Tor von Stindl:Handspiel - die uneindeutigste Regel des Fußballs

Fussball 1. Bundesliga/ FC Ingolstadt-Borussia Moenchengladbach 0-2

Erst Brust, dann Hand, dann Tor: Lars Stindls Treffer gegen den FC Ingolstadt.

(Foto: Sven Simon/ddp images)
  • Auch Spitzenschiedsrichter sind sich nicht einig, ob das Tor von Lars Stindl gegen den FC Ingolstadt nun regulär oder irregulär war.
  • Das liegt an der Formulierung der Handspiel-Regel, die viele Interpretationen zulässt.
  • Das ist ein unbefriedigender Zustand, aber wie man die Regel umformulieren soll, ist unklar.

Von Christof Kneer

Natürlich haben all die Leute recht, die es mit dem FC Ingolstadt halten. Natürlich hätte das Tor des Gladbachers Lars Stindl niemals gelten dürfen, weil ihm der Ball von der Brust an die Hand sprang und von dort ins Tor. Ohne Stindls Hand wäre der Ball zur Eckfahne weitergeflogen - kann es einen deutlicheren Hinweis dafür geben, dass dieses Tor nie ein Tor hätte sein dürfen? Denn, und das nur noch mal zur Klarstellung: Das Spiel heißt Fußball, nicht Handball.

Allerdings haben selbstverständlich auch all jene Leute recht, die Gladbachs Treffer für richtig halten. Aus so kurzer Entfernung kam der Ball an die Hand geflogen, dass es sich kaum um den Tatbestand "Absicht" handeln konnte - ganz abgesehen davon, dass Stindl den Ball ohnehin regelkonform spielen wollte, eben: mit der Brust. Dieser löbliche Ansatz fließt idealerweise in die Bewertung "Absicht ja oder nein" mit ein, ebenso die Parameter "Entfernung", "natürliche/unnatürliche Handbewegung" sowie "Vergrößerung der Körperfläche". Gemäß dieser Kriterien sah das Tor zwar irgendwie blöd aus - aber "Absicht" war es nicht zwingend. Und dass das Spiel Fuß- und nicht Handball heißt? Okay, kann sein. Aber auf derlei Spitzfindigkeiten kann der Schiedsrichter wirklich keine Rücksicht nehmen.

Stindls Tor war wohl ebenso korrekt wie inkorrekt. Und die Entscheidung des Schiedsrichters, das Tor zu geben, war wohl genauso falsch, wie sie richtig war.

Wenn Schiedsrichter sich privat treffen, ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass sie irgendwann auch über Fußball, Frauen und Autos reden, aber meistens reden sie über Hand. Bei ein und derselben Hand-Szene gebe es selbst unter Spitzen-Schiedsrichtern bisweilen unterschiedliche Meinungen, sagt ein deutscher Spitzen-Schiedsrichter, tadellos zu dokumentieren am Fall Stindl. Der vom Sender Sky zu Rate gezogene Experte (ein ehemaliger Bundesliga-Referee) hat bei Ansicht der Szene direkt auf "Tor" plädiert; dagegen erklärte DFB-Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich das Tor am nächsten Tag für tendenziell irregulär. Fröhlich betont die Absicht, weil der Arm "aktiv zum Ball" ging, dies sei ja der "wesentliche Aspekt der Regelauslegung". Die einen sagen so, die anderen so: Die Regel 12 ist und bleibt das ungelöste Aktenzeichen.

Tritt ein Spieler einem anderen Spieler auf den Fuß, entscheidet der Referee auf Foul, auch wenn keine "Absicht", sondern nur "Fahrlässigkeit" vorliegt; allein beim Handspiel kommt zum objektiven noch ein subjektiver Tatbestand hinzu, wie Schiedsrichter das nennen. Das bedeutet einerseits, dass es in solchen Fällen ganz dringend einen Spielleiter braucht, der diese Schwammerl-Regel seriös interpretiert; andererseits gibt es so viele Interpretationsaspekte nebst Neben- und Unteraspekten, dass es der Referee nur falsch machen kann. Wobei falsch - siehe oben - manchmal vielleicht auch richtig ist.

Auch der Videobeweis wird das grundsätzliche Regelproblem nicht lösen können

Oft sei Handspiel "auch Gefühlssache", sagt ein Bundesliga-Schiedsrichter, das klingt etwas bedenklich in einer Branche, die Transparenz dringend nötig hat und deshalb unbedingt nachvollziehbare Kriterien braucht. Aber wie die Hand-Regel objektiver gestaltet werden könnte, weiß keiner. Ob es eine Lösung wäre, wenigstens in Stindl-ähnlichen Fällen immer auf Hand zu entscheiden, weil ein Tor ja doch der relevanteste Moment eines Spiels ist? Selbst solche Fragen kontern Schiedsrichter mit (berechtigten) Gegenfragen: Ob man wirklich einen Spieler bestrafen könne, der 50 cm vor dem Tor angeschossen wird, worauf der Ball ins Tor fliegt?

Die Schiedsrichter wissen, dass ihnen die Hand-Debatte auch erhalten bleibt, wenn bald der Videobeweis kommt. Moderne Technik wird das Regelproblem ebenso wenig lösen wie die nun anschwellende, durchaus rechtschaffene Moral-Debatte: Aber wie soll ein Spieler ein eigenes Handspiel petzen, wenn später nicht mal fünf Schiedsrichter sagen können, ob das nun ein Versehen, ob es Absicht oder ob es aus Versehen Absicht war?

Am besten, sagt ein Schiedsrichter mit einiger Ironie, sei es, wenn Spieler künftig nur noch so nach dem Ball greifen würden wie Diego Maradona 1986. Das sei dann nämlich ganz klar Hand.

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