Briefverkehr:Moderne Post

Briefverkehr: Postkarten-Motiv des Gutsch Verlags (Pressematerial)

Postkarten-Motiv des Gutsch Verlags (Pressematerial)

(Foto: Gutsch Verlag)

Von wegen altbacken: Postkarten zeigen den aktuellen Zeitgeist - und sind weit mehr als ein Mittel zur Kontaktpflege.

Von Cathrin Schmiegel

Die Postkarte ist die letzte Bastion einer schwindenden Welt: der analogen. Sie trotzt der E-Mail und ihrem faden Ruf, sträubt sich gegen die digitale Version ihrer selbst und wirkt heute herrlich unaufgeregt im Vergleich zu all den Herzchen- und Partytröten-Emoticons, die unsere Chats fluten. Selbst der Brief verliert da gegen sie. Mit ihrem begrenztem Platz für schöne Worte ist die Karte sehr charmant.

Wie sehr, das zeigt sich beim Beschriften, dann nämlich wenn die Spitze des Füllfederhalters über die Kartonage schabt und das Geräusch einen in die schönsten Momente rückversetzt: Weihnachtsfeiern, Geburtstage, Heiterkeit. Manchmal ist die Karte aber auch ein rettendes "Hallo" zwischen Rechnungen, Mahnungen vom Finanzamt und einem Haufen geistloser Reklame. Fast eine Viertelmilliarde schickten sich die Deutschen 2014, die Zahl sank seit Jahren nicht mehr.

Ein Stück gepresstes Papier kann erstaunlich vielschichtig sein

Schon Autoren pflegten so Korrespondenz, F. Scott Fitzgerald schrieb einmal ein "How are you" in ungelenker Schrift und schwarzer Tinte. Die Karte adressierte er: an sich. Das ist erst schrullig, dann betörend und letztlich auch ein wenig tragisch. Vor allem aber ein Beweis dafür, wie vielschichtig so ein Stück gepresstes Papier sein kann. Doch was genau lässt die Postkarte in unserer digitalen Realität noch überleben?

Für die Antwort genügt ein Blick ins Lager eines der großen Häuser in Berlin-Charlottenburg: des Gutsch Verlags, in dem es nach Tinte duftet, nach Papier und nach Zitrusreiniger. Darin stapeln sich im Neonlicht die Kartons in Industrieregalen bis zur kahlen Decke. Es ist ein absonderliches Universum aus einer Million Postkarten und den unterschiedlichsten Motiven - jedes davon eine auf 13 mal 15 Zentimetern gebannte Welt. Sie beheimatet mal ein Damenrad, abgestellt vor Seekulisse. Dann einen zurechtgezupften Jungen, mit irritiertem Blick und einem Teddy nebendran. Darüber dann der Schriftzug: "Komisch, auf alten Fotos sieht man viel jünger aus."

Die Aufdrucke bewegen sich damit irgendwo zwischen Traumwandlerei, Nostalgie und altkluger Ironie, und sind immer Projektionsflächen für die Sehnsüchte der Menschen. Ihr Betrachter kann sie interpretieren wie abstrakte Kunst, sich ganze Schicksalsgeschichten für das Kind ausdenken, in seiner Fantasie nach dem Ort des Sees suchen oder den Kopf schütteln und lachen über einen gar nicht so schlechten Witz. Finden wird er: eine Hommage an den Moment. So kommt es vor einem Kartenständer zu einer verloren geglaubten Tugend - der, innezuhalten und sich einem analogen Erlebnis hinzugeben, während das Scharnier des Alugestells ergeben quietscht.

Jetzt ist es ein herzloses Vorurteil, nur die Generation der Großmütter stünde so vor einem Kartenständer. Denn weniges ist so modern wie eine Postkarte. Sie ist immer Ausdruck der aktuellen Mode.

Postkarten müssen die geheimen Wünsche ihrer Käufer bedienen

Die Inspiration für ihre Entwürfe finden Grafiker an allen Orten dieser Welt: bei einem Schaufensterbummel durch New York, dem Besuch einer Messe in München, in Möbelhäusern oder der aktuellen Vogue. "Das Entwerfen einer Postkarte funktioniert da nicht anders, als wäre sie ein Mantel", sagt Herbert Gutsch, vor mehr als 30 Jahren hat er seine ersten Karten kreiert und einen Verlag gegründet. Der Stoff, mit dem er arbeitete: Fotos aus Antiquariaten und eigenen Alben. Der Junge mit dem Teddy zeigt ihn selbst.

Briefverkehr: Im Archiv des Gutsch-Verlags stapeln sich die Postkarten.

Im Archiv des Gutsch-Verlags stapeln sich die Postkarten.

(Foto: Gutsch Verlag)

Versehen mit einem humorigen Satz setzte das Haus seinen ersten Trend: Die Serie und der Stilbruch wurden dutzendfach kopiert. Andere orientieren sich an aktuellen Themen. Gerade beliebt sind: die Farbe Koralle, Flamingos und Blumenmuster. Der Verlag fängt das mit der Serie "Bildschön" ein und prägt Blüten in Acryl-Optik auf ihre Karten. Das Styling lebte zuerst in Großbritannien auf, und ziert dank der Einrichtungskollektionen von Modeketten wie Zara Home nun auch Kissen deutscher Sofas.

Natürlich bleiben auch die Hypes ganzer Generationen nicht unbeachtet, auf einer Karte steht: "Möge dein Kaffee schwarz sein" - ebenso zu werten als ein Verweis auf die Anspruchsgesellschaft als auch auf die populärste Filmreihe der vergangenen 40 Jahre, "Star Wars". Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es die ersten Drucke gibt mit Tänzern vor den Lichtern einer Stadt, bekannteste Szene aus "La La Land".

Nur die lukrativsten Motive überleben

Die Postkarte selbst steht dabei niemals für sich allein. Ein Kartenständer mit 50 Motiven ähnelt einer Kollektion. Immer muss er als Konzept funktionieren, die geheimen Wünsche seiner Betrachter bedienen. Jede Farbe harmoniert da mit der anderen, kein Motiv wiederholt sich. Passt eine Karte nicht, vergraben sie die Grafikerinnen in den Katakomben ihres Lagers. Welche aber bleibt, entscheidet sich in Konferenzen. Sie verlaufen in etwa so: Vier, fünf Menschen lehnen sich auf einen Tisch, neigen den Kopf und blicken auf ihre Entwürfe. "Die verkauft sich nicht", sagt eine Grafikerin dann, die Kollegin: "Die bunten Schirme sind sehr hübsch" und "wir brauchen eine für Geburtstage".

Am Ende überleben nur die lukrativsten, da unterliegt selbst eine kreative Firma den Regeln der Marktwirtschaft. Immerhin verkauft sie ein schnelllebiges Produkt - wenn auch eines mit Tradition: 1869 wurde die erste Karte lanciert in Österreich, da hieß sie noch Korrespondenzkarte. Heute läuft das formloser, man überreicht sie gern persönlich oder klebt sie zur Dekoration an die eigene Wand.

Und noch etwas ist neu. Manchmal steht da einer in einem Laden vor den Karten, lacht über eine ganz besonders, zückt sein Handy, fotografiert das Ding, und - geht. Da zeigt sich: Auch die Postkarte unterliegt der digitalen Logik unserer Welt. In ihr untergehen wird sie trotzdem nicht.

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