WM-Aus:Deutschland muss verlieren lernen

Lesezeit: 2 min

Der Umgangston ist hässlicher geworden in jüngster Zeit. Die Eliten stehen am Pranger - im Fußball und in der Politik. Es wäre wünschenswert, wenn das Fairplay auch nach der Niederlage bewahrt würde.

Kommentar von Ralf Wiegand

Zwölf Jahre lang ist sehr genau beobachtet worden, wie diese Deutschen das Siegen lernen, im Fußball. Wie sie daheim die Fahnen schwenken, wie breit die Brust mit dem Bundesadler wird und wie groß der Respekt bleibt vor den anderen. Seit jener rauschhaften Heim-WM 2006 ging es fast nur aufwärts mit der Mannschaft des Deutschen Fußball-Bundes, kein Turnier, in dem sie nicht das Halbfinale gesehen hätte. Eine Macht. Und mächtige, siegende Deutsche sind immer noch manchem suspekt, auch wenn es nur um so eine Sache wie Fußball geht.

Tatsächlich musste sich vor den Deutschen niemand fürchten in diesem Zyklus des Erfolgs. Bis auf einen WM-Pokal 2014 und das Kunstturnier Confed-Cup im vergangenen Jahr haben sie den anderen genug Trophäen übriggelassen, sie haben das eher komische "Schland" erfunden und alle möglichen Dinge mit schwarz-rot-goldenen Häubchen überzogen. Und als es dann auch schon wieder vorbei war, am Mittwoch kurz nach sechs, hat Bundestrainer Joachim Löw schon im zweiten Satz den Gegnern gratuliert, "die uns besiegt haben". Alles okay mit Germany.

Die Frage ist jetzt eher, wie viel Angst die Deutschen vor sich selbst haben müssen im Umgang mit der sportlichen Schmach in Zeiten wie diesen. Es ist ein Zufall, eine Laune der Geschichte, dass die schwere Regierungskrise daheim und die schwere Fußballkrise in Russland in beinahe mathematischer Parallelität zusammenfallen. Tage des Donners allenthalben. Beides sollte miteinander nichts zu tun haben, beides hat nicht viel miteinander zu tun - und doch gibt es eine Gemeinsamkeit. Es ist der Sound dieser Krisen, er dröhnt aus fetten Boxen.

Die Sprache hat sich verändert. Je gröber desto besser.

Als Fußball nach dürren Jahren wieder begonnen hatte, Spaß zu machen, in jenem Sommer 2006, war die Frage noch eher, wie viel Einigkeit dieses Land verträgt; es gab eine Patriotismusdebatte größeren Ausmaßes angesichts von Millionen Menschen auf den Straßen, taumelnd von Sieg zu Sieg. Nicht auszudenken, hätte es damals schon die AfD gegeben. Heute gibt es die AfD, und sie hat oft genug auch im Fußball gezündelt - man erinnere sich nur an Boateng, den Alexander Gauland nicht zum Nachbarn haben wollte, oder an die Diskussion um die Erdoğan-Fotos der deutschen Nationalspieler Özil und Gündoğan kurz vor der WM.

Die Sprache hat sich verändert in jener Zeit, sie ist verroht, die Wut ist sichtbar, die Elite steht am Pranger, das Establishment ist wie zum Abschuss freigegeben. Der Umgangston hat nahezu alle öffentlichen Diskussionen vergiftet, auch im Fußball. "Fußball ist Krieg", sagte neulich allen Ernstes der ehemalige ARD-Moderator Waldemar Hartmann, und der Ex-Spieler Mario Basler schnippte Kritik an seinem Vergleich zwischen Mesut Özil und einem "toten Frosch" weg wie eine ausgedrückte Kippe: "Argumente interessieren mich nicht." Sicher, das sind nur zwei hässliche Pflänzlein, aber gewachsen aus derselben Erde. Je gröber umso besser.

Die Nationalmannschaft ist Elite, ist Establishment, sie ist in ihrer Vielfalt aber auch ein Ergebnis dieses weltoffenen Landes. Das ist, trotz aller Künstlichkeit des modernen Hochglanzfußballs, viel wert. Selbstverständlich wird jetzt alles in Frage gestellt werden, der Bundestrainer, der Abwehrchef, der torlose Angreifer - das ist Teil des Spiels. Aber in all diesen Debatten wäre es wünschenswert, wenn das Fairplay bewahrt würde. Ist nur Fußball. Das wäre Größe in der Niederlage.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWM-Aus für Deutschland
:No Sturm, no Drang

Was in den deutschen Fußball gefahren ist? So einiges. Über Abgehobenheit, Rassismus und eine Mannschaft, die ihre Leichtigkeit verloren hat.

Von Holger Gertz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: