Vierschanzentournee:Immer wieder Österreich

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Thomas Morgenstern gewinnt die Vierschanzentournee und setzt damit die Serie seiner Landsleute fort. Für seine eindrucksvolle Stärke hat der Protagonist eine recht einfache Erklärung.

Thomas Hahn, Bischofshofen

Der letzte Gegner von Thomas Morgenstern fuhr am Morgen des Dreikönigstags durch die Straßen von Golling. Er spielte mit den Fahnen, er wühlte im Haar und er sah wirklich ein bisschen bedrohlich aus. Aber die 25 Kilometer bis nach Bischofshofen hat der Föhn dann irgendwie nicht geschafft. Es war wieder kalt am Laideregg, als dort auf der Paul-Außerleitner-Schanze am späten Nachmittag das Finale der 59. Vierschanzentournee begann, und die Luft war einigermaßen ruhig.

Beeindruckende Stärke: Thomas Morgenstern, der neue Tourneesieger. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Kein Sturm in Sicht, der den Führenden Morgenstern noch hätte aus der Bahn tragen können auf der letzten Etappe seines vierteiligen Triumphzugs von Oberstdorf über Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck nach Bischofshofen. Und so brachte Thomas Morgenstern, 24, aus Villach tatsächlich seinen mächtigen Vorsprung ins Ziel, mit zwei ruhigen, weiten Flügen auf 136 Meter und 135 Meter sowie einem zweiten Platz hinter dem Norweger Tom Hilde.

Es ist schon der dritte Tournee-Erfolg nacheinander für die Österreicher nach dem Erfolg von Wolfgang Loitzl 2009 und dem von Andreas Kofler 2010. Das sagt viel über die Skisprung-Stärke der Österreicher. Aber Austrias Erfolgserie zeigt noch etwas anderes: dass Erfolg im Skispringen offensichtlich auch eine Frage des Misserfolgs ist. Wolfgang Loitzl und Andreas Kofler mussten beide lange Durstrecken überstehen, ehe sie nach dem prestigeträchtigsten Titel der Springerszene greifen konnten. Loitzl scheiterte nach Erfolgen als Junior zunächst an seinem Phlegma, Kofler galt lange als Sturzpilot.

Und auch Thomas Morgenstern hat vor seiner Krönung als Tournee-König erstmal eine Krise überwinden müssen - wobei Krise in Morgensterns Fall ein relativer Begriff ist, denn nach den Ansprüchen des Villachers fängt eine Krise praktisch schon dann an, wenn er nicht gewinnt. Thomas Morgenstern ist eines der größten Talente der Skisprung-Geschichte. Er war 16, als er seinen ersten Weltcup-Sieg feierte. 19, als er 2006 Doppel-Olympiasieger in Turin wurde. Thomas Morgenstern ist der Vertreter einer Liga, in die nur sehr wenige Sportler aufsteigen können.

Dritter war er im vergangenen Jahr halt im Gesamtweltcup, davor Siebter und gewann seine jährliche Goldmedaille bei WM oder Olympia nur im Team. Für andere sind das Traumbilanzen, für Morgenstern war es der Anlass, sich grundsätzlich zu hinterfragen und die Arbeit an sich selbst zu forcieren. Zumal ein weiterer Hochbegabter ihm die Show stahl: Gregor Schlierenzauer, Österreichs zweites Sprungwunderkind.

Seine Flugtechnik hat Morgenstern verbessert im Sommer ("Skiführung, Körperform, im Prinzip das ganze System"). Und seinen Überehrgeiz hat er sich aus dem Kopf schlagen lassen; und zwar von einem Mentaltrainer, dessen Namen Morgenstern aus irgendwelchen Gründen nicht verrät. Jetzt sagt er: "Zum Spaß mache ich keine Fehler, aber ich darf Fehler machen, weil ich menschlich bin."

Die ewige Zuversicht, die neue Milde zu sich selbst und die stetige Freude an allem, was passiert, wirkt bisweilen etwas konstruiert. Als brauche ein Skispringer ein Gehirn, das reingewaschen ist von allen eigenen Gedanken, die dem sportlichen Erfolg im Wege stehen könnten. Als müsse er alle inneren Handlungen dem Sport unterordnen. Aber es wäre wohl doch ein bisschen gewagt, Morgensterns Lachen zu einem reinen Produkt der modernen Sportpsychologie zu machen.

Sieger der Vierschanzentournee
:Popstars und Supermänner

Die früheren Sieger des traditionsreichen Skisprungvierkampfes waren allesamt wagemutig - manch einer auch abseits des Sports. Von Offizieren, Häftlingen und Maskenträgern.

Bei dieser Tournee trat er nicht nur als starker Springer auf, sondern als lebenslustiger Jüngling, für den Arbeit und Spaß kein Widerspruch ist und der sich von nichts mehr erschüttern lässt. Es gibt keine Angst. Es gibt keine schlechten Erinnerungen. Es gibt nur Erfahrungen, aus denen man lernt. Das hat man von Morgenstern lernen können.

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Im November 2003 hatte er in Kuusamo einen schweren Sturz. Er war 17 und unbekümmert. Er sprang hoch weg, der wechselhafte finnische Wind packte ihn, er schlug hart auf und blieb reglos liegen. Es war nicht so schlimm, wie es aussah, wenige Wochen später sprang er wieder, aber er schien fast ein bisschen zu sorglos und jugendlich über das Ereignis hinwegzugehen.

Heute sagt er: "Der Sturz ist irgendwie ein Teil von mir. Der hat mir auch irgendwo Erfahrungen gebracht." Und in seiner etwas einfachen, groben Kärntner Sprache streut Morgenstern Botschaften, die jeder im Land versteht und sich zum Vorbild nehmen kann. "Ich bin nie ein begeisterter Schulgänger oder Schulbesucher gewesen. Aber ich hab gewusst, dass es für mich als Mensch wichtig ist und deshalb zieh ich das durch."

Tom Hildes Sieg stand für ein Aufbäumen der Norweger, die einen durchwachsenen Saisonstart hatten in dieser Saison ihrer Heim-WM in Oslo. Der Schweizer Rekord-Olympiasieger Simon Ammann war wieder gut aufgelegt und festigte mit Platz vier den zweiten Rang in der Gesamtwertung. Aber keiner konnte wirklich diesen österreichischen Feiertag stören.

Morgenstern ließ sich im Zielraum des Sepp-Bradl-Stadions von den 30.000 Zuschauern feiern, denen auch nicht entging, dass sich in Manuel Fettner als Drittplatziertem noch ein weiterer Landsmann aufs Tournee-Podest gehoben hatte. Die Tagesbestweite setzte Martin Koch aus Villach mit 140,5 Metern, der Tagesdritte Kofler war einer von vier Österreichern unter den ersten Sechs. Die Tournee erstrahlte in Rot-Weiß-Rot. Das Alpenland schwelgte im Glück seiner Springer, und vom Föhn war immer noch nichts zu sehen.

© SZ vom 07.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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