Wimbledon:Kerbers bestes Tennis ist nicht mehr gut genug

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Angelique Kerber: Stark, aber unterlegen gegen Garbine Muguruza (Foto: Getty Images)
  • Angelique Kerber verliert trotz eines starken ersten Satzes ihr Achtelfinale in Wimbledon.
  • Sie wird damit auch die Weltranglistenposition eins verlieren.
  • Doch es gibt Anzeichen, dass ihr mit Wimbledon die Wende zurück zu alter Selbstsicherheit gelingen kann.

Von Barbara Klimke, London

Warmer Applaus, lächelnde Zuschauer, eine mitreißende Partie: Monatelang hat Angelique Kerber diese kleinen Glücksmomente vermisst, die der Beruf als Tennisprofi an guten Tagen mit sich bringt. Es gehört zur Ironie ihres Sports, dass sie diese just im Augenblick des Scheiterns im Achtelfinale von Wimbledon wiedergefunden hat. Zu einem Zeitpunkt, als sie auch Gewissheit darüber erhielt, dass sie kommende Woche ihre Stellung als Nummer eins der Weltrangliste verliert.

Angelique Kerber, die Vorjahresfinalistin, hat sich am Montag in Wimbledon der Spanierin Garbiñe Muguruza, Nummer 15 des Rankings, in drei Sätzen (6:4, 4:6 und 4;6) geschlagen geben müssen. Aber in der bis zum letzten Ballwechsel ausgeglichenen Partie gab es nie Zweifel daran, dass hier Champions gegenüberstanden: die zweimalige Grand-Slam-Siegerin aus Kiel sowie die Spanierin, die im vergangenen Jahr die French Open gewann. "Es war mein bestes Spiel in diesem Jahr", sagte Kerber bedauernd bei ihrem Abschied aus dem All England Club. "Aber ich weiß jetzt, dass ich auf einem guten Weg bin. Die Motivation und die Leidenschaft sind zurück."

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Die Ausgangslage war für Kerber, 29, nach ihrer langen Formkrise allerdings nicht erbaulich. Sie hatte drei Zitterpartien in Wimbledon überstehen müssen, um überhaupt ins Achtelfinale zu kommen. Und die 23-jährige Garbiñe Muguruza ist eine flinke, ideenreiche Akteurin mit einem enormen Spielrepertoire, wie Kerber zuletzt erkennen musste: Die vergangenen vier Matches gegen die Spanierin hatte sie allesamt verloren. Auch bei dem vorherigen Duell auf Wimbledon-Rasen 2015 war Kerber der spanischen Rivalin unterlegen.

Zu ihren bemerkenswerten Charaktereigenschaften gehört jedoch die Fähigkeit, Unangenehmes im Bedarfsfall dank reiner Willenskraft auszublenden. Sie konzentriere sich immer nur aufs nächste Spiel, sagt Kerber. Und die vier Niederlagen?"Das sagt gar nichts!", behauptete sie vorab. Und so begann sie das Match, nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe. Sondern mit Spielwitz und Powerschlägen aus erstaunlichen Winkeln, als hätte es das Krisenhalbjahr nie gegeben. Im ersten Satz setzte Kerber ein Ausrufezeichen, als sie die vorpreschende Muguruza mit einem Lob überlistete. Das Break zum 4:3 gelang mit einem mächtigen Passierball, dann war der erste Durchgang gewonnen. Es war mit Abstand ihr bester Satz der Saison.

Die Zuschauer auf Court Nummer Zwei waren zum Teil so begeistert, dass sie zwischen den Ballwechseln aufsprangen, um zu applaudieren.

Auch im zweiten Durchgang waren die Rollen verteilt: Muguruza griff an, Kerber vertraute ihren Konterfähigkeiten. Das Match blieb ausgeglichen, bis der Versuch, einen Breakball abzuwehren, in den Maschen landete. Kerbers erster Aufschlagverlust in der Partie bedeutete gleich den Satzverlust. Im dritten gelang es ihr nicht, vier Chancen zum 4:3 zu nutzen. Muguruza schöpfte Mut, die Sache zu beenden. "Es waren zwei oder drei Punkte, die den Unterschied gemacht haben," sagte Kerber.

Für Selbstvorwürfe aber gibt es keinen Anlass nach diesem Spiel, in dem sie einer ebenbürtigen Rivalin gegenüberstand - und einem Champion unterlag. Kerber hat seit ihrer Ankunft in England zunehmend wieder Tritt gefasst auf dem Tennisplatz. Es mehren sich die Hinweise, dass ihr bei dem Kurzauftritt in Eastbourne und anschließend in Wimbledon tatsächlich die Wende geglückt sein könnte.

Aus den vergangenen deprimierenden Wochen und Monaten hat sie Lehren gezogen, wie sie versicherte. Vor großen Brüchen, etwa einem Trainerwechsel, scheute sie zwar zurück. Auch sieht sie keinen Anlass, eine jener Tennislegenden in Teilzeit zu verpflichten, die vor allem im Männertennis als große Motivationskünstler gelten und ihre Dienste als "Super Coaches" anbieten. Andy Murray setzt beispielsweise auf die Hilfe des alten Recken Ivan Lendl; Novak Djokovic auf Andre Agassi. Und auch die Spanierin Muguruza, die im Viertelfinale nun auf die Russin Swetlana Kusnezowa trifft, weiß für die Dauer des Wimbledonturniers die ehemalige Weltklassespielerin Conchita Martinez an ihrer Seite - allerdings nur aushilfsweise.

Kerbers Veränderungen sind eher klein, aber entscheidend, wie sie glaubt: Sie hat mehr Pausen in die tägliche Fron eingebaut. Sie will sich nicht mehr ausnahmslos auf die Absprungwinkel der gelben Bälle konzentrieren, dafür mehr auf die kleinen Glücksmomente, die das Leben abseits der Rasenlinien bietet. "Ich brauche mehr Ruhe für mich", erläuterte sie während des Turniers. "Ich will mal ein Buch lesen, einen Film gucken oder einen Kaffee trinken." Die Zeit nehme sie sich, sagte sie, "und das wird auch so bleiben".

Die Führung in der Weltrangliste wird am Montag entweder auf die Rumänin Simona Halep oder die Tschechin Karolina Pliskova überwechseln. Angelique Kerber, die sie insgesamt 34 Wochen innehatte, muss dann kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie mal zum Buch greift. Auch das hat ihr Wimbledon gezeigt.

© SZ vom 11.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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