TSV 1860 München:"Arme Sechziger, das war mal so ein schöner Verein"

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Hat den Zorn seines Braunschweiger Kollegen auf sich gezogen: Münchens Trainer Vitor Pereira. (Foto: dpa)
  • Braunschweigs Trainer Lieberknecht wirft seinem 1860-Kollegen Pereira vor, ihm den Mittelfinger gezeigt zu haben.
  • Außerdem soll er ihn noch mit derben Worten beleidigt haben.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen und zur Tabelle der zweiten Liga.

Von Philipp Schneider, München

Ganz am Ende dieser in jeder Hinsicht denkwürdigen Pressekonferenz ließen die Protagonisten noch eine memorable Verabschiedung folgen. Torsten Lieberknecht, der Trainer von Eintracht Braunschweig, erkundigte sich bei der Pressesprecherin des TSV 1860 München, ob er wagen solle, seinem Kollegen Vitor Pereira die Hand entgegen zu strecken. Och, sagte Lil Zercher, die ja glücklicherweise zwischen den beiden saß. Warum denn nicht? Lieberknecht erhob sich also, reichte zunächst Zercher die Hand, und dann auch Pereira, der diese ungefähr so gerne in Empfang nahm wie, sagen wir, das gelbe Einschreiben eines Inkassounternehmens.

Lieberknecht drehte ab, blickte ins Publikum, machte die Handbewegung, als habe er sich gerade die Hand unter zu heißem Wasser verbrüht und flüsterte vor sich hin: "Schnell weg hier!"

Kurz nachdem Lieberknecht den TSV 1860 mit einem 1:0 seiner Mannschaft auf den Abstiegs-Relegationsplatz befördert hatte, hatte er am Sonntag den Vorwurf in ein Fernsehmikrofon gesprochen, Pereira habe ihn am Spielfeldrand beleidigt. Demnach, so Lieberknecht, habe Pereira ihn auf Portugiesisch als den Sohn einer Frau bezeichnet, die ihren Lebensunterhalt mit der Bereitstellung käuflicher Liebe verdient. Zudem wollte er einen gestreckten Mittelfinger erblickt haben in der gegnerischen Coaching-Zone.

Lieberknecht stichelt zart

Auf dem Podium der Pressekonferenz ließen daraufhin die Münchner Lieberknecht, der bereit für sein Statement war, 20 Minuten lang warten. Erst dann kam Pereira dazu. Lieberknecht nutzte diese Zeit für eine zarte Stichelei gegen Sechzigs Aufstiegssehnsüchte ("Das Warten macht mir nichts aus. In der zweiten Liga muss man Geduld haben") und für Einzelgespräche mit Journalisten, die einer nach dem anderen zu ihm ans Podium traten, um sich nach Belegen für die Mittelfinger-Geschichte zu erkundigen. Die hatte Lieberknecht natürlich nicht. Dafür aber murmelte er während seiner Wartezeit: "Arme Sechziger, das war mal so ein schöner Verein."

Wenn Aussage gegen Aussage steht, wenn nicht klar ist, wer die Wahrheit sagt, sind Debatten immer ärgerlich. Pereira ließ Lieberknecht unter anderem deshalb so lange warten, weil er damit beschäftigt war, über ein anderes Mikrofon zu dementieren: "Er hat einfach nicht verstanden, was ich gesagt habe. Deswegen ist es eine Lüge zu sagen, dass ich ihn beleidigt hätte. Es ist eine Lüge, dass ich ihm den Mittelfinger gezeigt habe." Allein: Warum sollte sich Lieberknecht einen Finger einbilden?

In jedem Fall beförderte der öffentlich ausgetragene Zoff der Trainer eine Gewissheit ans Tageslicht: So richtig beliebt ist Sechzig nicht mehr bei den Konkurrenten in der Liga, seit der jordanische Investor Hasan Ismaik ungebremst die Entscheidungen vorgibt und viel Geld in den Wettbewerb pumpt. "Es geht um sehr viel, bei Sechzig gibt es viel Abstiegsangst", sagte Lieberknecht. "Die haben zehn Millionen ausgegeben in der Winterpause. Dann will man nicht im Abstiegskampf stehen." Schon St. Paulis Trainer Ewald Lienen hatte über das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Sechzig gespottet.

Sein Geschäftsführer Andreas Rettig beschwerte sich darüber, Investor Ismaik habe angeordnet, einige Gremiumsmitglieder des Kiez-Klubs aus seinem Sichtfeld auf der Tribüne zu entfernen, weil diese den Ausgleich ihrer Mannschaft zu laut bejubelt hätten. Und Kaiserslauterns Trainer Norbert Meier, der ja im Rheinland bei Fortuna Düsseldorf humoristisch sozialisiert wurde, war mal wieder sehr lustig, als er nach dem 1:0-Sieg seiner Mannschaft Pereiras Aussagen verballhornte, Sechzig sei in allen Belangen viel besser gewesen: "Wir können uns natürlich jetzt hier hinsetzen und erzählen, wie gut wir gewesen sind."

Man könnte all dies empfinden als ein Aufbäumen der etablierten deutschen Fußball-Fachkräfte gegen die Wucht des ausländischen Kapitals. Im Fall von Braunschweig geht es auch simpler: In den zehn Jahren, in denen Lieberknecht die Eintracht von der dritten Liga in die Bundesliga und wieder hinab in die zweite Liga geführt hat, war an der Grünwalder Straße die bemerkenswerte Zahl von 18 Trainern beschäftigt. Braunschweig ist schlicht die Antithese zu 1860.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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