Wimbledon:Mit 34 unter Giganten

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Tatsächlich im Viertelfinale: Gilles Müller in Wimbledon. (Foto: dpa)
  • Gilles Müller erlitt vor fünf Jahren eine Stressfraktur im Ellbogen. Seitdem hat er viel an seiner Fitness gearbeitet und spielt besser denn je.
  • In Wimbledon schlägt der 34-jährige Luxemburger Rafael Nadal in fünf Sätzen und erreicht überraschend das Viertelfinale.

Von Barbara Klimke, London

Eines hat die lange Nacht von Wimbledon alle Ermüdeten und Ermatteten gelehrt: Die Konsequenzen einer Stressfraktur im Ellbogen sind nie zu unterschätzen. Fünf Jahre ist es her, dass der Luxemburger Tennisprofi Gilles Müller Schmerzen am Schlagarm spürte. Der Arzt verordnete strikte Ruhe, und weil Müller nicht monatelang untätig bleiben wollte, fing er mit verstärktem Fitnesstraining an. "Ich durfte kein Racquet anfassen, also habe ich meinen Körper in die beste Form gebracht, in der ich jemals war", erzählte er in Wimbledon. Im Nachhinein betrachtet, sei diese Verletzung "das Beste" gewesen, "das mir im Leben je passiert ist".

Ein zermürbender fünfter Satz

Denn glaubt man Müller, dann verdankt er es vor allem seiner spät erreichten Bombenform, dass er im Alter von 34 Jahren den 15-maligen Grand-Slam-Sieger Rafael Nadal, 31, im Achtelfinale der Championships des All England Clubs besiegte: jenen Nadal, der vor kurzem erst zum zehnten Mal bei den French Open triumphierte und auch in Wimbledon zu den Favoriten zählte. Müller rang den mallorquinischen Ausnahmekönner, einen der athletischsten und durchtrainiertesten Spieler, dessen Körper den Anschein erweckt, als sei er aus einem Muskel gemeißelt, in einem fast fünfstündigen Match mit 6:3, 6:4, 3:6, 4:6 und 15:13 nieder. Allein der zermürbende fünfte Satz dauerte zwei Stunden und 15 Minuten. Und Nadal war hinterher leicht überfragt, als er sagen sollte, was er denn falsch gemacht habe an diesem Tag.

Müller dagegen hielt sich an sein Überlebensmotto: "Durchhalten!", sagte er sich, nachdem er die ersten beiden Sätze mit harten Aufschlägen und platziertem Volleyspiel überraschend für sich entschieden hatte. Er tritt bereits seit einigen Monaten mit weit mehr Selbstbewusstsein und Zuversicht als früher an die Aufschlaglinie, und für den Wendepunkt seiner Karriere lässt sich sogar ein Datum finden: Es war am 13. Januar 2017, als es ihm in Sydney endlich gelang, das erste ATP-Turnier seiner 13 Jahre währenden Tenniskarriere zu gewinnen. Rod Laver, eine Legende des Sports, überreichte die Trophäe; die Frau des Luxemburgers und seine Söhne, Nils und Lenny, standen auf der Tribüne, und Müller brach in Tränen aus. Seitdem spielt er das beste Tennis seines Lebens.

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Die Ellbogenoperation hatte ihn zweifeln lassen, ob er überhaupt in der Lage sein werde, die Karriere fortzusetzen. Er schlug sich nach der Rückkehr durch die niedrig dotierten Challenger-Wettbewerbe, gewann fünf davon und machte in der Weltrangliste wieder Punkte gut. Trainiert wurde er da von dem Briten Jamie Delgado, der ihn erstmals auf Position 40 in der Welt dirigierte, und der inzwischen wieder zu Andy Murrays Betreuerstab gehört.

Delgado half Müller zu erkennen, dass das Spiel auf Rasen seinem Angriffsstil am meisten entgegenkommt: Beim Turnier in s'Hertogenbosch sicherte er sich im Juni den zweiten Titel, im Finale gegen den kraftvollen Aufschläger Ivo Karlovic; und beim Wimbledon-Vorbereitungsturnier im Londoner Queen's Club stand er im Halbfinale. Den Fünfsatzsieg gegen Nadal nannte er das "beste Match meiner Karriere".

Es war in der Tat beeindruckend, wie er Nadal, den Champion der Jahre 2008 und 2010 im All England Club, unter Druck setzte und in die Defensive drängte. Beim Aufwärmen im Kabinengang war Nadal während eines Strecksprungs unglücklich mit dem Kopf an die Decke gestoßen - was kein gutes Omen war. So wenig wie die Tatsache, dass Nadal in Wimbledon schon mal gegen Müller verloren hatte - aber das lag zwölf Jahre zurück. Er sei ein "unangenehmer Gegner", sagte Nadal über Müller, Linkshänder wie er selbst, und er sah es als kleines Unglück an, dass er seit dem verlorenen Breakball im ersten Satz einem Rückstand hinterherrannte. Doch selbst im entscheidenden fünften Satz fand der Paris-Rekordsieger nicht mehr zurück zu gewohnter Dominanz: Er hatte binnen anderthalb Stunden fünf Matchbälle gegen sich. Vier wehrte er ab, beim letzten schlug er eine Vorhand ins Aus.

Ein Scheitern stand nicht auf der Rechnung

Für Nadal endet damit eine Reise, die mit enormen Erwartungen begonnen hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit plagten ihn weder die Knie noch das schmerzende Handgelenk, das seinen Auftritt im Vorjahr verhindert hatte. Bei den ersten Matches in Wimbledon präsentierte er sich nach der hervorragenden Sandplatzsaison in bestechender Form. Es war vorstellbar, dass ihm das nächste große Karriereziel gelingen sollte: zum dritten Mal nacheinander die Grand-Slam-Pokale in Paris und London zu gewinnen, was seit Björn Borg (1978-1980) niemandem mehr gelang. Die Besten des Tennis, Roger Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal, messen sich ja längst nicht mehr nur aneinander, sondern auch an den Statistiken der Giganten der Vergangenheit.

Noch vor einer Woche saß Nadals Trainer und Onkel, Toni Nadal, bei schönstem Sonnenschein auf der Terrasse des Spielerlokals im All England Club und sinnierte über die Stärken seines Neffen. In letzter Zeit, sagte er, hätten sie vor allem die Vorhand verbessert: Er wollte, dass Rafael weniger frontal, sondern seitlicher zum Ball steht. Und es habe lange gedauert, ihn zu überzeugen, "weil er mit seinem Stil, mit seiner Technik ja alles erreicht und alles gewonnen hat". Ein Scheitern bereits im Achtelfinale des diesjährigen Turniers stand nicht auf Toni Nadals Rechnung.

Festzuhalten ist nun, dass Rafael Nadal zuletzt vor sechs Jahren ein Wimbledon- Finale erreichte und dass sich die Liste der frühen Niederlagen gegen Außenseiter ein wenig verlängert hat: Auch gegen Dustin Brown, Nick Kyrgios, Steve Darcis und Lukas Rosol hatte er in der Zwischenzeit im All England Club verloren. Nadal will nächstes Jahr wiederkommen. Er wird hoffen, dass seine Wege dann kein Spieler mit verheilter Stressfraktur kreuzt.

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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