96 verliert auch mit Frontzeck:Wenn man unten drin steht...

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Das ist die Logik des Abstiegskampfes: Nach dem Trainerwechsel überzeugt Hannover gegen Hoffenheim - unterliegt aber dennoch 1:2 und gerät weiter in Not. Der neue Coach bewahrt Ruhe.

Von Carsten Eberts , Hannover

Michael Frontzeck starrte aufs Spielfeld, hielt die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Er sah seinen Spieler Marcelo, der in die Knie gesunken war und das Gesicht in den Händen vergrub. Er sah Miiko Albornoz, der vor sich hin schimpfte. Und er sah jubelnde Hoffenheimer, die ihren Torschützen Sven Schipplock jagten, ihn fingen und in einen Jubelkreis einschlossen. So ist das also, dürfte es Frontzeck in diesem Moment klar geworden sein: Abstiegskampf in Hannover.

Eine knappe Woche ist Frontzeck nun neuer Coach bei 96. Die Zeit war knapp, er hat versucht, seine Mannschaft nach der Misserfolgsserie unter seinem Vorgänger Tayfun Korkut wieder aufzurichten - nun fand er sie erneut am Boden. Das Tor des eingewechselten Schipplock in der 83. Minute besiegelte Hannovers schmerzhafte 1:2 (1:1)-Niederlage, das 14. Spiel in Serie ohne Sieg. Frontzeck blieb trotzdem ruhig, er lächelte sogar, bevor er in die Analyse der Partie einstieg. "Wir haben es nicht verdient, dieses Spiel zu verlieren", sagte er. Und begann da, wo er vor dem Spiel aufgehört hatte: Er richtete seine Mannschaft wieder auf.

Schon nach 61 Sekunden liegt Hannover hinten

Das war dringend nötig. 96 hatte kämpferisch endlich überzeugt, die besseren Chancen erarbeitet - und trotzdem verloren. Das Spiel kam, so wie es lief, einem Nackenschlag gleich. Er sei mit der Leistung seines Teams zufrieden, erklärte Frontzeck dennoch. Sein Glaube an den Klassenerhalt sei "absolut intakt". Wenn da nur nicht dieser schlimme Blick auf die Tabelle wäre: Nur noch zwei Punkte trennen den Klub auf Rang 15 vom Tabellenende, so schlecht stand Hannover in dieser Saison noch nie da. Gewinnt der SC Paderborn am Sonntag sein Heimspiel gegen Bremen, droht sogar der Absturz auf den Relegationsrang. "Das heute muss ich erst mal verdauen", sagte Hannovers Nationaltorwart Ron-Robert Zieler.

Hebt die Hände vergeblich zum Himmel: Michael Frontzeck wollte seine Mannschaft aufrichten, doch nach wenigen Minuten lag sie schon wieder zurück. (Foto: Joern Pollex/Getty Images)

Bei seinen Stationen zuvor hatte sich Frontzeck einen Ruf als Blitzstarter erarbeitet. In Aachen, Mönchengladbach und St. Pauli gewann er stets seine Auftaktpartien - in Hannover nicht. Schon die erste Minute gegen Hoffenheim verlief katastrophal. Salif Sané verlor den Ball verträumt am Strafraum, der verunglückte Schuss von Hoffenheims Firmino erreichte Modeste, der am Fünfmeterraum zur Führung abstaubte. Schon nach 61 Sekunden lag Hannover zurück. Modeste stand bei seinem Schuss allerdings eindeutig im Abseits. Jeder hätte wohl verstanden, hätte sich Frontzeck ob dieser Ungerechtigkeit lauthals echauffiert. Doch er blieb ruhig. "Es gibt so Situationen, die gibt es nur, wenn man da unten drin steht", sagte er nur. Er wollte Ruhe ausstrahlen, jeder konnte es sehen.

Viel konnte Frontzeck in den vier Tagen nach seiner Amtsübernahme auch gar nicht tun. Er hatte sein Team geringfügig modifiziert, die unter Korkut gesetzten Hiroshi Kiyotake und Jimmy Briand auf die Bank verbannt, stattdessen spielten Leon Andreasen und Joselu. Was Hannover in den Folgeminuten versuchte, konnte mit Wohlwollen als zaghafte Reaktion gewertet werden. Mit beschränkten Mitteln drängte Hannover nach vorne. Die meisten langen Flankenbälle kamen über links von Albornoz, in der Mitte sprangen Joselu und Sturmpartner Didier Ya Konan aber beständig vorbei. Einmal hätte Ya Konan mit etwas mehr Glück beim Stochern den Ausgleich erwirken können, doch Glück ist aktuell nicht gerade die Sache der Niedersachsen.

Der Ausgleich gelang dennoch, wenn auch durch einen Elfmeter. Diesmal lag Schiedsrichter Perl richtig: Strobl hatte allzu forsch gegen Ya Konan gegrätscht. Kapitän Stindl trat an, traf sicher ins rechte, untere Eck, 1:1 (24.). Danach bestimmte Hannover das Spiel, hatte die besseren Gelegenheiten, etwa durch Ya Konan, der knapp über das Tor köpfte (36.). "Jeder hat gesehen, wie wir uns heute zurückgekämpft haben", klagte Zieler. Das machte es umso bitterer.

Zwischendurch brauchte Hannover aber immer wieder Glück. Etwa in der 33. Minute, als Modeste den Ball, der nach Strobls Kopfball die Torlinie entlang hoppelte, nur noch hätte über die Linie drücken müssen. Doch Modeste brachte es fertig, seinen Körper um den Pfosten zu schlängeln, das ganze Tor wackelte, die am Netz postierten Fernsehmikrofone fielen um. Nur den Ball hatte der Stürmer nicht im Tor untergebracht.

"Wir müssen den Weg weitergehen"

Die zweite Halbzeit war unansehnlich. Hoffenheim tat überhaupt nichts mehr fürs Spiel, Hannover versuchte es viel zu häufig mit langen Bällen - ein wenig praktikables Stilmittel. Dass Hoffenheim noch einmal gefährlich vors Hannoveraner Tor kommen würde, war nicht absehbar. Es gelang trotzdem, Schipplock nickte den Flankenball von Szalai aus kurzer Distanz ein (83.). "Wenn du unten bist, reicht am Ende auch ein guter Angriff des Gegners und du verlierst so ein Spiel", sagte Frontzeck.

Nach dem Schlusspfiff sammelte er seine Spieler im Mittelkreis. Er hielt eine Ansprache, rief ihnen zu, dass es keinen Grund gebe, nun den Kopf zu senken. Dann schickte er sein Team zu den Fans in die Kurve. "Wir wissen, dass es eine enge Geschichte wird", sagte Frontzeck, "aber wir müssen den Weg weitergehen." Sein Vertrag in Hannover gilt noch für vier Spiele. Danach ist er entweder der große Retter, der Hannover mit viel Ruhe zum Klassenerhalt gecoacht hat. Oder er wird die Stadt ziemlich schnell verlassen.

© SZ vom 26.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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