Postkarten:In Schönstschrift, bitte

Die Postkartenschreiberin

Es begann mit einer Karte in Schönschrift: die Postkartenschreiberin Sabine Rieker.

(Foto: Julian Wenzel)

Und da heißt es immer, die Handschrift stirbt aus: Sabine Rieker verdient ihren Unterhalt als Postkartenschreiberin. Und wird damit gerade zur Berühmtheit.

Von Josef Kelnberger

Liebe Frau Rieker, ich würde Sie gerne treffen, um ...

Stopp, so geht das nicht, zu persönlich, die junge Frau wird schon in Zeile eins denken, hier meldet sich ein Schwerenöter, der weiß Gott was von ihr will. Postkarte Nummer eins: ab in den Papierkorb.

Liebe Susanne Rieker, ich bin Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und würde Sie gern treffen, um ... Ein Blick zurück an den Anfang: Hat man da wirklich geschrieben: Susanne? Idiot! Die Frau heißt mit Vornamen Sabine. Zum Teufel mit Karte Nummer zwei.

Nervöses Kribbeln breitet sich in den Unterarmen aus, man setzt den Text am Computer auf. Microsoft Office Word 2007, Textkörper Calibri. Ewiges Grübeln, Umschreiben und Umheben von Textteilen - Steuerung X, Steuerung V - angesichts der Frage, ob man über ihre "Tätigkeit" oder über ihr "Leben" als Postkartenschreiberin sprechen will. Die "Kunst des Postkartenschreibens" vielleicht? Man entscheidet sich für die unverfängliche Variante, man wolle "eine Geschichte über Sie schreiben" und überträgt den Text auf eine Postkarte. Nicht nur eine. Ein halbes Dutzend davon liegen im Papierkorb, bis der Text fehlerfrei dasteht.

Aber wie sieht das aus? Scheiße, mit Verlaub. Oben riesiger Zeilenabstand, unten gequetscht, die Zeilen nach rechts steil ansteigend, wie schon zu Schulzeiten. Die Schrift: ein Trümmerfeld. Man akzeptiert die Niederlage und schickt die Nachricht per Facebook-Messenger. Einige Tage später trifft eine Postkarte ein, voller Schnörkel, Smileys, Pfeilen, die von einer Textstelle auf eine andere verweisen. Fehlerfrei, ein fröhliches Kunstwerk, am Ende: "Vorfreudige & herzliche Grüßle, die Postkartenschreiberin".

Sabine Rieker sitzt in einem Stuttgarter Café vor einem Minztee, die Finger blau verkleckst, barfuß. Es ist nicht so, dass sie ihre Schuhe ausgezogen hätte; sie hat keine Schuhe angezogen an diesem kalten Spätherbsttag. Zur Begrüßung überreicht sie eine Karte, die sie gerade geschrieben hat. "Sie werden hier jeden Moment zur Tür herein kommen & mich schreibend vorfinden ..."

Gleich die Frage: Wie viele ihrer Postkarten - sie schreibt an manchen Tagen ein Dutzend - landen im Papierkorb, weil sie sich verschreibt, weil der Stift kleckst, weil die Schnörkel misslingen, weil der Text ins Nirgendwo führt? Sabine Rieker kringelt sich vor Lachen. Keine lande im Papierkorb. Wichtig sei, den Text nicht "vorzukonstruieren" im Hirn, sondern ihn "fließen zu lassen". Wenn der Text nicht fließt, schaut sie eine Weile aus dem Fenster, bis er wieder fließt. Deshalb trifft man sie in den Cafés, in denen sie stundenlang schreibt, meist an Fensterplätzen.

Wenn sie sich doch mal verschreibt, setzt sie einen Smiley auf die Stelle.

:-)

Oder sie nutzt ein vermeintlich falsches Wort, um dem Text eine andere Wendung zu geben. Als sie einmal aus Versehen einen Teil des Textes mit dem Handrücken verwischte, fand sie: Sieht toll aus. Seither verwendet sie das Wischen als Stilmittel. Ein Fehler ist kein Fehler, sondern die Gelegenheit für ein Lachen und einen neuen Anfang. Postkartenschreiben als Lebenshilfe. "Selbstfindung", sagt sie selbst.

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