Tennis:Die Kunst des Nicht-Nachdenkens

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  • Angelique Kerber scheitert im Achtelfinale von Indian Wells, ist ab kommender Woche aber wieder Nummer eins der Weltrangliste.
  • Ihre Sätze nach Partien klingen oft nach Floskeln, können aber auch eine wichtige Fähigkeit charakterisieren.
  • Es ist kein Mangel für eine Sportlerin, ihr außerordentliches Können auf dem Platz nicht erklären zu können. Es ist eher eine Kunst, nicht darüber nachzudenken.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Torben Beltz bemerkte recht schnell, dass er Angelique Kerber nun nicht mit Taktik zu kommen brauchte. Der Trainer probierte es während einer Pause im zweiten Satz der Partie gegen Jelena Wesnina (Russland) am Dienstagabend kurz mit Anregungen zur Gestaltung von Ballwechseln, erntete dafür jedoch diesen Blick, den sonst nur genervte Ehefrauen beim Anblick von dreckigen Socken direkt neben dem Wäschekorb so böse hinbekommen. Beltz kramte schnell ein paar Motivations-Floskeln hervor, er sagte: "Du musst Gas geben. Voll da sein. Push Dich!" Dann ging er zurück auf seinen Platz auf der Tribüne. Kein Trainer, der noch an den Sieg seiner Spielerin glaubt, guckt so, wie Beltz in diesem Moment dreinblickte. Wer so schaut, der weiß, dass es vorbei ist.

Das war es dann auch ein paar Minuten später, Kerber verlor ihr Achtelfinale beim Tennisturnier von Indian Wells 3:6, 3:6. "Das war heute einfach nicht mein Tag, ich habe mich nicht gut bewegt und viele Fehler gemacht", sagte sie danach: "Ich werde später mit meinem Trainer über die positiven Dinge diskutieren, die ich von hier mitnehmen kann." Sie hat zwei Partien gewonnen bei diesem Turnier, Achtelfinale klingt ja auch immer ein bisschen nach Endspiel. Zweite Runde dagegen hört sich an wie eine Bestellung in der Kneipe an der Ecke.

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Das ist wichtig, denn Kerber wird aufgrund der Absage von Serena Williams unabhängig von ihrem eigenen Abschneiden nach dem Turnier wieder auf Platz eins der Weltrangliste geführt werden. Es ist gewiss nicht Kerbers Schuld, dass Williams aufgrund einer Knieverletzung auch die Veranstaltung in Miami verpassen wird und bereits angekündigt hat, in dieser Saison weniger Turniere spielen zu wollen - und doch gibt es da einen wenigstens gefühlten Unterschied, die Spitzenposition in der Weltrangliste nach ein paar Erfolgen zu erobern oder nach einer Niederlage zugeschanzt zu bekommen.

Sie nimmt Druck anders wahr

Kerber nimmt diesen schwammigen Begriff Druck anders wahr als viele ihrer Kolleginnen, was bisweilen zu grotesken Ergebnissen innerhalb weniger Wochen führt. Bei den Australian Open im vergangenen Jahr etwa hatte sie in der ersten Runde einen Matchball abwehren müssen, im Finale rang sie Serena Williams nieder. Kerber plagen oft jene Partien in den ersten Runden, die Akteure mit ähnlichen Fähigkeiten als Trainingseinheit unter Wettkampfbedingungen sehen. Kerber hatte in Indian Wells schon drei Mal nacheinander in der ersten Runde verloren: erst gegen Maria Teresa Torro-Flor (damals auf Platz 72 der Weltrangliste), danach gegen Sloane Stephens (42) und Denisa Allertova (64).

Nun besiegte sie erst Andrea Petkovic, danach gewann sie gegen Pauline Parmentier (Frankreich) auf eine Art, die dringend nach ihr benannt werden müsste, wenn Spitznamen im Tennis nicht gar so schrecklich wären - siehe: "Becker-Hecht" oder "Fräulein Vorhand". Sie lag - wie im US-Open-Finale gegen Karoline Pliskova - im dritten Satz bereits mit einem Break zurück und gewann dennoch 7:5. "Ich habe einfach nur an den nächsten Punkt gedacht und nicht an das, was davor passiert ist", sagte sie danach: "Ich habe auch nicht daran gedacht, was bei einem Ballwechsel passieren könnte, sondern einfach nur daran, den Ball zurückzuspielen und bei einer Gelegenheit anzugreifen."

Das sind typische Kerber-Aussagen, von ihr erfährt man nichts über griechische Tragödien wie bei Petkovic oder davon, dass ihr Trainer während einer Pause von der Tour de France erzählt habe, wie es der Coach von Julia Görges in Indian Wells gemacht hat. Von Kerber hört man Sätze wie diese: "Ich habe nach der Niederlage im Achtelfinale der Australian Open kein Drama gemacht. Ich habe weiter trainiert und bin positiv geblieben." Oder: "Meine Saison war bislang so lala, aber ich mache mir keine Sorgen." Oder: "Es ist ein gutes Jahr, wenn ich am Ende sagen kann, dass ich mein Bestes gegeben habe."

Man kann solche Aussagen abtun als die Floskeln einer Sportlerin, man kann darin aber auch den Unterschied zwischen Angelique Kerber und anderen Spielerinnen erkennen: Petkovic etwa scheint permanent über sich und ihre Karriere nachzudenken, sie feilt an Fitness und Taktik und mentaler Stärke - und wenn sie ankündigt, dass sie nach bitteren Niederlagen wie beim Fed Cup auf Hawaii vor wenigen Wochen mal abschalten müsse, dann ist zu hören, dass sie nach Los Angeles fliegt und dort ein Buch übers Abschalten liest. Das ist vorbildlich, gewiss, aber eben ein völlig anderer Ansatz als der von Kerber, die Sätze von großer Einfachheit sagt wie diesen: "Wenn Du Tennis spielst, dann denkst Du nicht nach. Du machst einfach."

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Nur mal so ein Gedanke: Kerber lässt all diese Floskeln nicht aus dem Mund plumpsen, damit sie in Ruhe gelassen wird und möglichst schnell zurück ins Hotel darf, sondern weil sie das tatsächlich so meint. Sie kann grandiose Comebacks im dritten Satz nicht eloquent erklären, weil sie keine Erklärung dafür hat. Sie denkt wirklich, wie sie immer betont, nur an die nächste Partie bei einem Turnier und während dieser Partie an den nächsten Punkt und während des Punkts an den nächsten Schlag. Sie verschwendet keine Gedanken an Turniersieg und Weltrangliste, sondern will tatsächlich nur den nächsten Ballwechsel gewinnen. Die nächste Partie. Das nächste Turnier. Es ist kein Mangel für eine Sportlerin, ihr außerordentliches Können auf dem Platz nicht erklären zu können. Es ist eher eine Kunst, nicht darüber nachzudenken.

Kerber hat sich kürzlich mit der ehemaligen Weltklasse-Spielerin Chris Evert getroffen und dabei, wie sie berichtet, ziemlich viel gelernt über Tennis und die Zeit nach der aktiven Karriere. Was sie genau von Evert erfahren hat, das will sie erst in zehn Jahren verraten: "Bis dahin haben wir noch ein bisschen Zeit." Bei Angelique Kerber geht es tatsächlich immer nur um den nächsten Punkt, die nächste Partie, das nächste Turnier. Vielleicht ist das ganz gut so. Auch wegen dieser Fähigkeit wird sie von der nächsten Woche an wieder auf Platz eins der Weltrangliste geführt.

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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