Es wirkt immer ein wenig so, als schwebe Neymar über den Rasen. Stellt sich ihm - wie so häufig - ein gegnerisches Bein in den Weg, hebt er ab, springt in hohem Bogen durch die Luft und lässt sich abrollen. Er macht dies zu seinem eigenen Schutz. Doch Juan Zúñiga kam von hinten. Neymar hatte keine Chance.
Die brasilianische Nationalmannschaft hat am Freitag das WM-Halbfinale erreicht, doch ihren vielleicht wichtigsten Spieler hat sie verloren. Der 22-jährige Neymar bekam in der 88. Minute einen Tritt in den Rücken. Die niederschmetternde Diagnose: Wirbelbruch. Das Turnier ist für Neymar da Silva Santos Jr. vorzeitig beendet. Brasilien steht unter Schock.
Kolumbien feiert seine Elf - trotz der Niederlage im Viertelfinale. Eine brasilianische Zeitung fordert den WM-Titel als "Hommage an Neymar". Und die Franzosen ärgern sich, dass sie sich von der DFB-Elf reinlegen haben lassen. Die Pressestimmen zu den Viertelfinalspielen.
Fest steht: Die Elf von Luiz Felipe Scolari wird nun beim Duell gegen Deutschland eine andere sein. Neymar prägte das brasilianische Team wie kein anderer Spieler der Seleção. Vor der WM sagte Dani Alves einmal über Neymar: "Er ist unser gewisses Extra, er macht den Unterschied aus." Wie Messi bei Argentinien.
Fast genauso kam es. Das mühsame Auftaktspiel gegen Kroatien entschied Neymar mit seinen zwei Toren. Dass Brasilien sich erst fürs Achtelfinale, dann fürs Viertelfinale qualifizierte, lag entscheidend an seiner Leistung. Gegen Chile glänzte er zunächst nicht, verwandelte dann aber den entscheidenden Elfmeter.
Neymar gibt der Seleção Orientierung, er kann das Spiel beschleunigen, den Gegner überraschen. Fast alle originellen Ideen gehen von ihm aus. Zudem tritt Neymar die Ecken und viele Freistöße. Und: Neymar kann wie kein anderer mit den hohen Erwartungen der Landsleute umgehen. Wenn er bei der WM aus dem Spielertunnel schritt, lächelte er. Vor dem Anpfiff blickte er sich oft noch einmal im Stadion um. Es schien so, als würde ihn die imposante Kulisse nicht einschüchtern, sondern als würde er sie genießen. Wenn die Zuschauer während des Spiels einmal aufhörten zu singen, peitschte er sie wieder ein. Neymar verkörperte eine Unbeschwertheit, die seinen Offensivkollegen Hulk und Fred allein schon wegen ihres massiven Körpers abgeht.
Ein Tritt, der ein ganzes Land in Schock versetzt: Im WM-Halbfinale wird Neymar gefoult und vom Platz getragen. Wenig später folgt die niederschmetternde Diagnose. Die Szene in Bildern.
In sein letztes WM-Spiel am Freitag ging Neymar leicht angeschlagen, gegen Chile hatte er einen Schlag auf den Oberschenkel bekommen. Es gelang ihm nicht die beste Partie des Turniers. Einige Pässe erreichten den Gegner, einen torentscheidenden Gedankenblitz hatte er diesmal nicht. Ist er womöglich doch zu ersetzen?
Der einstige brasilianische Wunderdribbler Ronaldo kommentierte noch während des Spiels: "Da ist nicht mehr diese Abhängigkeit von Neymar da." Er lobte das "kollektive Spiel" der Elf von Luiz Felipe Scolari.
Tatsächlich zeigte Hulk gegen Kolumbien eine starke Leistung, zumindest in der ersten Hälfte. Scolari-Zögling Paulinho durfte wieder von Beginn an im Mittelfeld agieren und tat dies überlegt wie nie zuvor in den vergangenen drei Wochen. Auch Kapitän Thiago Silva präsentierte sich diesmal nervenstark und traf zur Führung. Der Verteidiger ist allerdings nach einer zweiten gelben Karte für das Halbfinale gegen Deutschland gesperrt - das dürfte Brasilien weiter schwächen. Thiago Silva wird wohl durch Dante ersetzt werden, der zwar nicht so robust ist, aber immerhin die Spielweise eines Thomas Müller, Toni Kroos oder Bastian Schweinsteiger aus München bestens kennt.
Aber gibt es jemanden, der die Rolle von Nationalheld Neymar übernehmen kann, auch abseits des Platzes? Immerhin einer bietet sich an: David Luiz. Der Innenverteidiger, der eben für 50 Millionen Euro von Chelsea zu Paris Saint-Germain gewechselt ist, ist nach Neymar der populärste Spieler in Brasilien.
Neymar sollte Brasilien zum Weltmeistertitel führen, doch im Viertelfinale bricht ihm ein kolumbianischer Spieler einen Wirbel. Das Turnier ist für den 22-Jährigen beendet. Der Stürmer weint vor Schmerz, Trainer Scolari schimpft - und Brasilien steht unter Schock.
David Luiz nimmt dem Gegner den Ball meist nicht mit Wucht ab, sondern mit Eleganz. Er köpfelt Bälle aus dem Strafraum, er stellt sein Bein im richtigen Moment in den Weg - und notfalls schüchtert er den Gegner mit Worten ein. Im Viertelfinale drosch David Luiz den wohl imposantesten Freistoß des Turniers: Wunderhübsch senkte der Ball sich ins Tor. Es war bereits sein zweiter WM-Treffer. Nicht zu Unrecht führt der blonde Lockenschopf bei der WM den Castrol-Index an, die Spieler-Rangliste der Fifa. Neymar liegt nur auf Platz sechs.
Einmal gegen Kolumbien sprintete David Luiz mit dem Ball los. Der Verteidiger ließ drei Gegenspieler hinter sich, auch wenn er sie eher durchbrach, als dass er sie umdribbelte. Das Stadion besang ihn dennoch. Wenn der filigranste Spieler des Landes ausfällt, sind andere Qualitäten gefragt.