Tennis:Angelique Kerbers Sehnsucht nach dem Sofa

Lesezeit: 3 min

Am Ende: Angelique Kerber bei ihrer Niederlage gegen die 18-jährige Belinda Bencic. (Foto: Dennis Grombkowski/Getty Images)
  • Nach der Niederlage gegen die Schweiz fährt Angelique Kerber mit dem festen Vorsatz nach Hause, in den kommenden Tagen nur auf dem Sofa zu liegen.
  • Teamchefin Barbara Rittner fordert darum, den Modus und die Termine der Fed-Cup-Runde zu überdenken.
  • Deutschland spielt nun gegen den Abstieg aus der Weltgruppe. Auch da warten schwere Gegner.

Von Matthias Schmid, Leipzig

Martina Hingis war selbst noch nicht volljährig, als sie vor der Fed-Cup-Partie gegen Deutschland am vergangenen Wochenende das letzte Mal Leipzig besucht hatte. Damals, im Jahre 1997, gab es in der Stadt noch ein Tennisturnier auf Weltklasseniveau. Ob Hingis ihren Doppeltitel an der Seite von Jana Novotna anschließend in der Altstadt ausklingen ließ, wollte sie nicht verraten. Sie erinnerte sich allerdings am Sonntagabend nach dem 3:2-Sieg gegen die deutsche Mannschaft daran, dass es in Leipzig durchaus ansprechende Restaurants gäbe, um schön ausgehen zu können. "Wir werden die ganze Nacht durchfeiern", kündigte die 35-Jährige an, als sie hörte, dass der Schweizer Fed-Cup-Chef Heinz Günthardt am Montag 57 Jahre alt wird.

Dass die Schweizerinnen in ihrer Partynacht den deutschen Spielerinnen begegneten, hatte Angelique Kerber schon vorher kategorisch ausgeschlossen. "Wir werden am Sonntagabend noch gemeinsam und ruhig Essen gehen und dann am Montagmorgen früh nach Hause fahren", schilderte die Australian-Open-Siegerin die abendliche Planung, die mit der der Schweizerinnen nicht viel gemein hatte.

"Ich habe alles gegeben, was ich noch hatte"

In ihrer Stimme klang große Ernüchterung mit. Kerber war ermattet, leer und müde irgendwie. Während die weltbeste Doppelspielerin Hingis an der Seite der erst 18-jährigen Belinda Bencic nach dem entscheidenden Sieg im Doppel gegen Andrea Petkovic und Anna-Lena Grönefeld wie kleine Kinder an ihrem siebten Geburtstag ausgelassen im Kreis herumtanzten, hätte Kerber eher ein Rollband gebraucht, das sie zurück vom Platz in die Kabine befördert hätte.

Fed Cup
:Wie der Tennis-Boom langsam gedeiht

Wird Deutschland nach Kerbers Sieg in Melbourne wieder zur Tennis-Nation? Voraussetzung dafür wäre dauerhafte TV-Präsenz, sagt Heinz Günthardt. Und der muss es wissen.

Von Matthias Schmid

So erschöpft war sie nach den beiden Einzeln am Wochenende, jeder Schritt war ihr am Ende zu viel. "Irgendwann kommt man an die körperlichen Grenzen", bekannte die 28-Jährige nach der Niederlage gegen die lässig und entschlossen aufspielende Weltranglistenelfte Bencic, "ich habe alles gegeben, was ich noch hatte." Es war nach dem ganzen Trubel um ihren bemerkenswerten Sieg nicht mehr genug, um der Wucht und der Raffinesse der aufstrebenden Schweizerin etwas entgegensetzen zu können.

Beim Wettstreit der besten vier Teams um den Finaleinzug werden die deutschen Spielerinnen fehlen. Stattdessen müssen sie am 16./17. April nun gegen den Abstieg aus der Weltgruppe spielen. Erst nach der Auslosung am Dienstag wird der Kontrahent feststehen. Unter anderem könnten sie auf Australien, Spanien oder die USA treffen. "Auch in der Relegation warten schwere Gegner", sagte die deutsche Teamchefin Barbara Rittner, "ich bin traurig und enttäuscht, aber gleichzeitig auch stolz auf diese Mannschaft."

Vor allem Angelique Kerbers selbstlosen Einsatz würdigte die 42-Jährige. Sie erinnerte bei dieser Gelegenheit auch an deren Finalgegnerin von Melbourne. Die Weltranglistenerste Serena Willams wollte sich die Strapazen des Mannschaftswettbewerbs nicht antun und verzichtete auf eine Teilnahme am Länderspiel gegen Polen. Tennislehrerin Rittner verteilte ihrer Vorzeige-Elevin deshalb eine "glatte Eins", wie sie es ausdrückte, "besser geht es nicht unter diesen Umständen. Es zeichnet Angelique aus, dass sie überhaupt in Leipzig für uns angetreten ist."

In den kommenden Tagen wird Kerber keinen Schläger anfassen und auch nicht Laufen gehen oder sich sonst in irgendeiner Weise bewegen. "Ich werde überhaupt nichts machen", kündigte sie an, "und mich nur auf den Sofa legen und die Beine hochlegen, um ein bisschen runterzukommen." Wann sie wieder an einem Turnier teilnehmen wird, konnte sie am Sonntag gar nicht sagen.

Rittner will die "Katastrophentermine" zukünftig verhindern

Barbara Rittner zumindest will künftig verhindern, dass die erste Runde im Fed Cup direkt nach den Australian Open angesetzt wird. Daher hatte sie sich schon in Melbourne mit Vertretern des Internationalen Tennisverbandes ITF getroffen. Sie und andere Mitstreiter wollen erreichen, dass zum einen die Zahl der teilnehmenden Mannschaften in der Weltgruppe von acht auf 16 Teams angehoben wird. Und zum anderen die Terminierung der ersten beiden Runden überdacht wird.

"Wir haben die zwei Katastrophentermine schon am eigenen Leib spüren müssen", betonte Rittner. Im Jahre 2014 landeten ihre Spielerinnen vom Halbfinalspiel aus Australien Mitte April direkt und völlig übermüdet in Stuttgart und schieden anschließend beim Heimturnier alle nach ihren ersten Spielen aus. "Und auch jetzt haben wir es dem Megastress von Angelique zu verdanken, dass wir gegen die Schweiz verloren haben", sagte Rittner.

Sie wollte allerdings nicht als schlechte Verliererin wahrgenommen werden, im Gegenteil. Deshalb schob Barbara Rittner schnell nach, dass sie den Schweizerinnen in dieser Besetzung den Finalsieg im Fed Cup zutraut, "wenn sie so zusammenstehen". Mit Martina Hingis im Doppel und Belinda Bencic im Einzel hat die Schweiz herausragende Persönlichkeiten, die jedes Land der Welt schlagen könnten, ist Rittner überzeugt.

Als Hingis 1998 das letzte Mal für ihre Heimat Doppel spielte, war Bencic gerade mal ein Jahr alt. "Und heute darf ich mit ihr gemeinsam auf dem Platz stehen", stellte die 18-Jährige verblüfft fest. Bencic hat eine Trainerin, mit der Martina Hingis durchaus bekannt ist: Es ist ihre Mutter Melanie Molitor.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: