Trainersuche bei 1860 München:Der Spanischdenker

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Kandidat beim TSV 1860: Carlos Bernegger. (Foto: imago/EQ Images)

Ein polyglotter Intellektueller, der kategorisch ein 4-3-3 praktizieren lässt und Neurosen heilt: In Carlos Bernegger, 45, vom FC Luzern hat der TSV 1860 einen Trainer entdeckt, der genau in sein Suchprofil passt.

Von Philipp Schneider

Neulich hat der Fußballtrainer Carlos Bernegger seinen Spielern Vorträge gehalten, der Inhalt war komplex, wenngleich notwendig. Ihr Verein, der FC Luzern, hat sich vorgenommen, rund zwei Millionen Euro einzusparen, allein die Mannschaft muss Kürzungen in Höhe einer siebenstelligen Summe hinnehmen, Luzerns Präsident Rudolf Stäger kündigte an, "die hoch dotierte Ersatzbank" des Schweizer Erstligisten nicht länger ertragen zu können.

Viele Spieler werden nun verkauft, andere mit Gehaltseinbußen leben müssen, also nahm sich der Fußballtrainer Carlos Bernegger, 45, vor, in einer "Zeit der hohen Empfindlichkeit", wie er sagte, seinen Profis mit "Empathie" zu begegnen. Er zitierte den Wiener Psychiater Viktor Frankl, der im vergangenen Jahrhundert einflussreiche Werke verfasste wie Das Leiden am sinnlosen Leben oder Theorie und Therapie der Neurosen.

Die Spieler, so heißt es, verstanden ihren Trainer. Und was soll man sagen? Auch wenn den Sparzwängen beim TSV 1860 München keinerlei Bedeutung mehr beigemessen wird und Sportchef Gerhard Poschner gewillt ist, dem Kader im Sommer mit fremdem Geld einen "tiefen Cut" zuzufügen - allein die verlockenden Neurosen der Münchner, die bekanntlich immer Aufstiegsneurosen sind, könnten Bernegger bald zu 1860 treiben. Poschner hat ihm ein Angebot vorgelegt.

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Am Dienstag hielt Bernegger in Luzern eine Pressekonferenz ab, an diesem Mittwoch trifft Luzern auf den FC Basel, aber die Journalisten wollten von ihm wissen, ob er, der Familienmensch, der so ungerne umzieht, Ende der Saison tatsächlich mit einem Sprinter voll Kisten nach München reisen wird. "Basel, Basel, Basel", antwortete Bernegger: "Es geht gegen den FC Basel. Alles andere ist unwichtig."

Große Namen wurden zuletzt bei Sechzig gehandelt, es wurde gerätselt, wer der Wunschtrainer von Poschner sein möge: Jens Lehmann oder Lothar Matthäus? Die Fährte war von Anbeginn die falsche, Poschner und das Präsidium um Gerhard Mayrhofer suchen jemanden, der noch nicht festgefahren ist in seinen Vorstellungen vom erregenden Fußball, einen, der die sportliche Ausrichtung nicht vorgibt, sondern umsetzt.

"Wir wollen nicht: einen Trainer, der sich in den Verein einmietet, um nur seine Philosophie umzusetzen", sagte Mayrhofer. Und Poschner, der noch immer eine stille Freude dabei empfindet, nicht zu bestätigen, was ohnehin längst öffentlich ist, umschreibt das Anforderungsprofil so: "Er muss intern sehr kommunikativ sein. Die Kenntnis der deutschen Sprache ist wünschenswert, allerdings kein K.o.-Kriterium. Wir wollen einen, der flexibel und offen bei seiner Arbeit ist."

Es waren Umschreibungen von Bernegger, halb Argentinier, halb Zentralschweizer, ein polyglotter Intellektueller, den eine Klavierlehrerin gebar und der einst sein Medizinstudium abbrach, um den Fußball mit seiner abenteuerlichen Sprache zu bereichern. Ein Journalist vermutete einmal, Bernegger denke auf Spanisch, wenn er Sprüche textet wie: "Es ist uns nicht gelungen, zu monopolisieren die Ball." Ballmonopol klingt nicht zufällig nach Ballbesitz, Bernegger lässt fast kategorisch ein 4-3-3 praktizieren auf dem Feld. Und Sechzigs neue Führung träumt von attraktivem Fußball, der die verwaisten Ränge der großen Arena irgendwann einmal füllen könnte.

Luzerns Sportchef Alexander Frei, der zwischen 2006 und 2009 für Borussia Dortmund stürmte und Sechzigs Geschäftsführer Markus Rejek und Gerhard Poschner zwangsläufig gut kennt, hat angekündigt, um den Verbleib seines Trainers zu kämpfen, der noch bis Sommer 2015 unter Vertrag steht. Kämpfen, das heißt für einen finanziell klammen Verein wie Luzern: die Ablöse nach oben treiben. Unterschrieben hat Bernegger bei Sechzig noch nicht.

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Frei war es auch, der 2011, als Stürmer des FC Basel, zunächst Berneggers Anstellung als Übungsleiter von Basels U21 forcierte. Im April 2013 überredete er ihn, verantwortlicher Trainer in Luzern zu werden. Das war keine einfache Aufgabe, denn den Chef zu spielen, das war noch nie Berneggers Vorliebe: In seiner Zeit bei den Grasshopper Zürich von 2003 bis 2008 gab er dreimal den Interimstrainer, doch es zog ihn immer wieder zurück zur U21 oder in die Assistentenrolle bei den Profis. Als die Young Boys Bern 2012 einen Nachfolger für Christian Gross suchten, war Bernegger - wie Gross ein Gesichtsvetter von Telly Savalas - in der engeren Auswahl. Bern entschied sich gegen ihn. Wegen seiner Sprache, hieß es.

Berneggers Großeltern waren einst aus der Schweiz nach Argentinien ausgewandert, nachdem Bernegger vor 20 Jahren zurückkehrte, gab er sich mit neun Unterrichtsstunden in deutscher Sprache zufrieden. "Spätestens in der neunten Stunde stritt er sich mit anderen Schülern, die jammerten, in der Schweiz dürfe die Wäsche nicht auf den Balkon gehängt werden", schrieb die Neue Züricher Zeitung: "Bernegger mochte weder hinhören noch streiten und machte sich zum Deutsch-Autodidakten." Einen, der in der deutschen Sprache eher improvisiert, der "Ballwechsel" sagt, wenn er Seitenwechsel meint, hat es bei Sechzig wohl seit Octavian Popescu (1984, Bayernliga, entlassen auf der Weihnachtsfeier nach einem 6:0 gegen den MTV Ingolstadt) nicht mehr gegeben.

Entscheidender ist sicher, dass Bernegger fließend Spanisch spricht. Gerhard Poschner, zuletzt Generaldirektor in Saragossa, hat dort noch ein paar Kontakte.

© SZ vom 07.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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