VfL Wolfsburg:Van Gaals Helfer soll Wolfsburg retten

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Andries Jonkers spektakulärste Karriere-Station: als Co-Trainer von Louis van Gaal in München. (Foto: Hanne Rauchensteiner)
  • Nach der Entlassung von Valérien Ismaël wird Andries Jonker Cheftrainer in Wolfsburg.
  • Der Niederländer war in seiner Karriere bisher meistens Co-Trainer. Entscheidend sei seine Nähe zum Klub gewesen.
  • Als Co-Trainer kommt der Schwede Freddie Ljungberg.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Es war am Montagnachmittag noch erheblich zu früh, um zu bewerten, wie die Verpflichtung von Andries Jonker, 54, als neuer Chefcoach des Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg am Mittellandkanal ankam. Unter Berücksichtigung der gängigen, eurozentrischen Schönheitsklischees aber dürfte es eine Reihe von Menschen geben, die mit großem Beifall begrüßen, dass die Wahl auf den bisherigen Leiter der Nachwuchsakademie des englischen Premier-League-Klubs FC Arsenal fiel. Weniger wegen Jonker selbst, der am Montag als Nachfolger des am Sonntag entlassenen Valérien Ismaël vorgestellt wurde. Eher schon, weil er vor den Medien eine Sensation verkündete: Unter seinen Trainerassistenten wird auch der ehemalige schwedische Nationalspieler Freddie Ljungberg sein, der in der Vergangenheit nicht nur als Weltklassestürmer des FC Arsenal, sondern als viel beachtetes Unterwäsche-Model aufgefallen war. Frei nach dem Motto: Das Auge spielt mit.

Es passt zu Jonkers Vita, dass es damit sogar am Tag seiner Vorstellung als Bundesliga-Cheftrainer einen Moment gab, an dem er nur im Schatten stand. Der Amsterdamer, der selbst nie Profi war, tummelt sich schon seit Jahren im Elitefußball, über den Status des Anonymus ist er aber kaum je hinausgekommen. Als Cheftrainer hat er nur beim FC Volendam, MVV Maastricht und Willem II Tilburg in den Niederlanden gearbeitet, ohne durchschlagenden Erfolg. Dafür gelangte er als Assistent seines Landsmanns Louis van Gaal beim niederländischen Verband KNVB, dem FC Barcelona und beim FC Bayern zu einiger Bekanntheit. Vor allem, als er im April 2011 beim FC Bayern für kurze Zeit den Cheftrainer-Posten übernahm - mit dem ausdrücklichen Segen seines seinerzeit beurlaubten Mentors van Gaal. Jonker schaffte es, den damals kriselnden FC Bayern für die Champions League zu qualifizieren, mit vier Siegen und einem Unentschieden aus fünf Spielen, bei denen der damals in München und heute in Wolfsburg stürmende Mario Gomez sagenhafte neun Tore erzielte.

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Danach ging Jonker zurück in den Schatten, als Trainer der U23 des FC Bayern. 2012 wechselte er zum VfL Wolfsburg, wo er bis 2014 als Assistent von Felix Magath, Lorenz-Günther Köstner und Dieter Hecking arbeitete - und nun als alter Bekannter begrüßt wurde. Jonker sei nicht nur wegen seines Fußballfachverstandes zur "Wunschlösung" gereift, sondern auch, weil er "weiß, wie hier die Türen aufgehen", erklärte VfL-Sportchef Olaf Rebbe.

Das Problem mit Jonkers Vertrag beim FC Arsenal war schnell gelöst. Rebbe erinnerte die Briten daran, dass der VfL im Jahr 2014 Jonker vorzeitig aus dem Vertrag entlassen hatte - nun erbat und erhielt man seine Freigabe als Arsenals Nachwuchsakademie-Chef. In dieser Funktion hatte er auch Ljungberg kennengelernt, natürlich nicht mehr als aktiven Stürmer (der Schwede beendete seine Karriere 2014), sondern als wissbegierigen, hoch motivierten Jugendtrainer, der "wirklich interessiert ist an der individuellen Entwicklung der Spieler". Nun soll er Jonker dabei helfen, "ein kleines Problem zu lösen".

Mit diesen ironischen Worten umschrieb der bedächtig und ernsthaft formulierende, kaum je lächelnde Jonker vor der Presse den Abstiegskampf, in dem sich der VfL Wolfsburg zweifellos befindet. Sein am Sonntag freigestellter Vorgänger Valérien Ismaël hatte als Nachfolger des im Oktober entlassenen Dieter Hecking nur 16 Punkte aus 15 Spielen gesammelt. Damit steht Wolfsburg auf Rang 14, zwei Punkte vor dem Relegationsplatz. Schwacher Trost: Wolfsburg ist derzeit Branchenführer im Norden. Werder Bremen und der Hamburger SV stehen noch schlechter da.

Über konkrete Pläne vor seinem Debüt gegen Mainz schwieg sich Jonker am Montag noch aus, "es ist nicht der Zeitpunkt, um über ein System zu reden", sagte er. Seine Mission bestehe darin, 40 Punkte zu sammeln - die Marke, bei der ein Abstieg als abgewendet gilt. Bekannt ist, dass Jonker stark von der niederländischen Schule und von van Gaal geprägt ist. Das heißt: vom offensiven Positionsspiel, ballfixiertem Training und einem 4-3-3-System, das nicht dem entspricht, was Wolfsburg zuletzt praktiziert hatte. "Das Wichtigste ist: Klarheit in den Ideen", sagte Jonker.

Auch deshalb unterhielt er sich am Montag erst mit Kapitän Diego Benaglio und Marcel Schäfer, die er noch aus seiner ersten Zeit in Wolfsburg kennt; es sind zwei von 16 VfL-Spielern, mit denen er schon zusammengearbeitet hat. Als Akademie-Leiter habe er keine Zeit gehabt, VfL-Spiele zu schauen; einen Reim auf die Misere des eigentlich passabel bestückten Kaders könne er sich daher nicht machen. Lange überlegt habe er aber nicht, als ihn der Anruf von Sportchef Rebbe ereilte.

"Die haben mir keine Zeit gelassen, das musste ganz schnell gehen", sagte Jonker. Und präzisierte, dass es "keine Sache von Tagen, sondern von Stunden" gewesen sei, die Fragen zu bejahen, die ihm sofort durch den Kopf geschossen seien: "Nutzt du diese Chance? Willst du das machen? Kriegst du das hin?"

Danach habe er den FC Arsenal, Louis van Gaal sowie Arsenals Chefcoach Arsène Wenger informiert. Van Gaal habe ihn beglückwünscht, aber auch gefragt, ob er nicht zu viel aufgebe, als Akademie-Chef sei er doch so glücklich gewesen. Wenger hingegen sei begeistert gewesen: "Er hat mir geschrieben, dass er sicher sei, dass ich das gut machen werde", verriet Jonker. Wolfsburg hofft darauf.

© SZ vom 28.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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