbunker? Bargen die Sieger den Schatz?

Zu Hitler drangen sie nicht mehr vor, doch die Manuskripte seien sicher nirgendwo besser aufgehoben als bei diesem, beschied ihnen Albert Bormann, der Leiter von Hitlers Privatkanzlei.

Es ist dieser Satz, der bis heute das Gerücht befeuert, Hitler habe die Partituren in den letzten Tagen mit in den "Führerbunker" unter der Reichskanzlei genommen. Zu suggestiv bleibt das Bild vom besessenen Wagnerianer, der seinen teuersten Besitz mit sich abfackelt wie Brünnhilde am Ende der "Götterdämmerung" eine ganze Welt.

Doch ist es realistisch?

Es muss eng gewesen sein damals im Bunker, den bereits 1945 die Rote Armee, dann 1988 noch gründlicher die DDR gesprengt hat. Drum herum freilich erstreckte sich ein unterirdisches Gangsystem.

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Haben vielleicht doch sowjetische Soldaten die Handschriften erbeutet? Oder eher die französischen und amerikanischen, als sie viel weiter südlich Hitlers Berghof einnahmen? Der zweite Regierungssitz am Obersalzberg ist durch Bomben schwer getroffen worden, zudem hat in den letzten Kriegstagen die SS dort Feuer gelegt. Waren die Partituren kostbar genug, um sie vorher aus dem Inferno zu retten?

Der Dirigent Hans Knappertsbusch soll, bevor er 1965 starb, einmal erwähnt haben, er wisse, wo die Partituren seien, dürfe es aber nicht sagen.

Handfester erscheint da ein Text aus dem Jahr 1986, der sich im Münchner Institut für Zeitgeschichte befindet. Darin behauptet die Witwe des "Reichsjugendführers" Baldur von Schirach, die Aufzeichnungen seien mit dem sogenannten Bormann-Treck nach Südtirol gelangt und dort an den Geheimdienstmann und späteren italienischen Minister Rodolfo Siviero geraten.

Siviero, für seine Verdienste um die Rettung von Beutekunst auch "007 dell'arte" genannt, gilt als schillernde Figur. Als er 1983 starb, fanden sich im millionenschweren Nachlass auch Gemälde Adolf Hitlers.

Vielleicht ein Fall für "Schtonk!"

Und schließlich gibt es noch immer die geheimnisumwitterte Kuriermaschine, die in den letzten Kriegstagen einiges von Hitlers Privatbesitz aus Berlin ausfliegen sollte. Sie stürzte ab, brannte aber nicht vollständig aus. Hitler, wird berichtet, sei über den Verlust bestürzt gewesen.

Doch vielleicht sollte man mit Mutmaßungen gerade in diesem Fall besonders vorsichtig sein, sorgte doch gerade dieser Absturz für einen der größten Presseskandale der alten Bundesrepublik. Hier, behauptete 1983 der Stern-Reporter Gerd Heidemann, hätten sich die bis dato unbekannten Hitler-Tagebücher gefunden.

Wahr war es bekanntlich nicht, inspirierte aber wiederum eine der großartigsten Satiren der Filmgeschichte. Richard Wagner, ein Fall für "Schtonk!"? Vielleicht auch das.

Dieser Text erschien zuerst in der Printausgabe der SZ vom 31.10.2015

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