TV-Ereignis Olympia (8):Glücklich in Austrias Armen

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Wer noch ORF 1 empfangen kann, ist bei den Winterspielen wunschlos glücklich: Olympia mit echten Experten, wahrer Hingabe, Alpendialekt und einem "Gold-Fischi".

Thomas Hummel

"Verfassung", definierte einst der große Redner Edmund Stoiber, "das bedeutet letzten Endes Kompetenz Kompetenz. Wer hat die Kompetenz-Kompetenz?" Mehrheitlich wurde vermutet, dass der CSU-Grande damit einen Konflikt zwischen bayerischer und europäischer Verfassung darstellen wollte. Wer darf wem was vorschreiben, und so weiter. Stoiber hat damit aber im Grunde eine genialische Formel gefunden, die das ganze Leben betrifft. Wer hat die Kompetenz-Kompetenz? Wer darf sagen, was richtig ist, auch wenn der andere was anderes sagt?

Jubel in Rot-Weiß-Rot: Andrea Fischbacher und die erste Alpin-Goldmedaille für Österreich. (Foto: Foto: AP)

Immerhin im Skifahren stellt sich diese Frage nicht, da würde selbst der stolze bayerische Ex-Patriarch zugeben: allein die Österreicher bestimmen, was richtig ist.

Olympia ist die Hoch-Zeit der "Experten". Überall dürfen Ex-Fahrer, Ex-Läufer, Ex-Springer und manchmal sogar Ex-Politiker ihre "Expertise" abgeben. Die Wasmeiers, Fischers und Thomas nutzen dabei das Glück der deutschen Geburt und schwatzen ihre Ex-Sportler-Ansichten in die deutschen Wohnzimmer hinein. Dabei wissen sie wohl selbst, dass sie nicht zu den echten Experten gehören, zu den Experten-Experten sozusagen. Denn die arbeiten beim österreichischen Rundfunk, beim ORF.

Bis vor ein paar Jahren war ein Fernseh-Wintersporttag in Süddeutschland automatisch ein ORF-Tag. Wer will schon freiwillig einen im Bürokraten-Hochdeutsch kommentierten Abfahrtslauf in Kitzbühel sehen, wenn er sich gleichzeitig das echte Alpen-Flair auf die Coach holen kann? Mit Alpendialekt, echter Hingabe für den Sport und rot-weiß-roten Emotionsausbrüchen. Was gibt es Schöneres, als wenn ORF-Ko-Kommentator Armin Assinger praktisch zusammen mit den besten Abfahrern der Welt die Piste "obakracht"? Legendär sein Kommentar von Turin 2006, als der Franzose Antoine Dénériaz dem Österreicher Walchhofer im letzten Moment Gold wegschnappte. "Der foahrt da oba, wie eine gsengte Sau", schrie Assinger während der Fahrt und litt merklich: "I fang o zum schwitzen! Ja bist Du deppert!"

"Den Zielsprung guad mitgehn"

Irgendwann haben sich ein paar deutsche Sender entschieden, das schöne Treiben des Konkurrenten ORF, der so gute (und oft auch werbefreie) Sendungen zeigte, zu stoppen. Die Österreicher wurden aus dem deutschen Kabel genommen, auch aus den Satelliten-Programmen, und sie mussten auch ihre Sendeleistung über Antenne herunterdrehen. Seitdem kann kaum mehr ein Deutscher ORF 1 sehen, in München sind nur ein paar Glückliche übriggeblieben. Doch die dürfen sich umso mehr freuen: Was gibt es Schöneres als Winterspiele zusammen mit den Österreichern?

Um 18.30 Uhr am Samstagabend, eine halbe Stunde vor dem Super-G der Frauen, wird klar, warum die Wasmeiers, Fischers und Thomas dieser deutschen Experten-Welt einen viel zu leichten Job haben. Wer in Österreich Experte sein will, der muss zuerst selbst etwas leisten: Zum Beispiel mit der Kamera in der Hand den Super-G-Kurs hinunterfahren. Die ehemalige Weltmeisterin Andrea Meißnitzer rattert also auf dem eisingen Waschbrett-Kurs dahin, hält dabei eine Handkamera nach vorne und erklärt.

"Aufpassen, dass es einen do ned so weit außadruckt", stöhn, die Skikanten knirschen, "ein Doppeltor, da muaß ma ganz eng bleibn", stöhn, nächste Kurve, "boah", "den Zielsprung guad mitgehn und grod oba", stöhn, "ahh" - Meißnitzer ist im Ziel. Man denkt: Gott sei Dank ist ihr nichts passiert. "Das ist sicher der schwierigste Super-G der Saison", sagt Meißnitzer und wünscht "alles Gute für die Läuferinnen." Der TV-Zuschauer tut das selbe und bereitet sich innerlich auf die nächsten Horrorstürze vor.

"Schnell alles herrichten"

Bis zum Start sind laut ORF-Moderator "alle Augen auf das ÖSV-Quartett" gerichtet. Und auf einen Herrn namens Jürgen Kriechbaum. Der ist ÖSV-Trainer und hat in der Früh den Kurs gesteckt. Was natürlich nichts anderes bedeuten kann, als dass der gute Herr Kriechbaum den Kurs so gesteckt hat, dass eine Österreicherin gewinnt. Auf jeden Fall, stellt der ORF-Moderator fest, ist es ein "Anti-Vonn-Kurs".

18.57 Uhr, ein Rat an die Zuschauer: "Und jetzt schnell noch alles herrichten, viel Zeit bleibt nicht mehr." Erstmal sitzt Hermann Maier auf einer Berghütte und macht Werbung für eine Bank. Hermann Maier ist dabei, so etwas wie der Franz Beckenbauer Österreichs zu werden. Wieso ist eigentlich Herrmann Maier kein ORF-Experte?

19 Uhr, es geht los. Tatsächlich kommen von den ersten Läuferinnen nicht viele im Ziel an, die meisten haben derartige Probleme mit dem Hochgeschwindigkeitskurs, dass Markus Wasmeier vermutlich sagen würde: Das gehört zum Alpinsport dazu. Während Alexandra Meißnitzer den Atem anhält und hörbar mit jeder Läuferin mitleidet.

19.24 Uhr: Maria Riesch fährt, die große Deutsche. Österreicher mögen die Deutschen nicht, heißt es. Piefke! Doch Meißnitzer und der ORF-Moderator nehmen Riesch auf wie eine Heimatlose und rufen "Bravo Maria!" ins Mikrofon, als sie mit Bestzeit ins Ziel kommt.

19.36 Uhr: Lindsey Vonn fährt auf dem Anti-Vonn-Kurs, der ORF-Kommentator und Meißnitzer schwärmen: "Diese zentrale Mittellage überm Ski, die bei anderen undenkbar ist. So fahrt ma's!" Jeder Kommentar würde sich erübrigen beim Superstar der Spiele! So einen Kommentar würde man sich mal in ARD oder ZDF wünschen.

19.43 Uhr: Jetzt fährt die Österreicherin Andrea Fischbacher los. Die größte Hoffnung des ORF. Meißnitzer fährt mit. "Uhaa - grad noch rein ins Tor" - "Ahhh" - zu weit nach außen getragen. "Aber doch vorne!" schreien Meißnitzer und Moderator bei der Zwischenzeit ins Mikro. Völlig euphorisiert leiden die beiden den Kurven, vergessen alle Regeln einer Sprechausbildung, schreien ahhh und ohhh und noch einmal uaahhh. "Fischbacher gegen Vonn! - Fischbacher ist vorne! Ist das schon die Goldmedaille? Unglaublich! Der Lauf ihres Lebens!" Sie überschlagen sich. Es ist wunderbar!

Wenig später das erste Interview mit Fischbacher mit dem Interviewer Reiner, der aufgeregt erscheint wie an Weihnachten kurz bevor das Christkind kommt. "Wir wollen ja nix verschreien", verschreit der Reiner, "aber es schaut guad aus mit der Goldmedaille." Fischbacher: "Jo, richtig. Des woar a wilder Ritt!" Reiner: "Derf ma jetzt scho Gold-Fischi sogn?" (er grinst breit). Fischbacher: "Derfst a. Jo." (grinst auch breit)

Um 20.14 Uhr das nächste Interview mit Fischbacher und neben all dem Gold-Fischi und breitem Grinsen werden jetzt auch die unwissenden deutschen Zuschauer aufgeklärt, warum dieser Sieg der Österreicherin eigentlich nix mit dem Anti-Vonn-Kurs zu tun hat: Fischbacher ist die Großcousine von Hermann Maier!

Zurück im ORF-Studio lacht einem der Moderator so seelig entgegen wie ein tiroler Bergführer, der nach mehreren Stunden mit einer Wandergruppe aus Niedersachsen endlich an der Hütte angekommen ist. "Wir sind ja doch eine Ski-Nation!" ruft er in die Kamera.

Und gleich weiter zum Skispringen, bitte - da hat der ÖSV die nächsten Medaillenchancen. Was soll an einem solchen Tag noch schief gehen? Wieder mit einem sehr kompetenten Experten. In der ersten Einspielung fliegt der Zuschauer zusammen mit Weltmeister Andreas Goldberger die Schanze hinunter. Als er unten steht, sagt er: "Traumhaft san die Verhältnisse, i sogs eich!" Traumhaft wie ein Wintersportabend im ORF.

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