Türkei vor dem Aus bei der Fußball-EM:Turan erlebt die plakative Scheidung

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Arda Turan musste nach dem 0:3 gegen Spanien von seinen Barcelona-Kumpels getröstet werden. (Foto: REUTERS)
  • Was ist nur los mit der türkischen Nationalelf? Bei der EM enttäuscht das Team komplett.
  • Die Fans brechen nach dem 0:3 gegen Spanien mit ihrem Idol Arda Turan.
  • Trainer Fatih Terim regt sich mächtig auf.

Von Javier Cáceres, Nizza

Am Ende destillierte Arda Turan nur noch Sarkasmus. Aus jeder einzelnen Pore seines angeblich 1,78 Meter großen Körpers. Denn als der Mittelfeldspieler des FC Barcelona die Mixed Zone betrat, hatte er ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, und er legte es auch nicht ab, bis er den Mannschaftsbus der Türken erreicht hatte. 0:3 hatte die türkische Nationalmannschaft verloren, die Optionen auf ein Weiterkommen bei der EM sind eigentlich nur noch theoretischer Natur. Doch Arda lächelte.

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Es war seine Antwort auf die Kritiken der Journalisten und vor allem: der Fans. Denn so wie jene ihn nach dem ersten Spiel in Grund und Boden kritisiert hatten, so hatten ihn die Anhänger der Türken ab Mitte der zweiten Halbzeit bei jedem Ballkontakt so gnadenlos ausgepfiffen, dass sein Mannschaftskamerad bei Barça, Andrés Iniesta, Mitleid bekam. Ebenso die spanischen Fans, die dem begnadeten Künstler Respekt und Beifall zollten, als Antwort auf die unüberhörbaren Schmähungen seiner Landsleute. "Ich bin nach dem Spiel zu ihm hingegangen und habe ihm Mut zugesprochen", sagte Iniesta, "die Pfiffe, die er hören musste, stoßen mir bitter auf."

Turan konnte am Freitagabend wohl jeden erdenklichen Zuspruch gut gebrauchen. Nur selten hat man bei einem internationalen Turnier eine solch plakative Scheidung zwischen Fans und ihrem Idol gesehen wie am Freitagabend in Nizza. Fürwahr: Turan hat schon bessere Zeiten gesehen. Nachdem er im Sommer von Atlético Madrid zum FC Barcelona wechselte, saß er ein halbes Jahr auf der Tribüne, weil Barcelona zwar erlaubt war, Spieler zu verpflichten, diese aber wegen einer Transfersperre nicht einsetzen durfte.

Nach dem Semester Zwangspause kam Arda nicht in Tritt, und ob sein Lebenswandel in jeder Phase der Askese entspricht, die Hochleistungssportlern abverlangt wird, steht längst in Frage. Bei der EM wirkte er in beiden Spielen fehl am Platz. Ihm fehlt Rhythmus, Esprit, Frische, Energie. Auch deshalb kamen die Pfiffe, die er mit nach oben gerichteten Daumen quittierte.

Piffe gegen den eigenen Spieler? "So etwas darf es nicht geben"

Auf der anderen Seite hat er sich durchaus Meriten erworben, im Lager der Türken wurde daran ausgiebig erinnert. "Dass er ausgepfiffen wurde, hat mir nicht gefallen. Er ist einer unserer wichtigsten Spieler", sagte Trainer Fatih Terim. Die Fans mögen große Erwartungen gehabt haben, die enttäuscht wurden. "Aber so etwas darf es nicht geben", fügte er hinzu. Hakan Calhanoglou von Bayer Leverkusen, der mit einem übers Tor getretenen Freistoß die einzige nennenswerte Gelegenheit der Türken verantwortete, war nachgerade entsetzt. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass unsere eigenen Fans ihn auspfeifen und die Spanier ihn anfeuern. Da stimmt was nicht", sagte der Bundesligaprofi.

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Er selbst war zur Pause ausgewechselt worden; die Frage, ob er Trainer Terim deshalb dankbar war, weil er nur zum Teil an der von A bis Z enttäuschenden Leistung der Türken beteiligt war, verneinte Calhanoglu vehement. "Ich wollte spielen und unbedingt gewinnen. Die ersten zehn, fünfzehn Minuten waren schon in Ordnung. Dann haben wir ein völlig unnötiges Tor kassiert - und danach haben wir nicht mehr weitergespielt."

Das traf sich zu hundert Prozent mit der Analyse von Trainer Terim, der kaum einen Zweifel daran ließ, dass er sich für die Vorstellung seines Teams zutiefst grämte. Vor allem die Einstellung seiner Elf irritierte ihn. "Ich habe als Spieler nie aufgegeben, und ich habe mich nie mit Leuten umgeben, die aufgeben. Nie. Heute hat unsere Mannschaft das Handtuch geworfen. Das ist etwas, was ich nicht hinnehmen kann. Ich kann versichern, dass ich alles tun werde, um das zu ändern". Wie, das ließ Terim offen.

Doch auch er weiß, dass die Chancen auf ein Weiterkommen denkbar schlecht stehen. Die Türkei hat null von sechs möglichen Punkten. Am Dienstag steht ein Finale gegen die Tschechen an, und selbst wenn die Türken einen Sieg landen sollten, müssten sie auf Schützenhilfe hoffen, um als einer der vier besten Tabellendritten weiterzukommen. "Wer weiß, was in den anderen Gruppen passiert", sagte Calhanoglou.

© SZ vom 19.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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