Spaniens Diego Costa:Abtrünniger Dschungelkrieger

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Spanier und Brasilianer: Diego Costa. (Foto: dpa)

Brasilien schmerzt es, dass Diego Costa für Spanien spielt - aus gutem Grund: Der Stürmer verkörpert den Stolz des Straßenfußballers, der er einmal war. Bei seinem ersten WM-Auftritt wollen die Niederländer deshalb gleich fünf Verteidiger aufbieten.

Von Javier Cáceres, Belo Horizonte

Jüngst noch schien Diego Costa die leise Hoffnung zu hegen, dass ihm nur wenige brasilianische Fans krumm nehmen würden, was er getan hatte: Er hatte den Ruf seiner Wahlheimat Spanien erhört, um an der Fußball-WM in seinem Geburtsland Brasilien teilnehmen zu können. "Niemand hat mir hier irgendetwas Negatives gesagt, ich bin gut aufgenommen worden", erklärte Costa zunächst auch, nachdem ein Beamter der brasilianischen Einwanderungsbehörde seinen neuen roten Reisepass abgestempelt, er nach Passieren der Zollkontrolle für Fotos mit Fans posiert und dann das Teamquartier in Curitiba bezogen hatte.

Vielleicht würde es nicht immer so bleiben, mutmaßte Costa da bereits. Und als dann Spanien die Türen für ein erstes öffentliches Training öffnete, musste er feststellen, dass ihn seine Ahnung nicht getrogen hatte. "Traidor, traidor...", riefen ihm die Ortsansässigen zu, sobald er den Ball berührte: "Verräter, Verräter..."

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Diese Art der psychologischen Kriegsführung ist nicht zuletzt das Werk von Luis Felipe Scolari, dem Trainer der brasilianischen Nationalmannschaft. Scolari muss als Kind in einen Pott voll Chauvinismus gefallen sein; die Liebe zum Vaterland exaltiert er im Stil eines Generals des brasilianischen Heeres. "Er hat dem Traum von Millionen Brasilianern den Rücken gekehrt", wetterte Scolari, als Costa seine Entscheidung getroffen hatte.

Vertuschung von Verletzungen

Gleichwohl: So brüsk wie im Fall Costa reagierte Scolari auf keinen anderen brasilianischen Legionär - weder auf Pepe (Portugal), Sammir oder Eduardo (beide Kroatien). Vermutlich liegt die Virulenz der Attacke darin begründet, dass Scolari einsah, dass er die Tore des Diego wohl hätte selbst gebrauchen können. "Scolari hat sich nicht um mich gekümmert, Del Bosque schon", sagt Costa, der nur deshalb Spanier im Sinne des Verbandsrechts werden konnte, weil das einzige Länderspiel, das er für Brasilien bestritten hat, nie offiziell gewertet wurde.

Seine Herkunft leugnet Costa nicht. Im Gegenteil. Als ihm ein Fotograf des spanischen Sportblatts As vor ein paar Tagen vorschlug, mit der spanischen Flagge zu posieren, lehnte er ab. "Ich bin und werde immer Brasilianer sein, ich pflege auch noch die Sitten, die einem Brasilianer eigen sind", sagte Costa im einzigen Interview, das er vor der WM einem brasilianischen Medium gab. "Aber ich will mit Spanien die WM gewinnen", fügte er hinzu.

Es ist kaum zu eruieren, wie nahe Costa all diese Umstände vor seinem WM-Debüt wirklich gehen, der 25-jährige Mittelstürmer von Atlético Madrid ist ein Meister in der Camouflage seiner Pein. Zum furiosen Ende der vergangenen Saison erzählte er seinem Trainer bei Atlético, Diego Simeone, jeden Tag aufs Neue, dass der Muskel nun überhaupt nicht mehr zwicke. Die Folge: Am letzten Meisterschaftsspieltag und beim Champions-League-Finale in Lissabon gegen Real Madrid musste Costa nach nur wenigen Minuten wieder vom Platz, weil "diese verhurte Verletzung" (Costa) doch wieder aufgebrochen war.

Nun hat er sie tatsächlich fast überwunden. Bei einem Kurztrainingslager der Spanier in den USA spielte er beim 2:0 gegen El Salvador 73 Minuten lang beschwerdefrei durch, blieb seinen ersten Torerfolg als Neospanier aber noch schuldig.

Ob Costa am Freitag bei der Neuauflage des WM-Finals von 2010 gegen die Niederlande in der Startelf stehen wird, ist nicht völlig gesichert. Costa ist nicht der Typ des filigranen Fußballers, der sich ohne Weiteres in das feine Kombinationsspiel der Spanier einfügt, Costa war bislang eher auf Konterfußball spezialisiert. Andererseits hat Louis van Gaal, der Trainer der Niederländer, bereits angekündigt, mit fünf Verteidigern antreten zu wollen. Das würde ein gestrüppreiches Revier schaffen, in dem sich Costa auch wohlfühlt.

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Costa ist ein Dschungelkrieger, der Ziele ohne jede Rücksicht auf Verluste und persönliche Opfer verfolgt. Er verkörpert den Stolz des Straßenfußballers, der er einmal war und der in Lagarto, im Nordosten Brasiliens, barfuß auf Sandplätzen spielte. Ihm reicht nicht ein Messer zwischen den Zähnen - es muss schon die Machete sein.

Zu spüren bekam dies nicht zuletzt Sergio Ramos, der Verteidiger von Real Madrid, mit ihm (und Pepe) lieferte sich Costa bereits legendäre Schlachten, als er noch bei Rayo Vallecano agierte, dem dritten Madrider Erstligisten. Der bisherige Höhepunkt war freilich ein hasserfülltes Derby zwischen Real und Atlético, bei dem Costa den eigenen Handschuh mit Rotz und Spucke benetzte - und Ramos die Nasensekret-Melange hinterm Rücken des Schiedsrichters ins Gesicht warf, TV-Kameras zeichneten den Vorfall auf.

Die Erinnerung daran hat Ramos freilich getilgt. Aus dem spanischen Lager in Curitiba wird berichtet, dass ausgerechnet Ramos Costa ins Herz geschlossen habe: "Sie sind wie Brüder", beteuert ein Delegationsmitglied. Womit bewiesen wäre, dass es doch noch Flüssigkeiten gibt, die dicker sind als Blut.

Vielleicht hat Ramos aber auch nur ein Auge für Spieler, die man besser in der eigenen Mannschaft hat als gegenüber. Diesen Blick auf Kicker hat Ramos mit José Mourinho gemein, dem portugiesischen Trainer des FC Chelsea. Es gilt als sicher, dass Mourinho Costa bereits nach London gelockt hat, Costa selbst hat bislang nur ein - freilich vielsagendes - "kann gut sein" verlauten lassen.

In jedem Fall vertraute er unlängst einem Kollegen an, den süßesten Moment seiner an Stationen reichen Karriere (Celta Vigo, Albacete, Valladolid, Vallecano) auszukosten, um seine Einkommensverhältnisse zu verbessern. "Ich muss den Augenblick ausnutzen", sagte er, "denn jetzt kullern sie alle rein. Und niemand weiß, wie lange das anhält."

© SZ vom 13.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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