WM-Qualifikation: 1:0 in Russland:Mythos vom Sieger-Gen

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In Moskau hat die DFB-Elf durch Glück und einen guten Torwart gewonnen. Aber selbst das reicht aus, um den Glauben in die deutschen Fußballgesetze zu festigen.

Thomas Hummel

Fußballmannschaften sind oft von einer Aura der Geschichtsschreibung umgeben. Die Historie legt sich dabei wie ein Mantel um die jungen Männer auf dem Spielfeld, die mit dieser Historie qua später Geburt eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Dennoch schießt Bayern seit Generationen am Ende doch noch ein Tor, Leverkusen verspielt die Meisterschaft, Nürnberg steigt ab. Engländer verlieren Elfmeterschießen, und Deutsche? Sind da, wenn es darauf ankommt. Und gewinnen, egal wie.

Starker Gegner, ungewohnter Untergrund - dennoch gewinnen Heiko Westermann, Michael Ballack und Bastian Schweinsteiger das wichtige Spiel in Russland. (Foto: Foto: AFP)

Dieser Mythos hat im Moskauer Luschniki-Stadion ein weiteres Kapitel hinzugewonnen. Es ging um viel an diesem russischen Samstagabend, einer Niederlage wäre der kalte Gang in die November-Play-off-Spiele gefolgt. Mit ungemütlichen Gegnern wie Bosnien-Herzegowina, Irland oder Ukraine. Ein Scheitern in der WM-Qualifikation wäre in den Bereich des Möglichen gerutscht. Doch Deutschland scheitert nicht in der WM-Qualifikation. Nie.

Selbst wenn die Voraussetzungen gar nicht so günstig erschienen diesmal in Russland. Der Gegner war stark, der Untergrund (Kunstrasen) ungewohnt, alle Stürmer waren bei ihren Vereinen außer Form. Die mutige Nominierung von Debütant Jerome Boateng erwies sich als Missgriff, weil dieser nach zwei Fouls vom mit Gelb-Rot vom Platz musste (70.). Und dennoch haben die Deutschen 1:0 gewonnen, die Fußballwelt wird aufhorchen und sich noch ein wenig mehr fürchten vor dieser teutonischen Fähigkeit, in wichtigen Spielen mit Präsenz, Selbstbewusstsein, wenn nötig auch mit Glück und einem starken Torwart die Dinge für sich zu regeln.

Bundestrainer Joachim Löw sagte nach dem Schlusspfiff, er sei recht entspannt gewesen vor der Partie, weil er bemerkt habe, "dass jeder das Sieger-Gen in sich hat". Das Sieger-Gen. Vererbt von Kahn, Sammer, Breitner, Beckenbauer, Fritz Walter selbstverständlich. Auch Russlands Trainer Guus Hiddink erkannte den historischen Vorteil an: Während seine Spieler die schönsten Möglichkeiten verballerten, "braucht Deutschland nur eine halbe Chance zum Tor".

Die Deutschen vertrauten auf diesen Mythos. Können aber wie nebenbei auch auf einige neue Stärken bauen. Der 20-jährige Mesut Özil hat sich mit Wucht in die erste Elf katapultiert und ist aus ihr nicht mehr rauszudenken. Mit seinen Ideen, seiner brillanten Ballbehandlung und seiner Schnelligkeit kann er der deutschen Offensive einen Glanz verleihen wie seit Bernd Schusters Zeiten dies niemand mehr vermochte. Die Luftikusse Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski sind mit ihren 71 bzw. 67 Länderspielen offenbar erwachsen geworden und spielen auch zunehmend so. Per Mertesacker avanciert zum Abwehrorganisator höchster Güte, und im Tor hat Deutschland wahrlich ein Luxusproblem. Wobei Rene Adler nach der Leistung in Russland mit klarem Vorsprung das Rennen um die Nummer eins in Südafrika beginnt.

Selbst das fehlgeschlagene Debüt von Jerome Boateng gibt Hoffnung. Bundestrainer Löw hat erkannt, dass da ein ganz großes Talent für die Abwehr heranwächst, bis zur WM hat der 21-Jährige nun acht Monate Zeit, sich vom Unglück in Moskau zu erholen.

Philipp Lahm führte zudem aus, warum die Franzosen der DFB-Elf einmal den Beinamen "La Mannschaft" verliehen haben: "Jeder hat die taktischen Vorgaben eingehalten" und "die Mannschaft hat sehr gut dagegen gehalten". Er sprach damit zwei Geheimnisse aus, die seit Jahrzehnten für deutsche Siege dieser Art stehen. Und dieser Sieg im Luschniki-Stadion wird für den Rest der Welt ausreichen, um Deutschland in den Favoritenkreis der WM zu heben. Egal, ob Spanier oder Brasilianer derzeit besser Fußballspielen können. Denn diesem Sieger-Gen à la Kahn, Sammer, Breitner, Beckenbauer und Fritz Walter muss man erst mal widerstehen.

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