Tour de France:Eine Ära wird abgewickelt

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Der Wettkampf zweier Bergkönige belebt den Radsport und erfreut das Tour-de-France-Publikum. Das nimmt kaum berührt Abschied von Lance Armstrong und anderen ergrauten Herren.

Andreas Burkert

14. Juli, Nationalfeiertag in Frankreich, und in Uriages-les-Bains feiern sie gleich doppelt. Die Tour kommt auf ihrer zehnten Etappe vorbei, das kleine Thermalbad ist seit dem Morgen auf den Beinen. Es hat 36 Grad, die Karawane ist schon durch und auch die Ausreißer um den späteren Sieger Sergio Paulinho sind es, Familienväter fotografieren jetzt die Helikopter am Himmel, die ein paar Bilder aus dem schönen Belledonne- Massif in alle Welt übermitteln. Dann kommt die Meute, "Contadorrhe!" und "Schleckhe!", rufen die Zuschauer. Andy Schleck fährt ganz vorne, er ist gut sichtbar, der Mann in Gelb. Er wirft eine Trinkflasche zur Seite. "Merci, Schleckhe!", ruft der glückliche Finder.

Die Tour de France wird zum Zweikampf: Der gesamtführende Luxemburger Andy Schleck (links) und Vorjahressieger Alberto Contador werden den Gewinn des wichtigsten Rennens der Welt wohl unter sich ausmachen. (Foto: ap)

Ellbogenbruch geheim gehalten

Alberto Contador gegen Schleck, die Alpen haben aus der Tour de France ein Duell gemacht, nur Unfälle oder sonstige Kalamitäten können für einen anderen Sieger sorgen. Cadel Evans ist zwar kein Siegfahrer, er hat noch nie eine große Rundfahrt gewonnen. Doch bis Dienstag hatten man dem australischen Weltmeister schon zugetraut, mit seinem zähen Fahrstil halbwegs Anschluss halten zu können an die zwei Kletterspezialisten. Doch Evans' ersten Tag in Gelb bestimmten Schmerzen, Frust und schließlich Tränen: Vor Avoriaz, wo er sich ins Maillot Jaune gekämpft hatte, war er gestürzt, und am Ruhetag ergaben Untersuchungen, dass er sich den linken Ellenbogen gebrochen hatte. Evans hielt das geheim, so lang es ging. Bis zum Madeleine, wo Schleck und Contador antraten.

Evans will weiterfahren, wie auch die anderen Herausforderer, die sich nun aber schon vor den Pyrenäen auf Etappensiege spezialisieren müssen. Carlos Sastre zum Beispiel, Spaniens Tour-Sieger von 2008, und natürlich auch Lance Armstrong mit seinen Leuten von RadioShack. Sie liegen deutlich zurück.

Den Veranstaltern hätte allerdings kaum etwas Besseres passieren können als die Abstürze dieser alternden Herren. Sastre, 35, und Evans, 33, versprechen ja weder mit ihrer dezenten Fahrweise jenes Spektakel, das die Tour liefern möchte, noch liefern ihre Charaktere Extravaganzen oder Emotionen, die dem Tour-Geschäft dienlich sein könnten. Und wie unberührt und selbstverständlich die Tour seit Avoriaz das Ende der zehnjährigen Ära Armstrong abgewickelt hat, der zwischen 1999 und 2005 siebenmal siegte, das ist schon erstaunlich.

Die Organisatoren haben Armstrongs frappierenden Formabfall, den er selbst mit Stürzen und dem Schicksal begründet, nicht mit Entsetzen zugesehen. Voriges Jahr, bei seinem Comeback nach drei Jahren Vorruhestand, haben sie den bald 39-jährigen Texaner feierlich als PR- Maschine willkommen geheißen. Und die Quoten zogen auch wieder an, 3,8 Millionen Zuschauer saßen in Frankreich durchschnittlich vor dem Fernseher - der beste Wert seit Armstrongs Rücktritt 2005. Doch die Strategen der A.S.O. können auf einen achten Tour-Erfolg des Regenten gut verzichten, denn die Schlagzeilen aus den Staaten zu den schwerwiegenden Dopingvorwürfen von Floyd Landis (siehe Text oben) "hätten dann noch mehr Brisanz erhalten als jetzt schon", sagt ein A.S.O.-Manager, der in diesem Fall die Anonymität bevorzugt.

Tour de France
:Die Sturz-Fahrt

Wie in jedem Jahr dürfen sich die Zuschauer daran erfreuen, die Fahrer vor beeindruckender Kulisse zu beobachten - und wie in jedem Jahr fährt auch die hässliche Seite des Radsports mit.

Ein Duell zweier Bergfahrer wie Schleck und Contador lässt sich wohl besser vermarkten als ein hinreichend belasteter Dominator, dessen Siegesserie Frankreich ohnehin ermüdet hatte. Das war nicht nur an den zunehmenden "Dopé!"-Rufen unter den jährlich 15 Millionen Menschen an der Straße festzumachen, die Armstrongs Show längst misstrauten. Auch die Geschäftszahlen und Umfragewerte belegten dies: Im Jahrzehnt, das Armstrong prägte, verlor die Tour in ihrer Heimat 1,5 Millionen Fernsehzuschauer. Bei einer Umfrage der Zeitung Sud-Quest im Vorjahr äußerten 80Prozent, sie misstrauten den Fahrern.

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Ob Schleck und Contador zu trauen ist, das ist wieder eine andere Sache. Der Spanier steht mit seinen Initialen A.C. in der Kundenliste des bekanntesten Dopingarztes aus seiner Heimatstadt Madrid, Eufemiano Fuentes. Schleck ist dagegen geradezu unbelastet, wenn man einmal davon absieht, dass der umstrittene Teamchef Bjarne Riis auch ihn großzog; wie zuvor die Fuentes-Klienten Ivan Basso und Frank Schleck. Mit seinem derzeit verletzten Bruder telefoniere er momentan übrigens "mindestens dreimal am Tag", hat Andy Schleck erzählt.

Attraktiv und paradox

Gedopt oder nicht, dieses Duell dürfte, sofern es der Tour erhalten bleibt, auf Jahre das Geschäft beleben. Es sind ja neben den üblichen Dramen vor allem legendäre Zweikämpfe gewesen, die den Mythos stärkten: Coppi gegen Bartali, Anquetil gegen Poulidor, Coppi gegen Bartali, LeMond gegen Hinault und Fignon. Der offensive Stil von Schleck und Contador gilt zumindest unter Puristen als attraktiv, und die Franzosen möchten bei der Tour ja vor allem unterhalten werden. So kreuzten bei einer Befragung des Instituts Sportlab Ende 2007 22 Prozent diesen Grund an, weshalb sie die Tour im TV verfolgten: "wegen der Landschaft". Es war der Topwert vor "wegen der Dopingaffären" (20 Prozent). Für "die Champions und ihre Leistung" votierten acht Prozent. Die Tour sei eben "attraktiv und paradox zugleich" beschrieb der Pariser Soziologe Patrick Mignon in LeMonde ihre Faszination.

Schleck vs. Contador, das wird faszinieren, irgendwie. Auch Uriages hängt am Abend am Fernseher, als in Gap Armstrongs portugiesischer Teamkollege gewann. Danach wartet schon der nächste Höhepunkt, eine Meisterschaft im Stadtpark. Im Holzhacken.

© SZ vom 15.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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