Testspiel England gegen Deutschland:Demut statt Panzer

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Am Freitag gab es ein 0:2 gegen Chile: Wayne Rooney (links) machte das zu schaffen. (Foto: dpa)

Bundestrainer Joachim Löw tritt mit einer Rumpfelf gegen England an - und irritiert das Königreich. Ist der Stellenwert des englischen Fußballs wirklich so schlecht? Ausgerechnet Löw gibt der verzagten Nation ein wenig Hoffnung.

Von Thomas Hummel, London

Wo sind eigentlich die Panzer? Die Stahlhelme und das sonstige Kriegsvokabular? England spielt gegen Deutschland und auf der Insel herrscht ein fast andächtiger Respekt. Ein "Herr we go" prangt als schüchterner Germanismus auf der sonstigen Krawall-Zeitung The Sun mit einem Bild von Per Mertesacker, der weder durch Erscheinung noch als Abwehrspieler des FC Arsenal zum Feindbild taugt. Das ist alles.

Die alten Zeiten sind wohl endgültig vorbei, als vor dem Duell der einstigen Kriegsgegner die Medien ein bisschen verrückt spielten. Stattdessen bestreitet die Times eine Doppelseite mit einem Bild des 18-jährigen Schalkers Max Meyer. Und bringt den Landsleuten den deutschen Begriff "Rumpfelf" bei.

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Der Umstand, dass Bundestrainer Joachim Löw nach dem Unentschieden in Mailand seine Stammspieler Philipp Lahm, Manuel Neuer und Mesut Özil nach Hause schickte, irritiert die Engländer mächtig. Fehlen doch schon die verletzten Bastian Schweinsteiger, Ilkay Gündogan, Miroslav Klose, Lukas Podolski, Mario Gomez und Sami Khedira. Englische Journalisten bedankten sich am Montag bei ihren deutschen Kollegen für jeden Tipp, wie denn am Dienstag (21 Uhr MEZ) die deutsche Aufstellung aussehen könnte.

Löw konkretisierte dann einige Hinweise, was sich auf dem Aufstellungsbogen wie folgt las: Roman Weidenfeller gibt sein Debüt im Tor, innen verteidigt Per Mertesacker, zunächst mit Jérôme Boateng, in der zweiten Hälfte vermutlich mit Mats Hummels. Links hinten spielt Marcel Schmelzer. Sven Bender ersetzt Khedira und Marco Reus beginnt im offensiven Mittelfeld, begleitet von Toni Kroos und Mario Götze. Max Kruse läuft als einzige Spitze auf, wie Löw schon vor dem Italien-Spiel angedeutet hatte.

Blieben rechts hinten zunächst die Alternativen Benedikt Höwedes und Lars Bender, was Löw kurz vor Spielbeginn um eine Alternative ergänzte: Heiko Westermann beginnt auf der rechten Außenbahn. Das kann nur ein B-Team sein! Eine Rumpfelf! Obwohl dieser Begriff beim DFB seit Rudi Völler zusammen mit Rumpelfußball oder Libero vor der Abwehr im Wortenirwana verschwunden ist.

Was, bitte schön Herr Löw, sagt diese Aufstellung über den Stellenwert des englischen Fußballs aus? "Ich habe nicht das Gefühl, dass bei uns eine B-Mannschaft spielt, oder dass wir respektlos mit dem Gastgeber umgehen", antwortete der Bundestrainer.

Er hatte sich auf die Frage sogar vorbereitet und erinnerte an ein Testspiel im November 2008 in Berlin, als England ohne Wayne Rooney, Steven Gerrard und Frank Lampard antrat - und 2:1 gewann. Er vergaß dabei allerdings zu erwähnen, dass er damals Jermaine Jones, Marvin Compper oder Piotr Trochowski aufstellte.

Von Jones, Compper oder Trochowski hat sich selbst eine deutsche B-Elf längst verabschiedet. Die Engländer frönen deshalb den neidischen Blick zum DFB. Überall erinnern sie an das Datum des deutschen Fußball-Aufbruchs im Jahr 2000 nach der total verpatzten Europameisterschaft, als anschließend der Jugendbereich beim DFB und den Profimannschaften umgebaut worden ist.

Sie staunen über die Fülle an feinen Füßen beim großen Gegner und fürchten, dass selbst dieses Ensemble an Ergänzungsspielern den eigenen Profis deutlich überlegen sein wird. Und sie schauen trüben Blicks in die Zukunft, denn es scheint sich erst einmal nicht zu verändern. Womit man wieder bei der Doppelseite mit Max Meyer landet.

In Deutschland lauern schon die nächsten 17- und 18-Jährigen auf ihren Durchbruch. In Schalke hebt Meyer das Niveau bisweilen erheblich, Timo Werner ist eine Stammkraft in Stuttgart, Jonathan Tah in Hamburg, das Gerangel um den Wolfsburger A-Junioren-Spieler Julian Brandt hat wohl Bayer Leverkusen gewonnen. Englands Teammanager Roy Hodgson lobte den DFB in den vergangenen Tagen mehrfach öffentlich für seine Ausbildung und Spielphilosophie in der Nationalmannschaft. Und kritisierte damit mindestens indirekt die englische FA.

Der englische Fußball ist derzeit froh um jeden Spieler, der es in der Weltmesse Premier League in eine bessere Mannschaft schafft. Das 0:2 gegen Chile am Freitag bestätigte die Befürchtung, dass Englands B-Team international kaum konkurrenzfähig ist. Gegen Deutschland sollen wieder die Besten aufs Feld laufen. Steven Gerrard, inzwischen 33 Jahre alt, ist immer noch dabei genauso wie Ashley Cole mit 32. Vorne liegt große Hoffnung auf Daniel Sturridge, der für Liverpool an elf Spieltagen acht Tore schoss.

Die Hauptaufgabe, die Hodgson seiner Elf mit auf den Platz geben wird, ist aber die Defensive. Er hat den Engländern seit dem 1:4-Debakel von Bloemfontein bei der WM 2010 wieder das seriöse Abwehrverhalten beigebracht, obwohl personell die Defensive zu den Problemgebieten zählt. Nicht zu vergessen, wie sollte es anders sein: das Tor. Joe Hart sollte die jahrzehntelange Absenz eines Weltklassemannes vergessen machen, doch inzwischen sitzt auch er bei Manchester City nur noch auf der Bank. Er spielt am Dienstag auf Bewährung.

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Ausgerechnet Joachim Löw gibt der verzagten Nation ein wenig Hoffnung. "Ich bin schon der Meinung, dass England immer noch zu den großen Fußballnationen gehört", sagte er und konkretisierte: "Diese Mannschaft spielt mit Wucht, Dynamik und Zweikampfstärke. Und hat Spieler, die Partien entscheiden können." Dazu preist er Roy Hodgson an als strukturgebenden Mann für eine bessere Zukunft.

Löw und Hodgson begegneten sich erstmals, als der heute 66-jährige Engländer Anfang der neunziger Jahre Schweizer Nationaltrainer war und Löw dort damals seine aktive Karriere ausklingen ließ. Unter Hodgsons Anleitung sei die ganze Ausbildung verändert worden, "die Schweiz hat viel von ihm gelernt, die Spuren sind bis heute sichtbar", lobt Löw. Es war fast ein Plädoyer, die Zukunft des englischen Fußballs doch in die Hände des Roy Hodgson zu legen.

Erst einmal muss dieser Hodgson versuchen, eine neue Fußball-Depression auf der Insel zu verhindern. Er hat immerhin den Vorteil, dass England am Dienstagabend rein gar nichts von seinem Team erwartet. Noch nicht einmal ein bisschen Kriegsvokabular.

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