Wimbledon:Der langsame Tod des Serve-and-Volley

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Einer der letzten seiner Art: Gilles Müller spielt gern Serve-and-Volley - gegen Rafael Nadal war er im Achtelfinale von Wimbledon sogar erfolgreich. (Foto: Getty Images)
  • Einst war Serve-and-Volley ein populärer und erfolgsversprechender Stil beim Tennisturnier in Wimbledon.
  • Heute ist die Spielweise fast ausgestorben - was auch am Rasen liegt.
  • Immerhin erreicht Gilles Müller, einer der letzten verbliebenen Serve-and-Volley-Spieler, das Viertelfinale.

Von Matthias Schmid, London

Für die Gärtner in Wimbledon ist Gilles Müller wahrscheinlich der absolute Lieblingsspieler. Der Luxemburger, der im Achtelfinale den zweimaligen Wimbledonsieger Rafael Nadal in fünf irrwitzigen Sätzen besiegt hat, rennt für sein Leben gern ans Netz, um die Ballwechsel mit einem gepflegten Flugball zu beenden. Würden alle so spielen wie der 34-Jährige, dann hätten die Greenkeeper des All England Lawn Tennis and Croquet Clubs ein paar Sorgen weniger. Die Plätze wären dann sehr viel gleichmäßiger abgespielt.

Der Abnutzungsgrad des Rasens, dem einzigen lebenden Untergrund auf der Profitour, sagt viel über die Art des Tennis aus, das heutzutage gespielt wird. Die meisten Spieler halten sich vornehmlich in der Mitte des Platzes und hinter der Grundlinie auf, sie schlagen so hart mit der Vor- und der Rückhand, dass sie gar nicht mehr ans Netz kommen müssen, um zu punkten.

Schmale Trampelpfade nach vorne gibt es, anders als in den 80ern und 90ern, ebenfalls kaum noch. Die wenigen Serve-and-Volley-Spieler wie Gilles Müller, der im Viertelfinale an diesem Mittwoch auf Marin Čilić trifft, oder Milos Raonic (gegen Roger Federer), hinterlassen nur wenige Spuren. Aber ihr Stil ist praktisch ausgestorben. Sie gewinnen auch keine Titel mehr, der letzte Major-Sieger dieses einst so populären Stils war Goran Ivanišević. 16 Jahre ist das her. Und wenn man ehrlich ist, pflegte der Kroate eher einen Serve-ohne-Volley-Stil, er schlug so gut auf, dass er keine Flugbälle mehr spielen musste. Lange her.

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Heute klaffen hässliche braune Stellen an der Grundlinie - Unebenheiten und Löcher, nach acht Tagen schon. Grüne Grashalme sind da nicht mehr zu erkennen, nur noch Erde, aus der kein Leben, kein einziger Halm mehr erwachsen kann. Sogar der Titelverteidiger Andy Murray hatte sich erlaubt, nach den trockenen und heißen Tagen über den Heiligen Rasen von Wimbledon zu motzen. "Grasklumpen" habe er hinter der Grundlinie auf dem Centre Court gesehen, kritisierte der Schotte. Er selbst könnte dagegen etwas tun, wenn er häufiger den Weg ans Netz suchen würde. Doch für Allrounder wie ihn oder Roger Federer macht es keinen Unterschied mehr, ob sie auf Rasen oder Hartplatz antreten - an ihrer Taktik oder ihrem Spielstil ändert sich kaum etwas.

Die Gründe für diese schon länger zu beobachtende Entwicklung liegen auch an der Beschaffenheit des Rasens. Anfang des neuen Jahrtausends führten die Verantwortlichen in Wimbledon selbst eine Zäsur herbei, um auch die Tennisspieler zu begünstigen, die Gras lange nur als Nahrung für Kühe hielten und am liebsten auf Sand spielten. Wie Ivan Lendl oder Thomas Muster, der nie ein Spiel in Wimbledon gewinnen konnte.

Die Gärtner ließen eine neue Saat entwickeln. Hatten sie früher in Wimbledon 70 Prozent Weidelgras und 30 Prozent Rotschwingel vermischt, setzten sie fortan ausschließlich auf Deutsches Weidelgras. Es ist robuster und widerstandsfähiger als die alte Rasenmischung - und die Bälle springen höher ab. Die neuen, dichteren Halme haben die Spielgeschwindigkeit allerdings nicht gedrosselt, genauso wenig wie die Bälle, denen sie ein wenig die Luft genommen haben.

"Das liegt vor allen an den verbesserten Schlägern und den Saiten, mit dem die Spieler mehr Spin als früher spielen können", sagt Mark Philippoussis. Der Australier liebte das offensive Spiel mit wuchtigen Aufschlägen und gefühlvollen Flugbällen. 2003 rückte der heute 40-Jährige so ins Finale vor, verlor aber gegen Federer in drei Sätzen. "Die Topspinbälle machen das Leben eines Serve-and-Volley-Spielers unheimlich schwer", erzählt Philippoussis, "weil sie krumm ankommen und wir sie so tief, fast über den Grashalmen spielen müssen."

Das hat auch schon Mischa Zverev leidvoll erfahren müssen. Er hat sogar einen Namen für die gemeinen Passierbälle gefunden. "Bananen-Topspin-Ball", nennt er die Schläge, die besonders Nadal mit seiner linken Hand gerne spielt, "mit Spin von der Seite." Der deutsche Tennisprofi Zverev, der in Wimbledon in der dritten Runde Federer unterlag, praktiziert den alten Stil in seiner reinsten Form. Noch radikaler als Müller oder Raonic, die auch mal an der Grundlinie stehen bleiben. Zverev sucht sowohl nach dem ersten als auch nach dem zweiten Aufschlag die Entscheidung am Netz. Es sei nicht immer einfach, gibt er zu, wenn an einem die Passierbälle nur so vorbeifliegen. "Du darfst dich dadurch aber nicht verunsichern lassen und musst weiter nach vorne laufen, auch wenn du mal 2:6, 2:6 verlierst."

Zverev hat Aufschlag und Volley zum Hauptbestandteil seines Trainingsalltags erhoben. Um noch schneller nach vorne laufen zu können, will er seine Beinarbeit verbessern, seine Geschmeidigkeit. "Nur so kannst du das Feld noch kleiner für den Gegner machen und an die seitlichen Bälle rankommen", sagt er.

Zverev glaubt fest daran, dass in Wimbledon eines Tages auch wieder ein Spieler mit Serve-and-Volley gewinnen kann. Er hat sogar eine genaue Vorstellung davon, wie so ein Spieler auszusehen hat: "Er muss so aufschlagen wie Ivo Karlović und so beweglich sein wie Rafael Nadal." Mark Philippoussis mag über einen Klon nicht nachdenken, sondern glaubt an Gilles Müller. "Der kann hier weit kommen, weil er sein Spiel gut mischt." Auch die Gärtner in Wimbledon würden sich freuen.

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