WM-Aus für Brasiliens Neymar:Plötzlich Stille in einer lauten Nacht

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Blieb regungslos liegen: Neymar nach dem harten Foul

(Foto: AFP)

Neymar sollte Brasilien zum Weltmeistertitel führen, doch im Viertelfinale bricht ihm ein kolumbianischer Spieler einen Wirbel. Das Turnier ist für den 22-Jährigen beendet. Der Stürmer weint vor Schmerz, Trainer Scolari schimpft - und Brasilien steht unter Schock.

Von Konstantin Kaip, Rio de Janeiro

Die brasilianische Nationalmannschaft hatte eben das Halbfinale erreicht, doch an der Copacabana wurde es plötzlich seltsam ruhig. Normalerweise feiern tausende Fußballfans am Strand von Rio die Siege der Seleção bis spät nachts, sie zünden Kanonenschläge, tanzen und ziehen feiernd durch die Straßen. Doch eine halbe Stunde nach dem 2:1-Erfolg gegen Kolumbien war da plötzlich: Stille.

Eine Meldung hatte das Land in Schockstarre versetzt: Neymar, der wichtigste Spieler der Seleção, erlitt eine Fraktur am dritten Lendenwirbel. Der 22-Jährige, der das Land zum Weltmeistertitel führen sollte, fällt für den Rest des Turniers aus.

Kurz vor dem Schlusspfiff, in der 86. Minute, war der Offensivspieler in der eigenen Hälfte brutal gefoult worden: Beim Versuch, den Ball anzunehmen, sprang ihm der kolumbianische Verteidiger Juan Zúñiga von hinten mit dem Knie in den Rücken. Neymar fiel und blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen liegen.

Der Schiedsrichter Carlos Velasco Carballo entschied auf Vorteil, die Kameras und die Augen der Fans richteten sich auf den Angriff der Brasilianer. Erst als der Ball im Aus war, unterbrach der Spanier Carballo das Spiel. Neymar lag noch immer auf dem Bauch. Mit der Hand trommelte er auf den Rasen, seinen Körper konnte er nicht bewegen. Sanitäter rollten ihn auf die Trage und brachten ihn vom Platz.

Nach dem 2:1-Sieg, als David Luíz und Thiago Silva den weinenden James Rodriguez trösteten und sich mit ihren Mitspielern von den Fans bejubeln ließen, war Neymar nicht zu sehen. Der vierfache Torschütze der Vorrunde war da bereits in der Privatklinik São Carlos bei einer Kernspin-Untersuchung.

Neymar habe geweint vor Schmerzen, sagte sein Trainer Luíz Felipe Scolari in der anschließenden Pressekonferenz. Dann kritisierte er den Schiedsrichter heftig: "Keine gelbe Karte?", fragte er zynisch in den Raum. Thiago Silva dagegen habe eine bekommen. Der brasilianische Kapitän war verwarnt worden, nachdem er einen Abschlag des kolumbianischen Torwarts David Ospina geblockt hatte. Nun ist er für das Halbfinale gegen Deutschland gesperrt.

Eine ungewöhnlich harte Partie

Scolari bemängelte, dass der Schiedsrichter zu wenig Augenmerk auf seinen Schlüsselspieler geworfen habe: "Wir haben immer gesagt, dass Neymar gejagt wird. Aber keiner glaubt das. Nur deutsche Spieler werden ja gejagt, oder was weiß ich wer." Es wäre die Aufgabe des Schiedsrichters gewesen, das Spiel früher unter Kontrolle zu bringen, schimpfte Scolari. Auch wenn er einräumte, dass auch seine Mannschaft nicht gerade zimperlich zur Sache gegangen sei. Insgesamt gab es 54 Fouls - 31 von Brasilien, 23 von Kolumbien. Eine ungewöhnlich harte Partie.

Bei der Pressekonferenz kannte Scolari das niederschmetternde Untersuchungsergebnis von Neymar noch nicht. Er äußerte die Hoffnung, dass Neymar "in zwei, drei Tagen wieder mit uns trainieren kann". Wenig später jedoch überbrachte der Mannschaftsarzt die Diagnose im Estadio Castelão von Fortaleza: eine Fraktur am Querfortsatz des dritten Lendenwirbels. Die sei zwar "nicht gravierend" und müsse nicht operiert werden. Allerdings sei eine Bewegungspause von voraussichtlich sechs bis acht Wochen nötig. "Er ist sehr niedergeschlagen, genervt, sehr traurig", sagte Teamarzt Rodrigo Lasmar.

Neymar wurde um 22.30 Uhr Ortszeit mit einer Ambulanz zum Flughafen gebracht - auf einem Krankenbett, am Tropf mit Schmerzmitteln und mit einem Lendengurt, den er nun bis zur Heilung tragen muss. Er flog mit der Mannschaft nach Rio, von dort ging es weiter ins Trainingslager nach Teresópolis.

In den Nachtsendungen des brasilianischen Fernsehens gab es nur noch ein Thema: Ärzte erklärten die Verletzung an Wirbelsäulen-Modellen. Der US-Basketballer Kobe Bryant und der jamaikanische Sprinter Usain Bolt schickten Genesungswünsche. Im Estadio Castelão zeigte sich auch der Kolumbianer Zúñiga getroffen von der Katastrophe, die sein Foul angerichtet hatte. Er habe "nicht die Absicht gehabt, jemanden zu verletzen", sagte der Abwehrspieler vom SSC Neapel. Laut Informationen der brasilianischen Zeitung O Estadão will die Fifa die Szene nun untersuchen.

Die brasilianische Mannschaft reagierte geschockt auf den Ausfall ihres besten Mannes. "Neymar hat so viel gearbeitet, wir haben jeden Tag seine Hingabe erlebt", sagte Stürmer Fred nach langem Schweigen und versprach seinem Kameraden: "Wir werden alles tun, um Dich in den Momenten der Traurigkeit glücklich zu machen." Die Nachricht von Neymars Verletzung sei "traurig und frustrierend", befand Hulk. "Alle haben über Schiedsrichterentscheidungen zu unseren Gunsten geredet, und jetzt das." Oscar appellierte an das Team: "Wir dürfen nicht traurig bleiben. Wir sind im Halbfinale, und das müssen wir jetzt für ihn gewinnen."

Torwart Júlio César ging noch weiter und erinnerte an den Traum vom Final-Sieg: Wenn Neymar eine Botschaft für die Seleção schicken würde, sagte César, "würde er sagen: Jungs, Ball nach vorne, denn ich möchte am 13. Juli mit euch dort sein." Sollte das tatsächlich auch ohne Neymar gelingen, wird es an der Copacabana eine sehr lange und laute Nacht.

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