Spanien:Gerard Piqué hat genug vom absurden Spiel

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Ein Leibchen als Corpus Delicti: Weil an dem Hemd von Gerard Piqué Spaniens Nationalfahne fehlte, wurde ihm Mangel an Patriotismus vorgeworfen. (Foto: AP)

Weil er es leid ist, als unpatriotisch geschmäht zu werden, kündigt der Katalane seinen Abschied aus der spanischen Nationalelf an. Er ist nicht der erste Nationalspieler, dem es so ergeht.

Von Javier Cáceres, Berlin

Spanier und Kürzungen, das ist ja auch so eine Sache. Man hat ihnen wegen der Wirtschaftskrise die Sozialleistungen gekürzt. Und nichts passierte. Man hat ihnen die Renten gekürzt. Und nichts passierte. Man hat ihnen die Löhne gekürzt. Und nichts passierte. Nun aber kam ein Nationalspieler, Gerard Piqué, auf die Idee, die Ärmel seines Trikots zu kürzen - und das Land bebte: Diverse Medien unterstellten dem Abwehrspieler vom FC Barcelona, aus politischen Gründen zur Schere gegriffen und die spanische Fahne aus seinem Trikot herausgetrennt zu haben.

"Ich bin es leid", sagte Piqué, 29, am Sonntagabend - und kündigte nach dem 2:0-Sieg Spaniens in Albanien überraschend an, seine Nationalmannschaftskarriere nach der WM 2018 in Russland zu beenden.

Hintergrund ist der Konflikt zwischen zentralspanischen Nationalisten auf der einen und katalanischen Nationalisten auf der anderen Seite. Erstere wollen das Land in seinen jetzigen Grenzen unter Anwendung sämtlicher Mittel zusammenhalten, Letztere streben zumindest eine Volksabstimmung darüber an, ob Katalonien unabhängig werden sollte. Piqué ist zwar nie offen für die Loslösung der im Nordosten der iberischen Halbinsel gelegenen Region eingetreten, ein Referendum hält er aber zumindest für legitim.

Das hielt ihn nicht davon ab, beim WM-Sieg 2010 und dem EM-Triumph 2012 dabei zu sein, oder seinem Sohn ein Spanien-Trikot zu kaufen. Aber den spanischen Ultranationalisten, deren Aggressivität oft unterschätzt wird, ist das nicht genug. Immer wieder halten sie Piqué vor, nicht vaterlandsliebend genug zu sein. So auch diesmal, als er im albanischen Shkodra ein Trikot trug, das sich von dem der Kameraden unterschied.

Piqué trug ein Hemd, das auf Höhe des Bizeps abgeschnitten war

Alle Feldspieler trugen kurzärmlige Hemden, und die wiederum sind an den Ärmeln mit Bündchen versehen, die in den rot-gold-roten Nationalfarben Spaniens gehalten sind. Piqué aber trug ein Hemd, das auf Höhe des Bizeps abgeschnitten war, und darunter ein langärmliges, weißes Thermohemd. Auf seinen Armen also fehlte, oh Sünde wider das Vaterland, die rotgoldrote Applikation. Als die Bilder davon zirkulierten, war die Empörung in Spanien so groß wie in der vergangenen Woche, als der britische Starkoch Jamie Oliver erklärte, das valencianische Nationalgericht Paella mit Chorizo-Wurst zu garnieren. Die Sportblätter berichteten, Radioreporter zerrissen sich das Maul über den angeblichen vaterlandslosen Gesellen, die sozialen Netzwerke quollen über an bornierten Kommentaren. Piqué bekam davon bereits in der Halbzeit in Shkodra Wind und bemühte sich um Aufklärung.

Vor den mitgereisten Journalisten erinnerte er daran, dass er langärmlige Hemden bevorzuge. Die Ärmel des Langarm-Modells des spanischen Ausweichtrikots seien ihm aber zu kurz, er habe deshalb die Thermohemd-Lösung gewählt und ohne Hintergedanken die langen Ärmel gekürzt. Den abgeschnittenen Rest übergab er einem Fernsehreporter, der die Fetzen in die Kamera hielt; er selbst hielt ein intaktes Jersey in der Hand, und siehe: Die langärmlige Version des spanischen Trikots ist gar nicht mit rotgoldroten Bündchen versehen. Piqué konnte also gar keine spanische Fahne abschneiden.

"Es reicht. Der Moment ist gekommen, basta zu sagen", erklärte er. Die WM-Qualifikation wolle er noch mitmachen, aus Verbundenheit zum neuen Nationaltrainer Julen Lopetegui. Dieser wiederum zeigte Verständnis für Piqué und hofft, dass er es sich noch mal überlegt. Doch das Fass ist wohl übervoll.

Im Sommer hatte Piqué schon eine ähnliche Debatte ertragen müssen. Bei der EM in Frankreich hatte er vor der Partie gegen Kroatien beim Abspielen der Hymne gedankenverloren mit den Fingern gespielt. Diverse Medien veröffentlichten ein Standbild und suggerierten, Piqués Geste habe der Hymne gegolten. Angesichts der Bewegtbilder war der Vorwurf so absurd, wie Piqué ihn nannte. Und es tröstete ihn nicht, dass er nicht der erste Nationalspieler ist, dem ein gespaltenes Verhältnis zur spanischen Nation unterstellt wird.

Auch Xavi und Puyol haben sich einst schon rechtfertigen müssen

Bei der WM 1982 spielte der baskische Torwart Luis Arconada als einziger mit Strümpfen, die nicht mit der spanischen Fahne verziert waren, später zirkulierte das (nie bewiesene) Gerücht, Arconada sei vor der Untergrundorganisation Eta, die einen blutigen Kampf für ein selbstständiges Baskenland führte, bedroht worden und habe deshalb weiße Strümpfe getragen. Auch die Katalanen Carles Puyol und Xavi Hernández, einst zusammen mit Piqué beim FC Barcelona aktiv, haben sich rechtfertigen müssen. Sie hatten bei einem Spiel der selección die Enden der spanisch-gesäumten Socken nach innen gerollt, auch ihnen wurden politische Motive unterstellt. Absurd, sagte Xavi: "Es waren die drei Streifen des einzigen Sponsoren, den ich je hatte."

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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